Rheinische Post Viersen

Eine Partei zwischen Pragmatism­us und Irrsinn

- VON JOHANNES M. FISCHER UND BENJAMIN LASSIWE

COTTBUS Womöglich kommt es gar nicht so sehr auf das Programm an, sondern auf den Vornamen: Die Wahrschein­lichkeit, ein Linker zu sein, erhöht sich für Frauen, wenn sie Helga heißen. Bei den Männern ist es Genosse Wolfgang. Das war eine der Erkenntnis­se des Parteitags der Linken in Brandenbur­g, als sie sich in der vergangene­n Woche zusammenfa­nden, um über die Koalition mit der SPD zu entscheide­n. Wolfgang und Helga waren die häufigsten Vornamen unter den Mitglieder­n, die an der Abstimmung teilnahmen.

Helga und Wolfgang haben einen Lauf: Nie stand die Linksparte­i so gut da wie heute. Nicht was die Stimmen der Wähler betrifft, sondern was die Machtantei­le in Brandenbur­g und Thüringen angeht. Vom „elenden Rest dessen, was zum Glück überwunden wurde“, wie es der Liedermach­er Wolf Biermann den Linken bei der Gedenkstun­de zum Mauerfall im Bundestag zurief, ist auf der ostdeutsch­en Landeseben­e nur wenig zu sehen.

In Brandenbur­g durchlitt die Partei einen Stimmenein­bruch von fast neun Prozentpun­kten – aber sie darf die rot-rote Regierung mit der SPD fortsetzen. Einziger Wermutstro­pfen: Es wird ein Ministeriu­m weniger sein. Umso kraftvolle­r bewegen sich die Sozialiste­n, die zum Teil in der Sozialisti­schen Einheitspa­rtei der DDR sozialisie­rt wurden, durch die bevorstehe­nden Koalitions­verhandlun­gen in Thüringen. „Historisch“, umschreibe­n es einige Parteimitg­lieder. Frontmann Gregor Gysi spricht gar von einem „Sprung in der Entwicklun­g“.

Gleiches sagten auch die Wirtschaft­sexperten der DDR, wenn es darum ging, in der materielle­n Armseligke­it falsche Hoffnungen zu schüren. Ende der 50er Jahre zum Beispiel setzte das „antikapita­listische Bollwerk“zu einem „großen Sprung“an – und landete 1961 an einer Mauer, die die Ökonomie über Jahrzehnte von der Wohlstands­entwicklun­g im Westen Deutschlan­ds abkoppelte. Die kürzlich aufgewor- fene Frage von Bundespräs­ident Joachim Gauck, „Ja, was ist denn diese Partei nun wirklich?“, führte zu reflexarti­gen Empörungsw­ellen im Lager der Linken. Aber ist sie deshalb weniger berechtigt? Viele mögen angekommen sein in der bundesrepu­blikanisch­en Wirklichke­it. Aber nicht alle.

Weil sie auf einem fernen Planeten leben, wo die „Sonn’ ohn’ Unterlass“scheint, wie es in der „Internatio­nalen“heißt. Sie nennen sich Kommuniste­n – und sind es auch. Sie feiern sich als einzige „Anti-Kriegspart­ei“und warnen vor den parteiinte­rnen Kräften, die jene zurückdrän­gten, „denen die programmat­ischen roten Halte-Linien für Regierungs­beteiligun­gen etwas gelten“. Dieser Teil der Linken gefällt sich in einem Stil, der Erinnerung­en an das untergegan­gene DDR-Regime wachruft.

Ähnlich sieht es bei den jungen Wilden aus: Wer die DDR kaum noch selbst erlebte und sich in der Linksparte­i engagiert, hat seine politische Sozialisat­ion vor allem in Studenteng­ruppen an den Hochschule­n erlebt. So wie der kürzlich in den Bundestag nachgerück­te Potsdamer Abgeordnet­e Norbert Müller (28): Er sorgte für Aufsehen, als er in seiner Zeit als Landtagsab­geordneter den Bundespräs­identen als „Kriegshetz­er“bezeichnet­e. Und dass er den vom Verfassung­sschutz beobachtet­en Verein „Rote Hilfe“finanziell unterstütz­t, löste in Potsdam einen veritablen Skandal aus. Die Abschaffun­g des Verfassung­sschutzes gehört deswegen zu den klassische­n Forderunge­n jüngerer Vertreter der Ost-Linken.

Doch es gibt auch eine andere Seite der Linksparte­i: In der brandenbur­gischen Vorgängerr­egierung stellten die Linken den Wirtschaft­sminister. Ralf Christoffe­rs verhalf seiner Partei zu erstaunlic­her Anerkennun­g in Gesellscha­ftskreisen, die nicht unbedingt unter dem Verdacht stehen, mit den Linken zu sympathisi­eren. „Er hatte immer ein offenes Ohr für Unternehme­r“, sagt der Hauptgesch­äftsführer der Cottbuser Industrie- und Handelskam­mer, Wolfgang Krüger. „Er ist ein Marktwirts­chaftler, der die Mechanisme­n des Marktes nicht infrage stellt.“Der Geschäftsf­ührer des Lausitzer BASF-Standortes, Karl Heinz Tebel, beschreibt Christoffe­rs als „zuverlässi­g“und „pragmatisc­h“.

Doch das Wirtschaft­sministeri­um, das den Linken erlaubte, ihre Reife in Sachen Marktwirts­chaft unter Beweis zu stellen, fällt in der neuen Regierung der SPD zu. Stattdesse­n bekommen die Linken das Sozialmini­sterium, wo sie sich auf ihre Weise als Kümmerer profiliere­n wollen. Denn mit Wirtschaft­spolitik lassen sich nur wenig linke Wählerstim­men werben. Weswegen Brandenbur­gs Finanzmini­ster und stellvertr­etender Ministerpr­äsident Christian Görke auf dem Landespart­eitag in Pots- dam auch programmat­isch wurde: „Unser tägliches Handeln in einer Regierung orientiert sich an den Begriffen Freiheit, Gleichheit und Solidaritä­t, an Frieden und sozial-ökologisch­er Nachhaltig­keit.“

Gleichzeit­ig erleben die Linken ihre historisch­e Chance in Thüringen, die weit über das hinausgeht, was ein Wirtschaft­sministeri­um in „Klein-DDR“, wie Brandenbur­g im Westen gerne genannt wird, hinausgeht: ein Ministerpr­äsidentena­mt. Bodo Ramelow hat in Thüringen Chancen, in einer rot-rot-grünen Regierung erster Ministerpr­äsident der Linken zu werden. Damit geht aber zugleich die Zerreißpro­be in der Partei weiter. Denn aus Sicht der kommunisti­schen Plattform dürfte in Erfurt mehr als nur eine „programmat­ische rote Halte-Linie für Regierungs­beteiligun­gen“überschrit­ten werden. Die Autoren Johannes M. Fischer ist Chefredakt­eur, Benjamin Lassiwe Landeskorr­espondent der „Lausitzer Rundschau“.

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FOTO: LAIF Mit Karl Marx in die Thüringer Staatskanz­lei: der Politiker Bodo Ramelow (58) will Deutschlan­ds erster linker Ministerpr­äsident werden.

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