Der schnellste Segler Griechenlands...
... kommt aus Düsseldorf. Georgios Keramas startet in zwei Wochen bei der Weltmeisterschaft der Strandsegler in St. Peter-Ording.
Für einen Segler macht Georgios Keramas eigentlich alles falsch. Er scheut das Wasser, sucht den Strand. Seine Yacht hat keinen Kiel, sondern drei Reifen. Trotzdem, oder gerade deswegen, segelt kein Grieche schneller als der 45-Jährige, der als Einwandererkind in Düsseldorf geboren wurde. Heute lebt er im Stadtteil Rath. Keramas’ Familie stammt aus Kalambaka, einem Ort in der Mitte Griechenlands, so weit entfernt von der Küste wie kaum ein zweiter. Vielleicht erklärt das Keramas‘ ungewöhnliche Einstellung zum Segeln.
Auf den ersten Blick nimmt man Keramas den Griechen nicht ab. Er spricht eloquentes Deutsch, sein Haar ist blond und seit seinem Studium in Bayern wird er von Freunden „Schorsch“gerufen – die bajuwarische Variante von Georgios. Nicht selten muss er seinen griechischen Pass zeigen, um seine Herkunft zu belegen.
Keramas, ein Doktor der Biologie, ist Medizinischer Projektleiter beim Pharmakonzern Bayer. Unter der
Woche trägt er Anzug und Krawatte, am Wochenende zwängt er sich in enges Gummi. Während der Regattasaison segelt er alle zwei Wochen Wettkämpfe.
Mal in Belgien oder Frankreich, meist aber in Sankt Peter-Ording an der Nordseeküste.
Die Manschetten seines Trockenanzugs fressen sich in seinen Hals und seine Arme. Unter dem Visierhelm lugen nur die wachen Augen angestrengt hervor. Wenn die Flut ihren höchsten Stand hat, das Wasser langsam wieder weicht, das Meer Meter für Meter von dem endlos scheinenden Strand ausspuckt, Sandbänke aus der grauen See wie aus dem Nichts auftauchen, dann beginnt die Hektik. Segel werden gehisst, Winschen kreischen, Schoten ächzen. Es kann losgehen.
Keramas ist Griechenlands einziger Strandsegler. Vom 29. September bis 5. Oktober startet er bei der Weltmeisterschaft, die in Sankt Peter-Ording stattfindet, für sein Heimatland. In den vergangenen Jahren segelte Keramas bereits bei Europameisterschaften in England, Belgien und Frankreich.
Strandsegeln ist die schnellste Sportart unter Segeln. Die Boliden auf drei Rädern erreichen mühelos die dreifache Windgeschwindigkeit. Selbst auf schwierigem Gelände. Geschwindigkeiten bis zu 130 Stundenkilometer sind am Strand keine Seltenheit. Zur Vergleich: die Katamarane beim letzten America’s Cup erreichten, wenn sie sich aus dem Wasser auf ihre Foils erhoben, maximal 100 km/h. Beim Strandsegeln liegt der Rekord sogar bei knapp 203 km/h, aufgestellt 2009 auf einem Salzsee in den USA. Allerdings nicht unter Wettkampfbedingungen.
Vor zehn Jahren entdeckte Keramas das Strandsegeln. Durch Zufall. Mit Freunden belegte er einen Segelkurs in Sankt Peter-Ording. Und war sofort begeistert. Von der atemberaubenden Naturkulisse, der Geschwindigkeit und der Kraft des Segelwagens. „Ich spürte, wie das Adrenalin durch meinem Körper strömte“, sagt Keramas. „Das war Wahnsinn.“Keramas, ein begeisterter Motorradfahrer, war dem Sport verfallen. Geschwindigkeiten wie auf der Autobahn. Ohne Lärm, ohne Abgase. Kein Weg war ihm fortan zu weit. Erst startete er in einer kleinen Klasse, mittlerweile in der Königsklasse, der sogenannten Formel-1 des Strandsegelns. Er kaufte sich erst eine alte Yacht, dann eine modernere. Von Rennen zu Rennen wurde er besser.
Um bei internationalen Meisterschaften für sein Heimatland starten zu können, musste Keramas erst bei der Internationalen Strandsegelvereinigung, der Fisly, Griechenland als Strandsegelnation registrieren. Griechenland? Der Verband war irritiert. Unmöglich, dass Strandsegeln auf den sandigen oder steinigen Stränden am Mittelmeer machbar ist. Schon gar nicht gäbe es einen Verein, der Mitglied in der Fisly ist.
Doch so schnell gab Keramas seinen Traum, für Griechenland segeln zu dürfen, nicht auf. Er kontaktierte einen kleinen Segelverein in Ioannina, mitten im Land. Von Strandseglern hatten die Vereinsgranden zwar noch nie etwas gehört, ließen sich aber von der Euphorie des Düsseldorfers anstecken. Und so hat der kleine Verein am See nun ein Vereinsmitglied, das bei Europa- und Weltmeisterschaften startet – unter der Segelnummer GR 73. Keramas Geburtsjahr. Als einziger Grieche ist Keramas bei den Eröffnungsfeiern automatisch stolzer Fahnenträger. „Das ist schon ein besonderer Moment, die Fahne zur Hymne zu hissen“, sagt Keramas mit ein wenig Pathos.
Beim Strandsegeln gibt es sechs verschiedene Klassen, die sich in Konstruktion und Größe unterscheiden. Keramas startet in der schnellsten, der Klasse 3. Ein neuer Segelwagen kostet um die 18.000 Euro, ein Bolide aus Kohlefaser, erprobt im Windkanal. Gesteuert wird ein Strandsegler mit den Füßen, die Hände bedienen das Segel. Das Spiel an der Spot ist Zentimeterarbeit, verliert das Segel die Strömung, kommt der Wagen zum Stehen. Gerade bei wenig Wind ein Desaster.
Dann muss der Pilot, so werden die Segler genannt, aussteigen, anschieben und hoffen, wieder Fahrt aufzunehmen, was auf anspruchsvollen Strecken nicht immer einfach ist. Denn der Strand ist selten eben, mal steht Wasser auf der Piste, mal ist der fahrbare Bereich sehr schmal. Mal müssen Sandbänke gewechselt werden – nur wo? „Anfangs habe ich meinen Segelwagen oft in Wasserlöchern versenkt“, sagt Keramas und lacht. „Die Sicht ist schlecht, die Geschwindigkeit hoch. Eine falsche Entscheidung, ein kurzes Zögern und das Rennen ist vorbei“, lacht Keramas. Erfahrung ist beim Strandsegeln alles. Nicht selten kommt es auch zu Unfällen bei den spektakulären Regatten, wenn bis zu 40 Yachten gleichzeitig starten und über den Strand kreuzen und halsen. Rennen dürfen deshalb nur gestartet werden, wenn ein Krankenwagen vor Ort ist. Auch Keramas wurde schon mit seinem Wagen vom Wind umgeworfen, passiert ist ihm aber nichts. „Nur Materialschaden“, sagt er und klopft auf den Rumpf seines weißen Segelwagens, den er „Zoe“getauft hat – zu deutsch: Leben.
Dementsprechend lautet sein Ziel für die Weltmeisterschaft auch: „Heil durchkommen“. Dabei hat Keramas sich bei den Vorbereitungsregatten harte Zweikämpfe mit dem fünffachen Olympiateilnehmer und Weltmeister im Katamaran-Segeln, Roland Gäbler, geliefert. „Für mich zählt der Olympische Gedanke“, sagte Keramas. „Dabeisein ist alles.“Und wenn es ein bisschen mehr wird, ist er auch nicht böse. Eines kann ihm ohnehin niemand nehmen: Der schnellste Segler Griechenlands zu sein.