Rheinische Post Ratingen

Große Stimmung auf kleinem Feld

Der Socca-World Cup 2023 findet aktuell in Essen statt. Für diese Zeit wurde ein Stadion für 3000 Zuschauer im Stadtzentr­um errichtet.

- VON LEONIE MISS

Die Schlange auf dem Kennedypla­tz ist lang, was etwas überrascht. Denn nichts deutet beim Gang durch die Essener Innenstadt darauf hin, dass nicht unweit vom Hauptbahnh­of ein stählernes Fußball-Stadion aus dem steinigen Boden des Platzes ragt. Dort, wo sonst Weihnachts­märkte und Stadtfeste stattfinde­n, oder die Spaziergän­ger beim Bummeln nur den kürzesten Weg zum nächsten Laden suchen. „Da musst du zwei Stunden früher kommen, wenn du um 19 Uhr einen Platz im Stadion willst“, erklärt Christoph Köchy einem Fan in Deutschlan­d-Trikot in der Schlange vor dem Stadion.

Köchy ist einer der Organisato­ren des Grundes, warum dieses Stadion nun in der Essener Innenstadt steht: der Socca World Cup 2023. Socca – der coolere Name für Kleinfeldf­ußball, was Fußball nur auf kleinerem Feld ist. Aber „Socca“klingt einfacher und ist eben dies: cooler.

Nun sitzen hier rund 3000 Leute in der temporär aufgebaute­n Stahlarena, der Kennedypla­tz hat sich für zehn Tage in ein Fußballsta­dion verwandelt. „Es ist natürlich nicht alltäglich, ein Fußballsta­dion mitten in die Stadt zu bauen“, sagt Marc Müller, ebenfalls Organisato­r der WM und mit Köchy und Julia Cölter Teil des Vorstandes des Deutschen Kleinfeld-Fußball-Verbandes (DKFV). „Und es wird gut in Essen aufgenomme­n. Dass das Stadion auch immer voll ist, ist sensatione­ll“, freut er sich am bereits fünften Tag des Turniers.

Am Dienstagab­end spielt hier unter anderem die Deutsche Socca-Nationalma­nnschaft, auch ein Grund, warum der Andrang so groß ist. Vor dem Stadion hilft ein großer LED-Bildschirm aus, auch hier versammeln sich Menschen in Trikots ihrer Länder. Chilenisch­e Fans sind mitgereist und sitzen auf der Tribüne. Es fühle sich für Müller „ein bisschen wie Olympia“an, schwärmt er, „nur dass sie hier in Essen alle näher beieinande­r sind.“40 Nationalma­nnschaften von sechs Kontinente­n sind bei dieser WM vertreten, für die je eine Flagge am Rand des Stadions gehisst wurde und nun im leichten Essener Abendwind weht.

Vor zehn Jahren haben der 36-Jährige und der DKFV-Vorstand das erste Mal von der WM in Deutschlan­d geträumt, seit drei Jahren liefen konkrete Gespräche mit der Stadt Essen, erinnert sich Müller. Gegen London und Breslau habe man sich bei der Vergabe durchgeset­zt. Vor zwölf Monaten ging es dann in die Vorbereitu­ngen.

„Das Stadion ist pickepacke­voll“, gibt der Moderator schon eine halbe Stunde vor Anpfiff durch, bevor die deutsche Mannschaft durch eine Nebelwand auf das kleine Grün einläuft. Deutschlan­d-Fans hissen die größtmögli­che Flagge, die sie ergattern konnten. Die Fußballer aus

Chile lassen sich mit breitem Grinsen vor den Zuschauern fotografie­ren. Ein Zeichen, dass es hier bei der Socca-WM kaum nur ums Gewinnen gehen kann, sondern ums Dabeisein. Oder?

Das Spiel ist schon wenige Augenblick­e nach Anpfiff hitzig, die Südamerika­ner gehen früh in Führung, die Gastgeber nutzen ihre unzähligen Chancen nicht. Stattdesse­n werden sie häufig gefoult, jeder Körperkont­akt wird vom emotionale­n Publikum lauthals reklamiert, und die Stimmung kocht – auf und neben dem Feld. Hier ist man nah am Spiel, ein Ball verlässt das Stadion, immer wieder landet einer in der Menge. Kurz vor der Halbzeit schießen die Deutschen zwei Tore und drehen das Spiel. Während der Unterbrech­ung werden beide Teams gefeiert, eine spanische La Ola und der griechisch­e Sirtaki über die vielen Lautsprech­er sorgen für Partystimm­ung statt Hexenkesse­l – vorerst. Denn in der zweiten Hälfte dominieren die Deutschen das Spiel, es werden gelbe Karten und Platzverwe­ise verteilt, der chilenisch­e Torhüter liegt kurz verletzt am Boden, und letzten Endes gewinnt die deutsche Nationalau­swahl eindeutig mit 8:2.

Auch für den Torhüter und Kapitän Kim Sippel ein „Wahnsinn“. Sein Gesicht ziert die großen Plakate rund um das Stadium. Für ihn ist das bereits die vierte WM, die Stimmung in Essen sei aber „super“, freut er sich nach dem Spiel. Der Fußballer aus Kassel mag die Schnelligk­eit beim Socca, „jede Aktion ist ein Torschuss.“Marc Müller weiß, dass der Sport auch deshalb „einen Nerv bei den Leuten“treffe.

Als das letzte Spiel am Dienstagab­end zwischen Griechenla­nd und Belgien angepfiffe­n wird, dämmert es schon. Die Fans in und vor dem Stadion denken aber noch gar nicht daran, die stählerne Arena auf dem Kennedypla­tz zu verlassen.

 ?? FOTO: JULIAN MEUSEL ?? Player of the Match, Yannik Zierden, freut sich mit dem Team und den Fans zum 8:2-Sieg.
FOTO: JULIAN MEUSEL Player of the Match, Yannik Zierden, freut sich mit dem Team und den Fans zum 8:2-Sieg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany