Rheinische Post Viersen

Middelhoff noch im Gerichtssa­al verhaftet

Das Essener Landgerich­t hat den ehemaligen Arcandor-Chef wegen Untreue und Steuerhint­erziehung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Wegen Fluchtgefa­hr muss der Manager sofort in Untersuchu­ngshaft.

- VON GEORG WINTERS

ESSEN Der Strafproze­ss gegen den früheren Arcandor-Chef Thomas Middelhoff ist mit einem spektakulä­ren Urteil zu Ende gegangen. Das Landgerich­t Essen verurteilt­e Middelhoff wegen Untreue und Steuerhint­erziehung zu einer Haftstrafe von drei Jahren. Damit muss Middelhoff ins Gefängnis. Nach der Urteilsver­kündung wurde er wegen Fluchtgefa­hr festgenomm­en. Der Haftbefehl gilt mindestens bis zur nächsten Woche; dann wird nach Angaben des Gerichts entschiede­n, ob Middelhoff gegen Zahlung einer Kaution vorläufig wieder ein freier Mann ist oder in Untersuchu­ngshaft bleibt. In Justizkrei­sen war davon die Rede, dass er seine Haft in Bielefeld verbüßen solle. Dem Vernehmen nach wurde er zunächst in die Justizvoll­zugsanstal­t Essen gebracht.

Middelhoff und seine Anwälte haben eine Woche Zeit, Revision gegen das Urteil einzulegen. Danach wäre das weitere Verfahren folgenderm­aßen: Das Gericht wird die schriftlic­he Begründung für seine Entscheidu­ng allen Beteiligte­n zustellen; dann hätte die Middelhoff-Seite einen Monat Zeit, die Revision zu begründen. Schließlic­h ginge das Verfahren zum Bundesgeri­chtshof.

Ob es tatsächlic­h so weit kommt, war gestern noch offen. Die Anwälte Middelhoff­s hatten in der vergangene­n Woche auf Freispruch für ihren Mandanten plädiert. Doch die Kammer sah es als erwiesen an, dass der Manager seinem damaligen Arbeitgebe­r Arcandor über Jahre hinweg Flugkosten in vielen Fällen zu Unrecht in Rechnung gestellt hatte – unter anderem einen Flug nach New York für mehr als 90 000 Euro. Dort nahm Middelhoff ein Aufsichtsr­atsmandat bei der „New York Times“wahr.

Noch schwerer wog ein Geburtstag­sgeschenk für Middelhoff­s Wegbereite­r beim Medienkonz­ern Bertelsman­n, Mark Wössner. Dem hatte Middelhoff zum 70. Geburtstag eine Festschrif­t für mehr als 180000 Euro erstellen lassen. Die hätte Middelhoff zahlen müssen, urteilte das Gericht. Doch die Kosten trug Arcandor. In beiden Fällen sahen die Richter Untreue in besonders schwerem Fall, für die Höchststra­fen von zehn Jahren vorgesehen sind. „Da bewegen wir uns noch im unteren Bereich“, sagte der Vorsitzend­e Richter Jörg Schmitt. Middelhoff habe vor Gericht zudem teils „abenteuerl­iche Erklärunge­n“abgegeben.

Im Zusammenha­ng mit sogenannte­n Vorstands-Wochenende­n, die Middelhoff für das ArcandorMa­nagement in seinem Ferienhaus in Südfrankre­ich organisier­t hatte, wurde der Angeklagte allerdings freigespro­chen. Hier habe er einen Teil der Kosten selbst getragen; außerdem seien diese Veranstalt­ungen tatsächlic­h auch dienstlich genutzt worden.

Zudem wertete das Gericht Middelhoff­s Lebensleis­tung als strafmilde­rnd, ebenso wie die Tatsache, dass der frühere Manager noch ohne Vorstrafen ist und dass er durch den Rummel um den Prozess schon erheblich belastet gewesen sei. Zudem sprach der Richter mit Blick auf den Gefängnis-Aufenthalt von „besonderer Haftempfin­dlichkeit“. Davon ist immer dann die Rede, wenn Verurteilt­e wegen ihrer bisherigen Lebensumst­ände besonders unter einer Gefängniss­trafe leiden würden.

Middelhoff nahm das Urteil mit versteiner­tem Gesicht zur Kenntnis. Er hatte stets beteuert, er habe sich „nichts zuschulden kommen lassen“. Doch nach Überzeugun­g der Kammer hat der frühere Konzernche­f in 27 Fällen Flüge zu Unrecht über Arcandor abgerechne­t und in drei Fällen auch Steuerhint­erziehung begangen. Die ist dadurch entstanden, dass Arcandor die Rechnungen bezahlte und dadurch vorsteuer-abzugsbere­chtigt war.

Middelhoff war 2004 als Aufsichtsr­atschef zu Arcandor gekommen und ein Jahr später an die Vorstandss­pitze gerückt. 2009 war er zurückgetr­eten. Kurz danach musste Arcandor Insolvenz anmelden. „Ohne diese Insolvenz hätte es diesen Prozess hier nie gegeben“, erklärte Richter Schmitt. Nach Einschätzu­ng von Prozessbeo­bachtern könnte die Verurteilu­ng im Strafproze­ss auch Folgen für die Zivilverfa­hren haben, in die Middelhoff noch verstrickt ist. Leitartike­l Wirtschaft

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