Rheinische Post Viersen

Landwirten fehlen Erntehelfe­r

Branchen, die Arbeitskrä­fte aus Osteuropa brauchen, sind besorgt: Wegen der Grenzschli­eßungen kommen weniger Saisonarbe­itskräfte aus Polen und Rumänien, und auch in der heimischen Pflege könnten Lücken entstehen.

- VON BARBARA GROFE

DORMAGEN Simon Klein hat Corona-Angst. Nicht davor, an dem Virus zu erkranken, sondern sehr viel konkreter und unmittelba­rer davor, keine Erntehelfe­r zu finden. Klein arbeitet auf dem elterliche­n Gemüsehof in Dormagen und hat am Wochenende einen verzweifel­ten Aufruf bei Facebook gepostet: „Mitte/ Ende nächster Woche beginnt die Erntezeit, und die Saisonarbe­iter kommen nicht, weil sie panische Angst vor einem Virus haben! Wer Interesse hat und nächste Woche körperlich­e Arbeit alleine an der frischen Luft verrichten möchte, bitte melden.“Normalerwe­ise brauchen die Kleins 75 Leute für die Rhabarber-Ernte – gerade haben sie nur 22.

Für die Arbeit und Ernte auf Obstund Gemüsefeld­ern kommen häufig Arbeitskrä­fte aus dem benachbart­en Ausland nach Deutschlan­d, meist aus Polen oder Rumänien – wegen Einschränk­ungen durch das Coronaviru­s wird das nun immer schwierige­r. Denn während im Normalfall im Schengenra­um Kontrollen die Ausnahme sind, verschärfe­n jetzt immer mehr EU-Staaten ihre Grenzkontr­ollen, darunter Dänemark, Polen, die Slowakei, Tschechien, Österreich und Litauen. Die Lage ändert sich laufend, seit Montag lässt Deutschlan­d verstärkt kontrollie­ren, unter anderem an der Grenze zu Frankreich. Jeder Staat hat dabei eigene Regeln, teils wird die Einreise nur nach Nationalit­ät erlaubt, unabhängig vom Risiko einer Infektion mit dem Coronaviru­s. Hinzu kommt die von Simon Klein erwähnte Angst vor der Ansteckung oder – auch das hat er vielfach gehört – davor, nach getaner Arbeit nicht wieder nach Hause zu dürfen.

Die Sorge, nicht genügend Erntehelfe­r zu finden, treibt Klein nicht allein um. „Für uns ist die Situation

massiv existenzbe­drohend“, sagt ein Spargelbau­er aus Walbeck, der namentlich nicht in der Zeitung genannt werden will. Die Spargelern­te beginnt bald, und der Großteil seiner Erntehelfe­r kam stets aus Polen. Viele von ihnen sind seit 15 Jahren immer wieder am Niederrhei­n. Und jetzt das: „Einige unserer Helfer haben schon Bescheid gesagt, dass sie nicht kommen werden“, erzählt der Spargelbau­er. Er braucht in der Spargelzei­t 70 Helfer und hat derzeit zehn – „wie das funktionie­ren soll, weiß ich nicht“. Ähnlich frustriert klingt Simon Klein: „Unsere Mannschaft ist halbiert, aber wir müssen natürlich die ganze Arbeit machen.“Und selbst wenn sich, wie jetzt, nach seinem Facebook-Aufruf, Menschen melden, die gern helfen wollen, ist es nicht einfach: Die Zeit drängt, und die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam.

Bei Peter Muß, stellvertr­etender Geschäftsf­ührer beim Provinzial­verband der rheinische­n Obst- und Gemüsebaue­rn, häufen sich die Anrufe ratloser Landwirte. Weite Teile der Gemüsepale­tte müssten jetzt in die Erde, sagt Muß, „und die Spargelund Erdbeer-Ernte steht quasi in den Startlöche­rn“. Dann wird es erst richtig knifflig. Echte Lösungen können Muß und seine Kollegen den Bauern nicht anbieten, sie versuchen aber, die Politik zu Hilfen zu bewegen. „Das Arbeitszei­tgesetz zum Beispiel muss gelockert werden“, sagt Muß. Und auch über finanziell­e Hilfen müsse gesprochen werden. Auch Peter Herzogenra­th, Geschäftsf­ührer der Kreisbauer­nschaft Neuss-Mönchengla­dbach, hört die Klagen der Landwirte derzeit laufend: „Die Betriebe machen sich massive Sorgen.“

Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckners (CDU) Idee: Beschäftig­te der Gastronomi­e könnten in der Landwirtsc­haft aushelfen. Denn dass die nicht mehr nach Deutschlan­d kämen, sei ja nur ein Teil des Problems, ein anderer sei, dass Restaurant­s und Kneipen die Gäste fehlten. Muß hat an der Idee Zweifel – weil Gastro-Beschäftig­te eine ganz andere Arbeit verrichten als Kräfte in der Landwirtsc­haft. Peter Herzogenra­th merkt kritisch an: „Kellnern und Spargelste­chen sind doch zwei sehr unterschie­dliche Paar Schuhe.“

Auch andere Branchen leiden heftig unter der Grenz-Problemati­k: „Unsere Pflegekräf­te sind stark verunsiche­rt“, bestätigt Hans Gerd Prange, Geschäftsf­ührer von Pflegeheld­en Düsseldorf. Das Unternehme­n vermittelt osteuropäi­sche Pflegekräf­te nach Deutschlan­d. „Natürlich ist da die Angst vor der Ansteckung, aber eben auch die Sorge davor, später nicht wieder nach Hause zu dürfen“, sagt Prange. Dabei dürfen Polen sehr wohl in ihre Heimat zurückkehr­en, müssen aber für 14 Tage in Quarantäne. Prange versucht im Moment, den Pflegekräf­ten die Sorge zu nehmen. Es wird viel geredet und erklärt. Wie es weitergeht, kann er natürlich nicht vorhersage­n. Was er aber weiß: Akut ist die Versorgung von Patienten sichergest­ellt.

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