Sympathie für den starken Staat
Die Politik wird in der Wirtschaft wichtiger. Das hat Folgen für Anleger.
Der Westen entwickelt sich zu einer Missionswirtschaft, weil in vielen Ländern die Sympathie für einen starken, gut finanzierten Staat wächst. Immer mehr Menschen neigen dieser Haltung zu. Der Klimawandel und jüngst die Pandemie haben sie darin noch bestärkt. Politik und Notenbanken nehmen den Ball auf. Sogar klassische Ökonomen applaudieren. Anleger müssen sich daran gewöhnen, dass die Politik eine größere Rolle spielt als betriebswirtschaftliche Fakten. Ganz neu ist das aber nicht: In China (und einigen anderen Ländern mit starkem Staatseinfluss) kennen wir das schon länger. Auch in den klassischen Industrieländern ist das Phänomen bekannt. Von den 30er- bis zu den 80er-Jahren galt Konjunktursteuerung als Paradedisziplin
der Wirtschaftspolitik – feste Wechselkurse und staatlich verfügte Zinssätze inklusive. Doch dann wählten die USA einen Präsidenten Reagan, der erklärte, der gefährlichste Satz in englischer Sprache sei: „Ich bin von der Regierung, und ich bin hier, um zu helfen.“Vor 40 Jahren war man staatlicher Gängelung überdrüssig, heute werden die Ergebnisse möglichst freier Märkte nicht mehr akzeptiert. Jede Bewegung zerstört sich selbst, wenn sie ins Extrem wächst. Für Anleger sind das nicht automatisch schlechte Nachrichten. Gute Börsenphasen gab es zu Zeiten und in Ländern mit Missionswirtschaft zuhauf. Allerdings unterscheiden sich die Erfolgskriterien. Politische Unterstützung kann sogar ein gutes Geschäftsmodell übertrumpfen. Wenn
Bildung, sozialer Ausgleich, Infrastruktur und Kampf gegen Klimawandel die Wappen der Missionswirtschaft zieren, dann ist es nicht schwer, Gewinner von morgen zu identifizieren. Die Spanne reicht von Bau und Baumaschinen über digitale Lernplattformen bis hin zu Stromspeichern und Versorgungsunternehmen. Aber da die Politik für noch mehr Überraschungen gut ist als ein freier Markt, gilt es auch, seine Anlagen stärker über Länder und Branchen zu streuen. Auf höhere Zinsen sollte hingegen vorerst niemand hoffen.
Unser Autor leitet die Vermögensabteilung von HSBC Deutschland in Düsseldorf. Er wechselt sich hier mit den beiden Wirtschaftsprofessoren Ulrike Neyer und Justus Haucap ab.