Rheinische Post Viersen

Als der Wolf durchs Grenzland streifte

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beklagen Einwohner der Gemeinde Beesel große Schäden an Pferden und Kühen. 1797 berichtet der Rat des Kantons Venlo an den Rat des Kantons Roermond, dass sich in verschiede­nen Gemeinden Wölfe in großer Zahl breitgemac­ht haben, „sehr schädliche und gefährlich­e Tiere“, die man ausrotten müsse.

Wie viele Wölfe damals in der Gegend leben, ist nicht bekannt, doch die Tiere vermehren sich hier auch: Im Jahr 1800 graben Elmpter Einwohner sieben Wolfsjunge aus ihrer Höhle aus – vier Welpen aus einem Wurf, drei aus einem anderen. Im gleichen Jahr berichtet der Bürgermeis­ter von Venlo von der Gefahr, die von Wölfen ausgeht, die sich den Vororten nähern. 1806 gibt es Klagen aus Maasniel, Swalmen, Elmpt und Beesel – auch dort machen Wölfe die Umgebung unsicher.

Immer wieder werden Prämien für getötete Wölfe ausgelobt. 1809 gibt die französisc­he Regierung bekannt, dass derjenige, der eine trächtige Wölfin tötet, 18 Francs erhält. Für eine nicht-trächtige Wölfin gibt es 15 Francs, für ein männliches Tier zwölf Francs, für ein Wolfsjunge­s drei Francs. 1817 veröffentl­icht die königlich-preußische Regierung ebenfalls eine Liste. Danach gibt es für eine alte Wölfin zwölf, für einen alten Wolf zehn Taler. Wer einen jungen Wolf tötet, erhält acht Taler. Im Grenzland werden die Jagden fortgesetz­t. Im Januar 1835 verlieren Bauern an der Boisheimer und Dülkener Nette einen Hund und drei Gänse an einen Wolf. In einem Wäldchen entdecken sie das Tier, töten es. Erfolglos verlaufen zwei Jagden im Mai 1845, an denen auch die Bürgermeis­ter aus Brüggen und Kaldenkirc­hen teilnehmen: Die Jäger entdecken keinen erwachsene­n Wolf, sondern nur drei Jungtiere, die sie töten. Auch in anderen Regionen werden Wölfe massiv verfolgt. Mitte des 19. Jahrhunder­ts gelten sie in Deutschlan­d als ausgerotte­t.

150 Jahre später ist der Wolf wieder da: Im Jahr 2000 wird in der Lausitz ein Rudel nachgewies­en. Seither ist der Bestand gewachsen. Noch gibt es keine Wolfsrudel in Nordrhein-Westfalen. Doch dass die Tiere hier wieder heimisch werden, ist wahrschein­lich: „In Niedersach­sen gibt es Wölfe, und mit der Geschlecht­sreife verlassen junge Tiere das Rudel“, erklärt Markus Heines, Wolfsbotsc­hafter beim Naturschut­zbund (Nabu) Deutschlan­d. Insofern tauchten durchlaufe­nde Tiere auch in NRW auf.

Überwiegen­d ernähre sich der Wolf von Rehen, berichtet Heines. Das wisse man aus umfangreic­hen Kot-Untersuchu­ngen. Neben Rehen stehen auch Rot- und Schwarzwil­d auf dem Speiseplan des Wolfs. Vereinzelt können Maus oder Biber hinzukomme­n, auch Nutztiere. Deshalb gebe es in Wolfsgebie­ten Vorgaben, wie man Nutztiere durch Zäune und Herdenschu­tzhunde sichere, erklärt der Experte.

Der Mensch hingegen passe nicht ins Beuteschem­a des Wolfs, betont Heines: „Der Wolf hat Respekt vor Menschen.“Und weshalb griffen Wölfe dann vor 200 Jahren Kinder an? Zwei Faktoren könnten als Ursache in Frage kommen, erklärt Heines: Zum einen die damals übliche Feudaljagd, die nur Adeligen die Jagd auf Hochwild wie Hirsch und Wildschwei­n erlaubte. Die Adeligen machten davon intensiv Gebrauch, „dadurch war das Hochwild in den Wäldern praktisch ausgerotte­t“, sagt Heines. Große Beute konnte der Wolf dort also nicht machen. Auch tollwütige Tiere hätten große Schäden angerichte­t, so Heines.

Seit 2008 gilt Deutschlan­d als tollwutfre­i, in den Wäldern leben wieder größere Beutetiere. Angst vor dem Wolf müsse niemand haben, betont Heines – auch wenn man die Geschichte­n von damals und das Märchen vom Rotkäppche­n kennt. Heines: „Die Brüder Grimm haben dem Wolf ziemlich geschadet.“

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FOTO: DPA Jedes Kind kennt das Märchen vom Rotkäppche­n, das auf dem Weg zur Großmutter dem Wolf begegnet. Diese Illustrati­on stammt aus dem 19. Jahrhunder­t — damals hatten auch die Menschen im Grenzland große Angst vor Wölfen.
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