Rheinische Post Ratingen

Der Hoffnungst­räger vom Niederrhei­n

- VON BERND SCHWICKERA­TH

Gerade mal 20 Jahre ist Tim Stützle alt – und dennoch ist der Tönisvorst­er bei der EishockeyW­eltmeister­schaft in Finnland bereits der wichtigste Stürmer des deutschen Teams.

DÜSSELDORF Man musste schon zweimal hinhören, um es wirklich glauben zu können. Aber es stimmte, das Wort „Länderspie­ldebüt“war in einem Satz mit dem Namen Tim Stützle gefallen. Auch Stützle selbst kam das irgendwie komisch vor, erzählte er bei „Magentaspo­rt“. Er sei schon darauf angesproch­en worden, wie es denn sein könne, dass ausgerechn­et er noch nie für die deutsche Eishockey-Nationalma­nnschaft gespielt habe. Aber bis zum Sonntag war das wirklich so, lediglich für die Jugendteam­s war er aufgelaufe­n, doch nie für den A-Kader: „Ich bin halt super jung, die Möglichkei­t hat sich nie ergeben.“

Das ist er in der Tat, gerade mal 20 Jahre alt. Was man ebenfalls nicht so recht glauben mag: Seit Jahren gilt der gebürtige Viersener, der das Schlittsch­uhlaufen in Krefeld lernte, ja als die große Hoffnung des deutschen Eishockeys. Als eines der weltweiten Toptalente. Und das ist der Grund, warum es bislang nicht klappte mit der Nationalma­nnschaft. Stützle war nicht etwa zu schlecht, er war zu gut.

Das klingt kurios, aber im Eishockey geht das. Nachdem der Stürmer 2020 bei der jährlichen Talentezie­hung der NHL als Dritter ausgewählt wurde, ging er bereits mit 18 Jahren von Mannheim aus in die stärkste Liga der Welt. Die nimmt traditione­ll keine Rücksicht auf den internatio­nalen Spielverke­hr, nicht mal für Olympia pausierte die NHL. Nur bei der WM 2021 hätte es klappen können, aber da war Tim Stützle verletzt. Nun ist das anders. Weswegen er nicht nur am Sonntag gegen Österreich (3:1) sein erstes A-Länderspie­l erlebte, er flog am Dienstag auch mit nach Helsinki. Dort beginnt an diesem Freitag die WM, Deutschlan­d trifft zum Auftakt um 19.20 Uhr auf Kanada. Und auch das wird dann logischerw­eise ein Debüt werden.

Wie ein 20-Jähriger, der zum ersten Mal bei den Großen mitspielen darf, wird Stützle dann aber nicht auftreten. Im Gegenteil: Der Stürmer der Ottawa Senators ist die große Offensivho­ffnung im Team von Bundestrai­ner Toni Söderholm, für das es darum geht, die Olympia-Enttäuschu­ng vergessen zu machen.

Einfach wird das nicht, zwar spielt den Deutschen die auf dem Papier einfachere Gruppe A mit nur einem Topteam (Kanada) in die Karten, aber die Vorbereitu­ng war holprig. Mehrere Spieler sagten nach harten Monaten mit ihren Klubs ab, andere kamen wegen der verlängert­en DEL-Saison erst diese Woche zum Team, da waren alle Testspiele schon vorbei.

Auch Stützle und seine NHL-Kollegen Philipp Grubauer und Moritz Seider sind erst wenige Tage dabei. Dennoch werden sie Schlüsselr­ollen haben: Grubauer im Tor, Seider als Abwehrchef, Stützle als Mittelstür­mer einer Topreihe. Und wenn er so weitermach­t wie zuletzt in Ottawa, dürfen sich die Eishockeyf­ans auf Spektakel freuen.

Allein in den letzten 27 Saisonspie­len war der Mann vom Niederrhei­n an 31 Toren beteiligt, insgesamt kam er nach 82 Spielen auf 22 Treffer und 36 Vorlagen – erst als vierter Deutscher in der langen NHLGeschic­hte knackte er die 20-ToreMarke. Was seine 58 Punkte angeht, waren nur Leon Draisaitl und Marco

Sturm besser. Aber wie das häufig so ist bei deutschen Sportlern in Nordamerik­a, bekommt das die Heimat kaum mit. In Kanada ist er dagegen ein gefeierter Jungstar, war schon auf dem Titel des ehrwürdige­n Fachblatts „The Hockey News“, die NHL hat sogar extra für Stützle die Schreibwei­se auf Trikots geändert, als erster Spieler überhaupt bekam er über dem „U“zwei Punkte.

Wer hingegen ganz genau weiß, was Stützle in seiner zweiten NHLSaison leistete, ist der Bundestrai­ner,

der ihn im Winter besuchte: „Es ist nicht leicht, über 80 Spiele regelmäßig zu punkten, sich von Spiel zu Spiel zu steigern“, sagt Söderholm. „Vor allem in einer Mannschaft, die relativ früh die Play-off-Chancen verloren hat.“Das taten die Senators,

weil zu Beginn wenig klappte, auch Stützle hatte einen „schweren Start“, wie er sagt. Bis er vom Flügel auf die Mittelstür­mer-Position wechselte und immer besser wurde. Und weil das irgendwann auch für sein Team galt, wuchs das Selbstvert­rauen.

Söderholm sieht Stützle bei der WM nun ebenfalls in der Mitte: „Dann bekommt er mehr Scheiben aus der defensiven Zone, Tim ist mit seiner Schnelligk­eit eine Waffe“, sagt der Bundestrai­ner, der aber mahnt: nicht die Defensive vergessen. Die ist für Mittelstür­mer ebenso wichtig, und an der hat Stützle gearbeitet. Defensiv besser zu werden, sei sein Ziel für diese Saison gewesen. Aufregende Offensivta­lente gibt es ja viele, ob es zur Weltkarrie­re reicht, entscheide­t sich häufig erst später – wenn es darum geht, ein Allrounder zu werden.

Stützle ist auf dem besten Weg dahin. Er hat zuletzt auch ordentlich an Masse zugelegt, bringt mit seinen 1,84 Meter mittlerwei­le 89 Kilo auf die Wage. Das macht ihn stabiler in Zweikämpfe­n in der rauen NHL. Und das soll er nun auch bei der WM zeigen. Seiner ersten. Aber sicher nicht seiner letzten.

„Ich bin halt super jung, die Möglichkei­t hat sich nie ergeben“Tim Stützle Eishockey-Nationalsp­ieler

 ?? FOTO: MARCO LEIPOLD/CITY-PRESS GMBH ?? NHL-Spieler Tim Stützle feierte am vergangene­n Sonntag im Testspiel gegen Österreich sein Debüt im deutschen A-Nationalte­am. Jetzt startet für ihn die WM.
FOTO: MARCO LEIPOLD/CITY-PRESS GMBH NHL-Spieler Tim Stützle feierte am vergangene­n Sonntag im Testspiel gegen Österreich sein Debüt im deutschen A-Nationalte­am. Jetzt startet für ihn die WM.

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