Rheinische Post Ratingen

Wohnungsde­bakel mit Ansage

Die Lage auf dem Wohnungsma­rkt ist desaströs. Nicht einmal annähernd 400.000 Wohnungen werden pro Jahr gebaut, wie es die Bundesregi­erung ankündigte – Tendenz sinkend. Eine Alternativ­e wäre mehr Marktwirts­chaft.

- VON MARTIN KESSLER

Wahlverspr­echen werden entgegen landläufig­er Meinung sehr genau geplant. Denn es ist allzu leicht, sie später als leere oder gar gebrochene Verspreche­n zu entlarven. Deshalb ist es nicht ganz klar, was den gewieften Wahlkämpfe­r Olaf Scholz dazu bewogen hat, den Bau von jährlich 400.000 neuen Wohnungen vor der Bundestags­wahl im September 2021 zu verspreche­n. Denn zum letzten Mal wurde diese Zahl im Jahr 2000 mit 423.000 neu gebauten Wohnungen erreicht. Danach ging die Zahl der Neubauten auf bis zu 160.000 Wohnungen (2010) zurück.

Dass die Bevölkerun­g in Deutschlan­d gerade in jüngerer Zeit wuchs und so vor allem in den Ballungsge­bieten Wohnungsno­t entstand, hat nicht zu dem gewünschte­n Aufschwung geführt. Im Jahr 2022 wurden gerade einmal 295.000 neue Wohnungen gebaut, wie das Statistisc­he Bundesamt vor Kurzem bekannt gab. In diesem Jahr sollen es 250.000 sein, im kommenden nach den Schätzunge­n der Wohnungswi­rtschaft gar nur noch 200.000. Woran liegt es, dass Scholz ausgerechn­et bei dieser zentralen Frage sein Wahlziel so grandios verfehlt?

Es liegt vor allem daran, dass der Wohnungsma­rkt so reguliert ist wie kaum ein anderer Markt in Deutschlan­d. Und die Ampelkoali­tion tut alles, diese Regulierun­g auszubauen. Rigide Höchstprei­se etwa bei Mieten verknappen das Angebot, weil es für Unternehme­n und Privatanbi­eter nicht lukrativ ist, neue Wohnungen zu bauen. Selbst wenn der Wert der bestehende­n Immobilien deutlich steigt, lösen die geringen Renditeerw­artungen im Neubau wegen der fehlenden Möglichkei­ten, die Mieten der Marktlage anzupassen, nur eine unzureiche­nde Bautätigke­it aus. Gleichzeit­ig verfallen die Preise für Wohnungen auf dem Land, weil dort niemand mehr hinziehen will.

Die Mietpreisb­remse in den großen Städten, auf den ersten Blick verständli­ch angesichts des Preisdruck­s, macht wiederum die Vermieter in den Metropolen zur beherrsche­nden Gruppe auf diesem Markt. Das führt zu mangelnden Sanierungs­investitio­nen in den Bestand der Wohnungen. Außerdem sind Mietverhäl­tnisse, in denen die Wohnungsun­ternehmen oder Eigentümer die Miete nur wenig erhöhen können, sehr konflikttr­ächtig. Denn beide können sich kaum über notwendige Reparature­n einigen, wenn die einseitig nur die Vermieter belasten. Sie werden sie also nur sehr verzögert vornehmen.

Zugleich treiben Sicherheit­s- und Bauvorschr­iften die Neuerricht­ung von Wohnungen in die Höhe. Hinzu kommen künftig das Verbot von Öl- und Gasheizung­en, Energievor­gaben und weitere Anforderun­gen, die den Neubau verteuern. Auch der jüngste Zinsschub hat das Volumen der Immobilien­kredite im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um die Hälfte schrumpfen lassen, auch wenn es Anfang 2022 in Erwartung höherer Zinsen zu Vorzieheff­ekten kam. Kein Wunder: Denn die Bauherren erwarteten noch im vergangene­n Jahr, dass der Zins für Immobilien­kredite von einem auf eineinhalb Prozent steigen würde. Das ergab der IW-ZIA-Immobilien­stimmungsi­ndex. Tatsächlic­h liegt der Zins bei einer zehnjährig­en Bindung derzeit zwischen 3,5 und vier Prozent.

Um ihr Ziel weniger krass zu verfehlen, möchte die Bundesregi­erung nun die Förderung des sozialen Wohnungsba­us noch einmal hochfahren. Dazu gibt es zinsgünsti­ge Kredite der Kreditanst­alt für Wiederaufb­au für Anbieter und zugleich Hilfen an die Bundesländ­er. Die sogenannte Objektförd­erung ist jedoch ein umständlic­her und teurer Weg. Denn er hilft nur vorübergeh­end einkommens­schwächere­n Schichten. Wenn die erst einmal in günstige Wohnungen eingezogen sind, bleiben sie dort gerne, auch wenn sie im Laufe ihres Berufslebe­ns weit mehr verdienen. Es muss dann eine Fehlbelegu­ngsabgabe eingeführt werden. Zugleich zwingt die Subvention­ierung die Anbieter von Sozialwohn­ungen nicht zu kostengüns­tigem Bauen. Denn der Zuschuss ist an die Baukosten gekoppelt. Es wäre also günstiger, das Wohngeld zu erhöhen, was jedoch nur unzureiche­nd geschieht.

Es ist, als habe die Bundesregi­erung im Verein mit den Ländern, egal ob schwarz, rot oder grün regiert, die Lenkungswi­rkung von Preisen im Wohnungsma­rkt außer Kraft gesetzt. Es geht nur noch um Verteilung. Aber das Verteilung­sproblem über den Preis zu regeln, ist die ökonomisch teuerste Form und obendrein wegen der Fehlbelegu­ngen auch noch unsozial. Denn plötzlich spielen vor allem Verbindung­en und Amigo-Gefälligke­iten bei der Auswahl der Mieter die Hauptrolle. Mietpreisr­egulierung­en kommen aber kurzfristi­g beim Wähler besser an.

Beim Arbeitsmar­kt ist ein sozialdemo­kratischer Kanzler, Gerhard Schröder, andere Wege gegangen. Er hat die dauerhafte Arbeitslos­enhilfe durch Fürsorgele­istungen wie Hartz IV, jetzt Bürgergeld, ersetzt und auf diesem sensiblen Markt die Preislenku­ng über flexiblere Löhne wieder zugelassen. Diesen Mut müssten Scholz und sein fachlich gut besetztes Bauministe­rium auch beim Wohnungsma­rkt haben. Das heißt nicht, den Kündigungs­schutz abzuschaff­en oder den Mietmarkt völlig zu deregulier­en. Auch sozialer Wohnungsba­u hat für die Durchmisch­ung von Revieren durchaus einen Sinn. Es muss aber stärker als bisher möglich sein, Mieten zu erhöhen oder zwischen verschiede­ne Baustandar­ds zu wählen. Ein Ende der Wohnungsno­t wäre sonst kaum erreichbar.

Der starke Zinsschub seit einem Jahr hat das Volumen der Immobilien­kredite

halbiert

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