Grüne reden sich ihre Krise schön
Die Umfragewerte sind im Keller, die Machtoptionen brechen weg. Die NRW-Grünen haben keinen Plan, wie sie die Stimmung drehen wollen. Spitzenkandidatin Löhrmann will sich in eine Minderheitsregierung retten.
DÜSSELDORF Auf dem Weg zu ihrem Fraktionssaal waren die meisten der 29 grünen Abgeordneten gestern Morgen um kurz vor 10 Uhr sichtlich niedergeschlagen. Bemühte Freundlichkeit, hölzerner Small Talk auf den Landtags-Fluren. Allen war klar: In wenigen Minuten würde Fraktionschef Mehrdad Mostofizadeh die vielleicht schwärzeste Sitzung eröffnen, die das grüne Landtagsteam seit Gründung der rot-grünen NRW-Koalition vor sieben Jahren über sich ergehen lassen musste.
Sieben Prozent. Mehr bringt die Regierungspartei der jüngsten Umfrage zufolge nicht auf die Waage. So wenig Zustimmung hatten die NRW-Grünen zuletzt vor neun Jahren. Aber auch eine halbe Woche nach dem desaströsen Umfrageergebnis und drei Monate vor der Landtagswahl zeigte die Fraktionssitzung gestern: Die Partei hat keine echte Antwort darauf. Sie will weder Themen noch Personen austauschen. Dem Vernehmen nach hat die Berliner Agentur Wigwam, die den Wahlkampf des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg organisiert hat, davon abgeraten.
Nur eins soll sich ändern: „Wir müssen wieder sichtbar werden“, fasst ein Teilnehmer die dünne Bilanz der Sitzung zusammen. In der öffentlichen Wahrnehmung sehen die Grünen sich derzeit um Aufmerksamkeit betrogen. Auf der einen Seite vom Hype um den neuen SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz, der nach ihrer Meinung derzeit die komplette Aufmerksamkeit der rot-grünen Klientel absorbiert. Auf der anderen Seite registriert die Fraktion, wie ein zunehmend an Format gewinnender CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet und das FDP-Phänomen Christian Lindner ihnen die Show stehlen.
Dazwischen sehen sich die Grünen, gefesselt an ihre Kernthemen wie Frauenquote und NRW-Klimaschutzplan. Themen, die das Publikum in Zeiten des Terrors aber kaum interessieren. „Ein relevantes Alleinstellungsmerkmal haben wir derzeit nur mit unserer glasklaren Position gegen den Flughafenausbau in Düsseldorf“, räumte gestern ein Fraktionsmitglied ein. Ideen für ein optimiertes Themen-Portfolio setzten sich Teilnehmerangaben zufolge gestern nicht durch. Trotz ihrer desolaten Lage verabredeten die Grünen sich aber darauf, wenigstens nach außen Optimismus auszustrahlen.
Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann versuchte nach Kräften, das noch am selben Tag bei einer Pressekonferenz umzusetzen. Eigentlich ging es dabei um das Thema Schule. Aber Löhrmann wollte mit Blick auf die jüngsten Umfragewerte unbedingt loswerden: „Uns versetzt das nicht in Schockstarre. Das sehe ich vielmehr als Weckruf.“Fakt sei, dass laut derselben Umfrage 48 Prozent der Bürger in NRW eine rot-grüne Koalition als nächste Regierung befürworten würden – mehr als jede andere denkbare Konstellation.
Mit ausgestrecktem Finger erinnerte Löhrmann an die rot-grüne Minderheitsregierung zwischen 2010 und 2012. „Ich wollte diese Minderheitsregierung“, sagte sie. Man habe damals eine Reihe guter Sylvia Löhrmann
Sylvia Löhrmann, stellvertretende Ministerpräsidentin
Landtagswahl 2012 30.10.2016 Infratest Dimap 21.01.2017 Emnid 27.01.2017 Yougov 10.02.2017 Forschungsgruppe Wahlen Entscheidungen mit wechselnden Mehrheiten getroffen. „Ich schließe nicht aus, erneut eine Minderheitsregierung zu bilden.“
Den Schulz-Hype, der kurz zuvor in der Fraktionssitzung offenbar noch problematisiert worden war, verkaufte Löhrmann bei der Pressekonferenz plötzlich als Chance: Der „Schulz-Effekt“, wie sie ihn wörtlich nannte, mache eine rot-grüne Koalition auf Bundesebene möglich. „In Berlin wollen wir die nächste Regierung mitbilden“, sagte sie und schloss dort ein Bündnis mit den Linken nicht aus.
In NRW sei hingegen ein Hauptziel, die „Linke aus dem Landtag rauszuhalten“. Bürger, die eine sozialere Politik wollten, seien bei den Grünen gut aufgehoben. Die Sondierungsgespräche 2010 mit den Linken seien in NRW „ernüchternd“gewesen. Offensichtlich reagierte Löhrmann mit ihrer Skepsis gegenüber der Linken auch auf ein Nebenergebnis der jüngsten Umfrage: Drei-Parteien-Bündnisse lehnen die meisten Wähler in NRW derzeit ausdrücklich ab.
Trotzdem liebäugelten auch gestern wieder mehrere Abgeordnete mit einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition. Die könnte es der Umfrage zufolge derzeit rechnerisch auf eine hauchdünne Regierungsmehrheit bringen. Die lauten Bedenken von FDP-Chef Christian Lindner gegen ein Bündnis mit den Grünen nehmen diese nicht allzu ernst. „Vielleicht gibt es ja erst mal eine Minderheitsregierung, und wenn der Lindner dann nach Berlin wechselt, verhandelt es sich mit der FDP auch leichter“, so ein Mitglied des Parteivorstandes.
Zunächst aber hoffen die Grünen auf den kommenden Sonntag. Dann will der WDR die Ergebnisse einer neuen Wählerumfrage veröffentlichen.
„Uns versetzt das nicht in Schockstarre. Das sehe ich vielmehr als Weckruf“ Grünen-Spitzenkandidatin in NRW über die jüngsten Umfragewerte