Mutter der Probleme, Vater der Konflikte
Die Spitze der Unionsfraktion spricht von Zukunft und Gemeinsamkeit. Doch der von Seehofer neu entfachte Migrationsstreit zeigt, dass CDU und CSU eine Dauerkrise droht, solange er und Merkel gleichzeitig an der Spitze sind.
BERLIN „Zukunftsklausur“nennt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Tagung des Unionsfraktionsvorstands. An zwei Tagen haben sie viel besprochen: Rente, Bildung, Verteidigungsausgaben, Handel mit China, innere Sicherheit. Zum Abschluss ziehen Dobrindt und Fraktionschef Volker Kauder (CDU) Bilanz. Die beiden Männer versichern, dass sie „größtes Interesse“an der gemeinsamen Aufgabenlösung (Dobrindt) und „Freude an einer starken Fraktionsgemeinschaft“(Kauder) hätten.
Dabei müssen sie selbst so schmunzeln, dass man glaubt, sie hätten gerade einen Witz gemacht. Zukunft, Freude, Gemeinsamkeit? Die Wunden aus dem Sommer, als die Union am Streit zwischen CSU-Chef Horst Seehofer und der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel um die Migrationspolitik beinahe zerbrochen wäre, sind noch nicht annähernd verheilt, da hat der Innenminister neue aufgerissen. Die Migration sei die „Mutter aller politischen Probleme“hat er gesagt und damit wieder einmal auf die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gezielt. Und die hat das – dünnhäutiger als früher – zurückgewiesen und auf Erfolge verwiesen.
Der Sprecher der neuen Plattform „Union der Mitte“, der CSU-Politiker Stephan Bloch, sagt unserer Redaktion: „Migration in undifferenzierter Weise als Problem herabzuwürdigen, steht mit christsozialer Politik in keinem Konsens.“Es gebe Chancen, Gefahren, Risiken und Potenziale. „Der Geist, der den unsäglichen Worten Seehofers aber innewohnt, dient nur den extremen Rändern.“
Laut Umfragen hat sich der Abwärtstrend für die CSU in Bayern seit dem Konflikt vom Sommer nur verstetigt. Die von Erfolg verwöhnte CSU liegt inzwischen bei deutlich unter 40 Prozent. Regierungschef Markus Söder tröstet sich mit dem Hinweis, die tatsächlichen Wahlergebnisse hätten den Demoskopen 2017 wiederholt ein „Desaster“beschert. Sollte die CSU am 14.
Oktober ein Fiasko erleben, dürfte das massive Auswirkungen auf die Bundespolitik haben.
So baut Seehofer zum einen für eine mögliche
Schuldzuweisung zwischen ihm und Söder vor, wonach „die
Strategie immer der
Spitzenkandidat bestimmt“. Sprich: Wird die Wahl vergeigt, hat es nicht an ihm gelegen. Denn er will Parteichef bleiben. Zum anderen bereitet er das Feld, Verluste für die CSU Merkel anzukreiden. Mit der Formulierung mit der Migration als Mutter aller Probleme hat er natürlich nicht nur die Flüchtlingspolitik angesprochen, sondern bei vielen die Assoziation zu Merkel geweckt, die lange despektierlich Mutti genannt wurde. Er hält sich zwar an die Vereinbarungen von Anfang Juli, Rücknahme-Abkommen mit Spanien, Griechenland und bald auch Italien abzuschließen. Zugleich markierte er aber bei einer CSU-Tagung in Neuhardenberg bei Berlin das absehbare Ergebnis: „Das ist ein Stück mehr Ordnung, aber es führt nicht zur Begrenzung der Zuwanderung.“
Er hätte also den Beleg, dass Merkels Kurs nicht ausreicht. Er hätte Recht behalten mit seiner Forderung, dass mehr kommen müsse. Zum Beispiel die von ihm ultimativ verlangte und von Merkel strikt untersagte Zurückweisung an der
deutsch-österreichischen Grenze. Dabei verschweigt er gern, dass er persönlich und öffentlich Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz zugesichert hat, dass eine Zurückweisung von Asylbewerbern in dessen Land nie beabsichtigt gewesen sei. Sollte Seehofer nach der Landtagswahl als Parteichef gehen müssen, dürfte er alles daran setzen, Merkel mitzureißen. Die „Mutter aller Probleme“war da womöglich nur ein Vorgeplänkel vom Vater neuer Konflikte, wenn man bei Seehofers Wortwahl bleiben möchte.
Stephan Bloch meint: „Wenn es uns als CSU in den fünf verbleibenden Wochen bis zur Landtagswahl nicht gelingt, Luft in unser internes Parteivakuum zu lassen, dann wird die Partei ihr Ziel der absoluten Mehrheit knallhart verfehlen. Da wird man auch der Kanzlerin keine Schuld mehr zuweisen können.“Sollte Seehofer Parteichef und Innenminister bleiben und Merkel ihre Amtszeit zu Ende bringen, droht der Union eine Dauerkrise. Der Streit zeigt, dass die beiden inzwischen in zwei verschiedenen Universen leben.