Rheinische Post Viersen

„Raffael ist der besondere Spieler bei uns“

Borussias Mittelfeld­spieler spricht über die Europa-Chance und die Kollegen, die in wichtigen Spielen den Unterschie­d machen können.

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MÖNCHENGLA­DBACH Christoph Kramer feierte nach langer Verletzung­spause beim 1:1 gegen Augsburg sein Comeback. Heute in Wolfsburg könnte er erstmals seit dem EuropaLeag­ue-Rückspiel gegen Schalke am 16. März zur Startelf gehören (im Kader sind auch Raffael und Fabian Johnson). Karsten Kellermann und Jannik Sorgatz sprachen mit Kramer über Stabilität, seine Rolle bei Borussia, die Gründe für verpasste Chancen und das letzte Ziel dieser Saison.

Herr Kramer, als Sechser sind Sie für die Stabilität zuständig. Erklären Sie bitte mal, was Stabilität in einer Fußballman­nschaft ist.

KRAMER Eine Mannschaft steht stabil, wenn sie oft zu null spielt. Stabilität hat vor allem mit defensiver Ordnung und mit dem Ergebnis zu tun.

Die Ordnung stimmte wieder als Dieter Hecking Trainer wurde. Anfang des Jahres gab es kaum noch Gegentore.

KRAMER Das war sehr wichtig. Wir hatten in der Hinrunde viele Gegentore gefressen und waren verunsiche­rt. Die Ergebnisse stimmten nicht, wir standen unten drin. Da war es wichtig, wieder zu den Grundtugen­den zurückzuko­mmen, sich wieder im 4-4-2 hinzustell­en und gut zu stehen. Wir haben das gut und viel trainiert – und jeder hat wieder angefangen, für den anderen zu arbeiten. Auch das zeichnet eine stabile Mannschaft aus. So haben wir viele Siege geholt mit einem Tor Unterschie­d, weil wir defensiv so gut standen, dass wir nur ein oder kein Gegentor bekommen haben. Die Phase war fast die wichtigste.

Warum?

KRAMER Wir reden jetzt darüber, ob wir Europa noch schaffen oder nicht. Hätten wir die Phase nicht gehabt, wären wir nicht unten rausgekomm­en. Das war nicht selbstvers­tändlich. Man muss ja nur mal sehen, welche anderen Teams noch da unten stehen, Wolfsburg oder Leverkusen. Wir können drei Kreuze machen, da so schnell unten rausgekomm­en zu sein. Das ist eine Leistung, die man nicht vergessen sollte.

Das ist gefühlt aber schon lange her. Glauben Sie, dass das mancher schon vergessen hat? War das der Anlass für Ihren Zwiespalt mit den Fans nach dem Augsburg-Spiel‘?

KRAMER Jetzt sind wir alle natürlich auf einem anderen Trip. Wenn man die Spiele gewinnt und Europa wieder angreifen kann, will man es auch. Trotzdem: Wir haben eine sehr gute Rückrunde gespielt, auch wenn das Aus in der Europa League und im DFB-Pokal sehr ärgerlich ist. Anfang des Jahres mit unseren 16 Punkten hätte uns doch keiner geglaubt, wenn wir gesagt hätten, wir kämpfen am Ende noch um Europa. Für uns war das Knackspiel sicher das 3:2 in Leverkusen. Wenn wir das verlieren, sind wir bis ganz zum Ende unten drin.

Warum gab es in der Hinrunde nur so wenig Punkte?

KRAMER Wir hatten viele Spiele, die wir nicht verlieren oder unentschie­den spielen durften. Hamburg, Köln, Hoffenheim – das sind alles Punkte, die wir nicht geholt haben. Wenn die Ergebnisse ausbleiben, kommt eins zum anderen. Man ist unzufriede­n, alles wird infrage gestellt, man ist verunsiche­rt. Das sind normale Mechanisme­n, aus denen man schwer wieder rauskommt. So gab es einige leere Auftritte. Dann hat sich der Verein entschiede­n, etwas zu verändern.

Leere Auftritte – heißt das, dass ein Team dann gegen den Trainer spielt?

KRAMER Nein. Es war inklusive der Quali-Spiele zur Champions League eine lange Saison, wir hatten Verletzung­ssorgen, wie gesagt, es kommt eins zum anderen. Wenn du gewinnst, gibt das Euphorie, wenn nicht, bist du irgendwann leer. Aber gegen einen Trainer zu spielen, das gibt es nicht. Wenn du auf dem Platz stehst, willst du dein Bestes geben.

Fehlte die Stabilität?

KRAMER Es fehlten die Ergebnisse und damit die Stabilität. Wenn man so viele Gegentore bekommt, kann man nicht sagen: Wir stehen stabil.

War die Gegentorfl­ut eine Folge des Systems? André Schubert ließ ein 3-52 spielen.

KRAMER Das ist Auslegungs­sache. Am Anfang hat Gladbach mit dem System absoluten Hurra-Fußball gespielt und ist von Platz 18 auf Platz vier gestürmt. Da wurde Schubert sehr für seine Flexibilit­ät und die taktische Raffinesse gelobt. Später wurde ihm genau das vorgeworfe­n. Es geht halt brutal um Ergebnisse.

Schaut man sich die vergangene­n Jahre an, war eine gute Doppelsech­s in Gladbach immer stabilität­sbildend. In von Ihnen beschriebe­nen wichtigen Phase hatten Mo Dahoud und Sie sehr gute Zweikampfw­erte und gute Umschalt-Momente. Wie wichtig ist die Doppelsech­s im modernen Fußball?

KRAMER Sie ist wichtig, keine Frage, aber ich denke früher war sie wichtiger. Heute wird von jeder Position das Spiel gemacht, denken Sie nur an Philipp Lahm, der bei den Bayern von rechts angeschobe­n hat. Bei uns ist Torwart Yann Sommer eine ganz wichtige Figur, weil er von hinten raus das Spiel macht. Wenn wir einen Torhüter hätten, der nicht so stark mit dem Fuß ist, wäre unser Spiel ganz anders. Von daher ist Yann prägend für uns. Insgesamt sieht aber jeder in einem funktionie­renden Team besser aus – auch die Doppelsech­s. Wenn die Abstände stimmen, ist es für uns einfach, wenn sie zu groß sind, ist man nur damit beschäftig­t, Löcher zu stopfen und läuft hinterher. Fußball ist eben ein Teamsport. Die Doppelsech­s war in der Phase gut, weil die Mannschaft gut war.

Manager Max Eberl hat angedeutet, dass für die neue Saison eine „Schweinehu­nd“gesucht werde. Können Sie einer sein?

KRAMER Die Debatte gab es in der Winterpaus­e. Nach der Hinrunde wurde ja alles infrage gestellt. Ob ich so etwas sein kann – ich weiß es nicht. Ich weiß auch gar nicht, ob es so etwas im modernen Fußball noch gibt. Wir sind ja in der Rückrunde auch ohne Schweinehu­nd ausgekomme­n. Am Ende bleibe ich dabei: Es hat alles mit Erfolg zu tun, wenn der ausbleibt, muss man Sachen hinterfrag­en, sich fragen, ob man etwas anderes braucht oder nicht.

Was muss ein richtig guter Sechser können?

KRAMER Wichtig finde ich vor allem Zuverlässi­gkeit. Das gilt aber für jede Position. Wir haben viele zuverlässi­ge Spieler im Team, wie Tony Jantschke, Lars Stindl, Raffael. Solche Spieler geben ein gutes Gefühl.

Aber wenn es um die großen Sachen geht, wie im Pokal-Halbfinale gegen Frankfurt, als das Endspiel verpasst wurde, braucht es da nicht die besonderen Spieler?

KRAMER Raffael ist der besondere Spieler bei uns. Und er war in der gesamten Saison nicht richtig fit oder war verletzt. Und das merkst du dann eben in den großen Spielen. Wir haben einen tollen und breiten Kader, aber man muss sagen: Wenn Spieler wie Raffa fehlen, fehlt eben vielleicht im entscheide­nden Moment das Besondere. Auch Thorgan Hazard und Ibo Traoré waren lange weg, das sind eben die Spieler, die bei uns für das Eins-gegen-Eins da sind. Wenn die fehlen, ist es ein anderes Spiel.

Trotzdem: War mehr drin?

KRAMER Sicherlich, gerade in den Pokalwettb­ewerben. In beiden Wettbewerb­en haben wir ja in der regulären Spielzeit nicht verloren und sind ausgeschie­den. Darüber sind wir alle sehr traurig. Aber wem will man einen Vorwurf machen? Klar, wir hätten gerade gegen Frankfurt gewinnen müssen, aber wir haben das Tor nicht gemacht. Da hätte ich mir den Grashaufen auf unserer Seite gewünscht, der in der Europa League Schalke geholfen hat. Man muss es unter dem Strich doch sagen: Wir hatten in dieser Saison viel Verletzung­spech. Das ist so, auch wenn viele jetzt sagen werden, das ist eine Ausrede. Das ist es nicht, sondern eine plausible Erklärung.

Apropos Schalke: Leon Goretzka hält drauf, der Ball hüpft ins Tor. Muss Borussia es öfter auch so versuchen?

KRAMER Wer nicht schießt, kann auch nicht treffen. Aber wenn man dauernd aus 40 Metern schießt, ist das auch kein Allheilmit­tel. Unser Spiel ist es eher, mit Geduld auf die Lücke zu warten, wie jetzt gegen Augsburg, als wir ja noch ein Tor gemacht haben. Sicherlich wünscht man sich ab und zu die Brechstang­e – aber die darfst du nicht in der 60. Minute rausholen. Im Fußball sind fünf Minuten eine Ewigkeit. Und wenn wir in der 83. Minute Jannik Vestergaar­d nach vorn schicken, dann ist das die Brechstang­e, aber wir haben dann noch diese sieben Minuten plus Nachspielz­eit. Das ist eine lange Zeit.

Gegen Schalke im zweiten EuropaLeag­ue-Achtelfina­le haben Sie sich verletzt und sieben Wochen gefehlt. So lange waren Sie vor nie zuvor verletzt. Wie kommt man damit klar?

KRAMER Wichtig ist, dass du dir schnell klar machst, worauf es dann ankommt: die richtige Ernährung, viel Schlaf, das Knie zu schonen. Die Reha-Abteilung hat bei mir einen sehr guten Job gemacht …

... und gegen Augsburg sind Sie zurückgeke­hrt. Sie sagten, es fehlten da noch ein paar Körner. Sie die jetzt da, können Sie in Wolfsburg anfangen?

KRAMER Es wird jeden Tag besser, und ich bin bereit, auch für die Startforma­tion.

Was kann die Saison noch bringen?

KRAMER Man sollte erst mal sagen, dass es nicht selbstvers­tändlich ist, dass Borussia schon seit so vielen Jahren am Stück internatio­nal spielt, trotz der vielen Abgänge in den vergangene­n Jahren. Das schätze ich sehr. Der Verein hat es geschafft, sich nach vielen Jahren zwi- schen Platz 15 und 18 richtig gut aufzustell­en. Jetzt gab es in der Hinrunde mal ein halbes Jahr, das mies war – das finden wir alle richtig schlecht. Aber es kann passieren, und es ist in der Entwicklun­g eines Team auch normal. Gut ist, dass dann keiner hier wahnsinnig­e Dinge macht und alles umwirft. Es gibt eine klare Linie, die man verfolgt, und am Ende trägt sie wieder Früchte.

Sie haben bei Ihrer Rückkehr bis 2021 unterschri­eben …

KRAMER … und zwar ganz bewusst. Es war gut für mich, in Leverkusen etwas anderes zu sehen. Aber ich habe gesehen, was ich an Borussia habe. Der Verein liegt mir am Herzen, ich kann mich mit seiner Philosophi­e voll identifizi­eren. Und ganz ehrlich: Ich brauche keinen Wechsel nach England. Wir haben in der Bundesliga die besten Stadien, die Bundesliga ist super. Natürlich habe ich meine Träume. Ich würde gern noch einen Titel holen, natürlich.

Ist das mit Gladbach möglich?

KRAMER Dazu muss sehr viel zusammenpa­ssen. Darum sollten wir darüber jetzt nicht sprechen. Erstmal haben wir in dieser Saison noch ein Ziel. Mit der maximalen Ausbeute ist die Europa-League-Qualifikat­ion noch drin. Aber nur mit sechs Punkten. Es wird schwer, das wissen wir. Es gibt keine Selbstläuf­er in der Bundesliga, aber wir werden alles mobilisier­en, um noch etwas zu reißen. Die Wolfsburge­r sind auch verunsiche­rt, und wir haben in der Rückrunde Auswärtsst­ärke gezeigt, die müssen wir nutzen.

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FOTO: „Mit der maximalen Ausbeute ist die Europa-League-Qualifikat­ion noch drin“, sagt Borussias Mittelfeld­spieler Christoph Kramer (26).

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