Einkaufen beim Bauern nebenan
Regional, saisonal oder Bio – die Nachfrage nach Lebensmitteln aus der Region wächst stetig. Das neue Verbraucherverhalten wird auch die Landwirtschaft verändern – und das nachhaltig.
Schon in zweiter Generation führt Obstbaumeister Frank Mertens gemeinsam mit seiner Frau Nadine den Hofladen in Willich; seit er den Betrieb 1997 übernommen hat, sind bereits zwei weitere Geschäfte hinzugekommen, in denen er seine Äpfel, Birnen, Himbeeren und Erdbeeren verkauft. Und auch die Zukunft seiner Hofläden scheint gesichert: Sein Sohn, der längst mit anpackt, wird sie vermutlich eines Tages übernehmen. „Ich gehe davon aus, dass regionale Produkte, die direkt vom Erzeuger verkauft werden, auf jeden Fall eine gute Zukunft haben werden“, sagt der 50-Jährige. „Regionales und Saisonales wird den Verbrauchern immer wichtiger“, betont er.
Hofläden wie die der Familie Mertens gibt es viele in Nordrhein-Westfalen – mit steigender Tendenz. Die Direktverkaufsstellen der landwirtschaftlichen Betriebe werden nach Angaben der Milchwirtschaft bei den Verbrauchern immer beliebter. „Laut einer Umfrage des NRW-Umweltministeriums wünschen sich 75 Prozent der Menschen in Nordrhein-Westfalen mehr regionale Angebote“, sagte der Präsident des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz, Thomas Delschen. Regional erzeugte Produkte zeichneten sich durch kurze Wege zum Verbraucher und durch ein hohes Vertrauen in ihre Erzeugung aus, so Delschen. Die Corona-Krise scheint den Trend weiter zu forcieren: Laut Landesvereinigung der Milchwirtschaft hat die Pandemie für Kundenzuwächse gesorgt; das Einkaufserlebnis auf dem Hof und die rund um die Uhr zugänglichen Verkaufsautomaten sind gefragt. Das kann Frank Mertens nur bestätigen: „Seit Frühjahr vergangenen Jahres merken wir, dass die Nachfrage nach Produkten aus der Region noch einmal zugenommen hat.“
Das sich ändernde Einkaufsverhalten mit dem Fokus auf Regionalität geht einher mit einem grundsätzlichen Wandel in der Landwirtschaft. NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) fordert mehr gesellschaftliche Verantwortung und Unterstützung, damit die Landwirtschaft Zukunft hat. „Klimawandel, gestiegene Verbrauchererwartungen, Anforderungen an Umweltund Tierschutz, Corona und Afrikanische Schweinepest, ungeklärte Finanzfragen – all dies stellt die Landwirtschaft heute vor große Herausforderungen“, sagt die Ministerin.
„Ich erlebe eine große Bereitschaft in der Branche, diese anzunehmen und Offenheit für Anpassungen. Aber dieses Zukunftsprojekt braucht unser aller Unterstützung“, sagt Heinen-Esser. Drehund Angelpunkt seien faire Preise für die Erzeuger. Daher müsse das Engagement der Landwirte in Tier, Umwelt- und Naturschutz vom Handel und den Verbrauchern honoriert werden. Die Ministerin bekräftigt das Ziel, Billigpreiswerbung für Fleischprodukte unterbinden zu wollen: „1,99 Euro für 400g Hähnchenschnitzel oder 3,39 Euro für 800 Gramm Bratwurst – Fleisch ist keine Ramschware. Die Zeche zahlen am Ende die Tiere, die Umwelt und die landwirtschaftlichen Betriebe“, so Heinen-Esser.
Vielmehr wünscht sich die Ministerin eine nachhaltige, Ressourcen schonende Landwirtschaft, die die Ernährung der Bevölkerung sichert, ein gutes Einkommen für die Betriebe gewährleistet und dabei die Lebensgrundlagen wie Boden, Luft und Wasser schont. „Ich möchte, dass Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen eine Branche mit Zukunft ist, in der Menschen weiterhin ihren Traumberuf sehen“, so Heinen-Esser. „Der Wandel geht nicht über Nacht, aber wir sind auf einem guten Weg.“
Viele Höfe in Nordrhein-Westfalen können auf eine jahrhundertalte Tradition zurückblicken. Auch die Anfänge des Obsthofes der Familie Mertens in Willich lassen sich bis 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Aber erst in den 1950er Jahren entwickelte sich aus dem rein landwirtschaftlichen Betrieb der Obstanbau. Von Tradition allein können sich viele Landwirte nichts kaufen. Immer mehr Landwirte klagen über Nachwuchsmangel; Bauern finden immer häufiger keine Nachfolger für ihre Höfe – oft spielen wirtschaftliche Gründe eine Rolle.
Einige Junglandwirte treten nicht die Nachfolge des elterlichen Betriebs an, sondern übernehmen einen anderen Hof. Im Internet gibt es die Plattform „Hof sucht Bauer“. Laut Branchendienst „Topagrar“zeichnet sich in NRW eine Tendenz ab: Um die Junglandwirte bei der Übernahme eines fremden Hofes in der Anfangszeit finanziell zu unterstützen, erhalten sie nach einem Beschluss der EU-Kommission bis 2020 eine Prämie.
Schwer zu kämpfen haben auch die Schweinehalter. In Nordrhein-Westfalen werden laut Statistischen Landesamt rund 6,64 Millionen Schweine gehalten (Stand Mai 2020). Die Zahl der Betriebe (mit einem Mindestbestand von 50 Schweinen oder zehn Zuchtsauen) liegt demnach bei 6400 – 5,4 Prozent weniger als noch vor einem halben Jahr. „Die Haltungsbedingungen, heißt es beim Tierschutzbund, seien häufig nicht artgerecht.Das widerspricht dem Tierschutzgesetz, demzufolge ein Tier seinen Bedürfnissen entsprechend verhaltensgerecht untergebracht werden müsse. „Millionen deutscher Mastschweine vegetieren in engen, reizarmen Ställen bewegungslos dahin“, heißt es beim Tierschutzbund. Mit diesen
Vorwürfen werden die Schweinehalter seit Jahren konfrontiert. Sie sagen nicht, dass sie alles richtigmachen – aber auch nicht alles falsch; und schon gar nicht so viel, wie ihnen vorgeworfen werde. Das Land NRW will die Landwirte auf jeden Fall unterstützen und setzt sich für mehr Tierwohl in der Schweine- und Rinderhaltung ein. Mit insgesamt fünf Millionen Euro soll unter anderem der Bau tierwohlgerechter Ställe unterstützt sowie Beratung und Forschung gefördert werden.
In seinen drei Hofläden bietet Frank Mertens nicht nur Äpfel, Birnen und Erdbeeren an, sondern auch Gemüse und andere regionale Lebensmittel. „Die produzieren wir aber nicht selber. Wir kaufen sie von Nachbarhöfen in einem Radius von 15 Kilometern dazu“, sagt Frank Mertens. Es gibt auch Fruchtaufstriche, Gelees, niederrheinisches Apfel-, Rüben- und Zuckerkraut, dazu viele Honigarten. „Das Geschäft läuft gut. Ich kann wirklich nicht klagen“, sagt Mertens.
Dass Hofläden gut ankommen bei den Verbrauchern, ist auch dem Lebensmitteleinzelhandel nicht entgangen. „Man muss sich nur die Gemüse- und Obstbereiche in den Supermärkten anschauen. Die werden zunehmend in Hofladen-Optik gestaltet, um den Kunden Regionalität zu suggerieren“, sagt Mertens. „Schaut man aber genauer hin und fragt nach, woher die Produkte kommen, stellt man fest, dass das mit Regionalität nicht immer zu tun hat.“