Zum Theater ins Internet
Während die Häuser für das Publikum geschlossen bleiben müssen, stellen viele Bühnen ihre besten Inszenierungen ins Netz. Eine gute Zeit, um Entdeckungen zu machen.
Nie war das Schauspiel-Angebot so breit wie während der Corona-Krise: Viele Häuser streamen aktuelle und vergangene Aufführungen im Internet. Die Energie, die das Live-Erlebnis in den Zuschauerraum überträgt, fehlt. Im Gegenzug lenkt die Kamera im Optimalfall den Blick des Zuschauers und erleichtert das Verständnis der Inszenierung. Hier eine Auswahl von Streams der nächsten zwei Wochen.
Schlosstheater Moers: „Die Pest“Ursprünglich galt „Die Pest“in Albert Camus‘ Roman als Metapher für Krieg, Totalitarismus und die Eingeschlossenheit der Menschen. Die Überwindung der Epidemie gelingt durch Liebe, Solidarität und Mitgefühl – und durch offenen Umgang mit der Wahrheit. Diese Überlegung war der Anlass für eine Inszenierung des Stücks: Angesichts der Konflikte in unserer Gesellschaft müsse man den Verdrängungsmechanismus der Menschen außer Kraft setzen, die Dinge beim Namen nennen, Zahlen und Fakten präsentieren – und Solidarität einfordern. Dann brach Covid-19 aus, und plötzlich hatte das Schlosstheater Moers das Stück der Stunde im Repertoire. Es hat mittlerweile eine „visuelle Lesung“mit Bildern der Aufführung auf seine Homepage gestellt, die zu einem intensiven Erlebnis wird – und zu einem Erschrecken über die Aktualität des alten Textes. www.schlosstheater-moers.de
Schaubühne Berlin: am 24. April „Winterreise im Olympiastadion – Textfragmente aus Hölderlins „Hyperion“
Die Bilder bleiben im Kopf: Im Winter 1977 stellte Klaus-Michael Grüber einen Nachbau der Ruine des Anhalter Bahnhofs ins Berliner Olympiastadion, engagierte ein paar Sportler, die taten, was Sportler in einem Stadion so tun, installierte auf der Gegentribüne das Gräberfeld eines Soldatenfriedhofs, ließ mit einem Jeep herumkurven – und Hölderlin-Texte sprechen.
Es trafen aufeinander: das antike und das 1936er Olympia, die Siegermächte, die Terroristen-Jagd im Deutschen Herbst und eine rätselhafte, weihevolle Literatur. Den Begriff postdramatisches Theater gab es damals noch nicht – aber nichts anderes war Grübers anstrengende, aber unvergessliche Inszenierung. Am 24. April ab 18.30 Uhr können Zuschauer nun im Internet hinabtauchen in die Theaterhistorie – zu einer Aufführung, die schon damals aus der Zeit gefallen war. www.schaubuehne.de/de/seiten/ online-spielplan.html
Schauspiel Dortmund: „Nach Manila“, „DIE Show“, „4.48 Psychose“Das Schauspiel Dortmund erweitert ständig sein Streaming-Angebot, ohne die alten Angebote zu löschen. Warum ist Facebook eigentlich so sauber, fragte Moritz Riesewieck und reiste „Nach Manila“. Dort traf er auf zutiefst traumatisierte Menschen: die „Content Moderators“, die im Auftrag der sozialen Netzwerke zehn Stunden am Tag Kinderpornos, IS-Propaganda und Gewalt- und Enthauptungsvideos sichten und löschen. Die Zuschauer sitzen in einem tropischen Garten und lauschen den erschreckenden Berichten der von der Welt vergessenen „digitalen Gärtner“. – Bitterböse Satire und unterhaltsame Revue ist die „DIE Show“– ein Remake von Wolfgang Menges Fernsehfilm „Das Millionenspiel“, der im Jahre 1970 die Republik irritierte. Kay Voges gibt seiner rasanten Inszenierung alle Ingredienzen einer RTL-Show, mit Julia Schubert als großartiger Parodie von Silvie Meis. – In „4.48 Psychose“seziert die Autorin Sarah Kane ihre Depression und nimmt ihren Suizid vorweg. Mit hohem technischem Aufwand inszeniert Kay Voges eine Partitur des Wahnsinns. Elektronische Musik, pulsierende Herzschläge, zuckende Leiber und Videos beschreiben den „Versuch der Vermessung der Seele durch den Körper“. (nur 25. April) www.tdo.li/dejavu
Deutsches Theater Berlin: 28. April „Muttersprache Mameloschn“Anders als Grübers tiefgründelnde Winterreise kommt Marianna Salzmanns Drei-Generationen-Drama sehr unterhaltsam daher – nicht zuletzt aufgrund der drei grandiosen Schauspielerinnen. Souverän agieren Gabriele Heinz als im jüdischen Glauben verwurzelte Großmutter, überzeugte Ex-Kommunistin und frühe DDR-Aktivistin sowie Anita Vulesica als pragmatische, apolitische und religionsferne Bundesbürgerin; Natalia Belitski als ebenso schnuckelige wie selbstbewusste Enkelin auf der Suche nach ihren Wurzeln und ihrer (auch sexuellen) Identität ist hinreißend. Sehr unterschiedlich gehen die Generationen mit ihrem jüdischen Glauben, mit innerfamiliären Konflikten, mit moralischen und gesellschaftspolitischen Kategorien sowie mit Verdrängungsmechanismen und Ideologien um. Sympathisch, komödiantisch, politisch und mit pointierten Dialogen. https://www.deutschestheater.de/ programm/aktuelles/dt-heimspiel/
Deutsches Schauspielhaus Hamburg: am 6. Mai 18 Uhr (für 24 Stunden) „John Gabriel Borkman“
Ein Bankdirektor, nach mutmaßlichen Betrügereien bankrott und von der beruflichen und sozialen Leiter gefallen, hat den Weg nach ganz oben gefunden: Er praktiziert seit vielen Jahren Social Distancing auf dem Dachboden. Die beiden Schwestern, von denen er die eine heiraten wollte und die andere geheiratet hat, sind zu schrillen Kampfhühnern geworden und liegen im Dauer-Clinch miteinander – unter anderem um Bankdirektors Sohn, auf den sich mütterliche Besitzansprüche und erotisches Interesse richten. Karin Henkel hat erkannt, dass sich in Ibsens düsterem Familiendrama eine Spukgeschichte verbirgt. Ihre Inszenierung ist grandios, wenn sie spooky wird, während die Faszination nachlässt, wenn die schrillen Töne übertrieben werden. Einladung zum Berliner Theatertreffen 2015, gelungene TV-Aufzeichnung. www.schauspielhaus.de/de_DE/ onlinespielplan