„Es geht um den Rechtsstaat“
Der FDP-Partei- und Fraktionschef über ein überreiztes Debattenklima, den Fall Sami A. und über seine Spende an die Liberalen.
Herr Lindner, die Volksparteien sind ratlos, wie sie die Spaltung der Gesellschaft aufhalten können. Eine Idee?
LINDNER Wie wäre es mit einer anderen Politik? Die Themen der Mitte der Gesellschaft bei wirtschaftlichen Fragen oder Bildung spielen kaum eine Rolle. Wenn man Probleme und Chancen der Einwanderungspolitik anspricht, löst man oft öffentliche Empörung aus. Das ist überreizt. Mir wird zu schnell von Rechtsruck gesprochen, wenn es in Wahrheit um Rechtsstaat geht, weil dann wirklicher Rassismus verharmlost wird. Statt Empörungswellen brauchen wir ein modernes Einwanderungsgesetz, das klar unterscheidet zwischen Menschen, die hier bleiben können oder neu eingeladen werden, und anderen, die gehen müssen.
Sollen Flüchtlinge, die bereits in den Arbeitsmarkt integriert sind, durch das Einwanderungsgesetz ein Bleiberecht bekommen? LINDNER Ja, wenn sie wirklich integriert sind und den Kriterien eines Einwanderungsgesetzes genügen. Da kann es keinen Rabatt geben. Wenn das gewährleistet ist, sollten wir uns über diese Fachkräfte freuen. Wir schieben ja oft genug die Falschen ab. Mit klaren Kriterien für den sogenannten Spurwechsel und konsequenteres Abschieben von Ausreisepflichtigen kann man auch die Bedenken der Union ausräumen, dass man mehr Menschen anziehe.
Haben wir beim Thema Abschiebungen ein Vollzugsproblem oder ein Problem der Gesetzeslage? LINDNER Beides. Eine neue Regelung brauchen wir dringend bei den Maghreb-Staaten, die zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden müssen. Der Fall Sami A., dessen Abschiebung rechtlich gescheitert ist, wäre so nicht passiert, wenn Tunesien bereits ein sicheres Herkunftsland wäre. In dieser Frage gibt es eine fahrlässige Blockade der Grünen im Bundesrat. Wir haben zudem ein Vollzugsproblem, weil oft genug der Mut zur konsequenten Anwendung bestehenden Rechts fehlt.
Was man ihrem Parteifreund Joachim Stamp nicht vorwerfen kann. LINDNER Ich habe Anerkennung dafür, dass FDP-Integrationsminister Stamp in NRW den Mut zu einer vertretbaren, aber riskanten Rechtsauffassung hatte. Er hat es riskiert, dass ein Gericht ihm am Ende widerspricht. Jetzt gilt die gerichtliche Entscheidung. Nachher ist man immer klüger. Aber vorher aus Ängstlichkeit den Rechtsrahmen für Abschiebungen nicht auszuloten, wäre auch nicht gut gewesen.
Der Schaden im Fall Sami A. aber ist groß: Er schlägt immer wieder Wellen der Empörung, heizt die Debatte um die Flüchtlingspolitik an und wahrscheinlich wird der Mann nach NRW zurückkehren. LINDNER Das Versäumnis liegt in Berlin. Frau Merkel hat in ihrer Regierungserklärung diesen Fall angesprochen. Sie hat aber nicht zum Telefonhörer gegriffen, um von Tunis eine Zusicherung zu erhalten, dass es keine Folter gibt. Das ist der Job des Auswärtigen Amts und das hat diese Zusicherung angefordert.
LINDNER Aber offensichtlich ohne Erfolg. Kanzlerin, Innenminister, Außenminister – alle haben den Fall groß thematisiert. Erreicht wurde nichts.
Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Ihr Parteivize hat nach den Ausschreitungen in Chemnitz gesagt, die Wurzeln dafür lägen im Wir-schaffen-das der Kanzlerin. Ist das ein Debattenbeitrag, der das gereizte Klima mildert?
LINDNER Herr Kubicki hat seine Äußerung erklärt und eingeräumt, dass er missverständlich formuliert hat. Dann muss auch einmal gut sein mit der Empörung. Für die FDP ist klar: Es gibt keine Entschuldigung für Hetze oder Gewalt. Und das gilt für rechts und links zugleich, wie aktuell bei den Protesten gegen die Braunkohle.
Es ist immer die Frage, welche Zusammenhänge man herstellt. LINDNER Der Zusammenhang lässt sich darstellen: Die AfD im Deutschen Bundestag ist eine Partei, die offensichtlich keine Abgrenzung nach ganz rechts mehr kennt und die völkisch-autoritär ist. Nicht alle ihre Wähler sind genauso. Sie lehnen aber die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel ab. Wir müssen unsere Liberalität behaupten und zugleich das staatliche Organisationsversagen beseitigen.
Die Union fordert nun die komplette Abschaffung des Soli. Hätte sie es früher gesagt, hätten Sie sich dann doch auf eine Jamaika-Koalition eingelassen?
LINDNER Die Chance auf Jamaika wäre größer gewesen. Aber CDU und CSU haben die FDP alleingelassen beim Verzicht auf den Soli. Allerdings hätte es mit Frau Merkel und den Grünen in den Bereichen Energie und Einwanderung, Europa und Bürokratismus weiter großen Dissens gegeben.
Dann wird der Soli jetzt ohne Ihre Hilfe abgeschafft?
LINDNER Das würde ich begrüßen, aber ich glaube der Union kein Wort beim Thema Steuern. Vor der Bundestagswahl machen sie Versprechungen, nach der Wahl ist alles vergessen. Die Taten sprechen eine andere Sprache. Bei der Steuer passiert weniger, als Union und SPD zusammen vor der Wahl versprochen haben. Sozialbeiträge steigen unter dem Strich. Die neuen Soli-Forderungen halte ich für ein Manöver vor den Wahlen in Bayern und Hessen. Spätestens zum 1. Januar 2020 wird der Solidaritätszuschlag verfassungswidrig. Zu diesem Zeitpunkt würden wir dann auch gegen den Soli klagen, wenn es den politischen Willen ihn abzuschaffen nicht gibt.
Warum haben Sie 50.000 Euro an Ihre eigene Partei gespendet? LINDNER Mir liegt die Stärkung der FDP am Herzen. Als Parteivorsitzender sehe ich mich da auch selbst in besonderer Verantwortung. Deshalb leiste ich meinen Beitrag aus privaten und versteuerten Einkünften. Die Partei hat mir vieles ermöglicht, wofür ich dankbar bin.