Middelhoff noch im Gerichtssaal verhaftet
Das Essener Landgericht hat den ehemaligen Arcandor-Chef wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Wegen Fluchtgefahr muss der Manager sofort in Untersuchungshaft.
ESSEN Der Strafprozess gegen den früheren Arcandor-Chef Thomas Middelhoff ist mit einem spektakulären Urteil zu Ende gegangen. Das Landgericht Essen verurteilte Middelhoff wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe von drei Jahren. Damit muss Middelhoff ins Gefängnis. Nach der Urteilsverkündung wurde er wegen Fluchtgefahr festgenommen. Der Haftbefehl gilt mindestens bis zur nächsten Woche; dann wird nach Angaben des Gerichts entschieden, ob Middelhoff gegen Zahlung einer Kaution vorläufig wieder ein freier Mann ist oder in Untersuchungshaft bleibt. In Justizkreisen war davon die Rede, dass er seine Haft in Bielefeld verbüßen solle. Dem Vernehmen nach wurde er zunächst in die Justizvollzugsanstalt Essen gebracht.
Middelhoff und seine Anwälte haben eine Woche Zeit, Revision gegen das Urteil einzulegen. Danach wäre das weitere Verfahren folgendermaßen: Das Gericht wird die schriftliche Begründung für seine Entscheidung allen Beteiligten zustellen; dann hätte die Middelhoff-Seite einen Monat Zeit, die Revision zu begründen. Schließlich ginge das Verfahren zum Bundesgerichtshof.
Ob es tatsächlich so weit kommt, war gestern noch offen. Die Anwälte Middelhoffs hatten in der vergangenen Woche auf Freispruch für ihren Mandanten plädiert. Doch die Kammer sah es als erwiesen an, dass der Manager seinem damaligen Arbeitgeber Arcandor über Jahre hinweg Flugkosten in vielen Fällen zu Unrecht in Rechnung gestellt hatte – unter anderem einen Flug nach New York für mehr als 90 000 Euro. Dort nahm Middelhoff ein Aufsichtsratsmandat bei der „New York Times“wahr.
Noch schwerer wog ein Geburtstagsgeschenk für Middelhoffs Wegbereiter beim Medienkonzern Bertelsmann, Mark Wössner. Dem hatte Middelhoff zum 70. Geburtstag eine Festschrift für mehr als 180000 Euro erstellen lassen. Die hätte Middelhoff zahlen müssen, urteilte das Gericht. Doch die Kosten trug Arcandor. In beiden Fällen sahen die Richter Untreue in besonders schwerem Fall, für die Höchststrafen von zehn Jahren vorgesehen sind. „Da bewegen wir uns noch im unteren Bereich“, sagte der Vorsitzende Richter Jörg Schmitt. Middelhoff habe vor Gericht zudem teils „abenteuerliche Erklärungen“abgegeben.
Im Zusammenhang mit sogenannten Vorstands-Wochenenden, die Middelhoff für das ArcandorManagement in seinem Ferienhaus in Südfrankreich organisiert hatte, wurde der Angeklagte allerdings freigesprochen. Hier habe er einen Teil der Kosten selbst getragen; außerdem seien diese Veranstaltungen tatsächlich auch dienstlich genutzt worden.
Zudem wertete das Gericht Middelhoffs Lebensleistung als strafmildernd, ebenso wie die Tatsache, dass der frühere Manager noch ohne Vorstrafen ist und dass er durch den Rummel um den Prozess schon erheblich belastet gewesen sei. Zudem sprach der Richter mit Blick auf den Gefängnis-Aufenthalt von „besonderer Haftempfindlichkeit“. Davon ist immer dann die Rede, wenn Verurteilte wegen ihrer bisherigen Lebensumstände besonders unter einer Gefängnisstrafe leiden würden.
Middelhoff nahm das Urteil mit versteinertem Gesicht zur Kenntnis. Er hatte stets beteuert, er habe sich „nichts zuschulden kommen lassen“. Doch nach Überzeugung der Kammer hat der frühere Konzernchef in 27 Fällen Flüge zu Unrecht über Arcandor abgerechnet und in drei Fällen auch Steuerhinterziehung begangen. Die ist dadurch entstanden, dass Arcandor die Rechnungen bezahlte und dadurch vorsteuer-abzugsberechtigt war.
Middelhoff war 2004 als Aufsichtsratschef zu Arcandor gekommen und ein Jahr später an die Vorstandsspitze gerückt. 2009 war er zurückgetreten. Kurz danach musste Arcandor Insolvenz anmelden. „Ohne diese Insolvenz hätte es diesen Prozess hier nie gegeben“, erklärte Richter Schmitt. Nach Einschätzung von Prozessbeobachtern könnte die Verurteilung im Strafprozess auch Folgen für die Zivilverfahren haben, in die Middelhoff noch verstrickt ist. Leitartikel Wirtschaft