Was guten Journalismus ausmacht
Nur wenige Branchen haben einen so grundlegenden Wandel durchlaufen wie die Medien. Neben die klassische Zeitung und den Rundfunk sind das Internet und die sozialen Medien getreten. Sie haben die Schnelligkeit und die Form des Journalismus radikal verändert. Durch Facebook und Twitter entstanden völlig neue Plattformen der direkten Kommunikation.
Eines hat der rasante Wandel der Medienlandschaft nicht verändert – die Kriterien dafür, was guter Journalismus ist. Als eigene Gattungsform entstanden die Gazetten und Zeitungen in der frühen Neuzeit. Im Grunde waren sie ein Kind des Buchdrucks und später der Aufklärung, auch wenn es lose Blätter und Kampfschriften schon vorher gab. Mit der Entstehung der westlichen Demokratie und den souveränen Staaten hat sich dann auch ein politischer, kultureller und unterhaltender Journalismus herausgebildet, der trotz aller Unterschiede in der Darstellung zentrale Gemeinsamkeiten und ein festes Fundament aufweist.
Guter Journalismus ist zunächst die klare Nachricht und der dazugehörige Kommentar. Schreiben, was ist, heißt die Devise. Und Bewertung, was davon zu halten ist. Beides klar in der Diktion, Logik und Aussage. Das ist viel schwerer, als es scheint. Denn der Journalist und die Journalistin müssen zunächst ihr Thema finden, den Neuigkeitswert bestimmen, das Unwichtige weglassen und schließlich die Nachricht in ein größeres Bild einordnen. Das erwarten die Leser heute, wie sie es vor 100 Jahren erwartet haben, als die Großen des Fachs noch Kurt Tucholsky, Egon Erwin Kisch oder Theodor Wolff hießen.
Die angelsächsischen Länder – vorbildlich in der Definition und
Bewertung eines guten Journalismus – haben dafür eine einprägsame Formel gefunden: All the news that‘s fit to print. Es ist noch heute der Wahlspruch der wohl weltbesten Zeitung – der New York Times. Darin ist schon der erste Grundsatz des guten Journalismus enthalten. Die Nachrichten müssen fließen, wie sie kommen. Sie aus Gründen der Opportunität zurückzuhalten, egal ob der eigenen oder auch der von dritter Stelle, ist im Grunde Manipulation des Lesers. Es mag Umstände geben, eine Nachricht nicht sofort auszuspielen, weil wichtige Ergänzungen fehlen oder das richtige Publikum angesprochen werden soll. Das darf aber erst die zweite Überlegung sein, nicht die erste.
Schon gar nicht darf ein Journalist mit seiner Nachricht Politik machen, also den Fluss so einsetzen, dass er der einen oder der anderen Partei nutzt. Wer vertrauliche Nachrichten erhält, darf sie natürlich weitergeben, auch wenn die dem Informationsgeber nutzen. Darüber muss sich der Autor aber im Klaren sein und sollte gegebenenfalls noch eine zweite Quelle heranziehen. Die Zwei-Quellen-Theorie ist auch unabdingbar, wenn eine Nachricht durchgestochen wird. Sie kann eben auch Fake News sein. Davor muss sich der Journalist durch eine zweite unabhängige Stimme absichern.
Der zweite Hauptsatz des guten Journalismus ist die Unabhängigkeit des Schreibers oder der Schreiberin. Weder in der Berichterstattung noch in der Kommentierung darf ein Autor oder eine Autorin im Namen eines Dritten schreiben. Man kann einer Sache zuneigen oder eine bestimmte Haltung, Weltsicht oder sogar Religion haben. Aber sie darf bei der unabhängigen Bewertung nicht den Ausschlag geben. Überspitzt darf man von einem guten Journalisten oder einer guten Journalistin erwarten, dass sie sich mit keiner Sache gemein macht, noch nicht einmal mit einer guten. Denn was gut ist, entscheidet letztlich das Publikum. Es ist nicht Aufgabe der Medien, den Klimaschutz oder den Weltfrieden voranzubringen. Ein guter Journalist darf dazu aber eine klare Meinung haben.
Eng mit der Unabhängigkeit hängt die Fairness zusammen. Wenn Journalisten einen Missstand aufdecken oder einen Vorgang beschreiben, müssen sie – wie gute Staatsanwälte – alle Parteien vernehmen. Das tut bisweilen weh, wer will sich schon eine gute Geschichte durch Überrecherche kaputt machen lassen? Aber es hilft nichts, der Rechtsgrundsatz, dass auch die andere Partei gehört werden muss, gilt besonders im Journalismus. Die beste Enthüllungsgeschichte ist wertlos, wenn sie die belasteten Personen übergeht. Nicht einmal Dokumente und andere Belege sind hier hinreichend. Im Grunde darf niemand, der in einer Geschichte die Hauptperson spielt, von der Veröffentlichung überrascht sein.
Ergänzend kommen Genauigkeit, Logik und klare Sprache hinzu. Das sind aber journalistische Werkzeuge, Sekundärtugenden könnte man sagen. Sie befähigen zur Berichterstattung
und Bewertung, machen den Journalisten oder die Journalistin zur kompetenten Person. Auch die Schnelligkeit und Belastbarkeit ist hier zu nennen. Wer eine Nachricht zuerst hat, ist Sieger im journalistischen Wettbewerb. Der Neuigkeitswert ist verloren, wenn die Nachricht bekannt ist. Das macht sie zu einem flüchtigen Gut.
Kompetenz hat auch mit Fachlichem zu tun. Natürlich gibt es den reinen Reporter, der große Menschenkenntnis hat, sich Informationen beschaffen kann und auch fähig ist, sie aufzuschreiben. Dennoch ist es nicht verkehrt, ein klassisches Fach zu beherrschen – sei es Geschichte, Sprachen, Germanistik, Wirtschaft, Jura oder Naturwissenschaften. Das bietet einen natürlichen Vorteil. Denn das ist das Gebiet, in dem sich der Journalist oder die Journalistin auskennt. Hier kann ihr niemand etwas vormachen.
Ein bekannter Grundsatz lautet: Der Journalismus ist der Wahrheit verpflichtet. Das ist eine hehre Aufgabe. Wer ist nicht der Wahrheit verpflichtet. Es ist klar, die Medienschaffenden dürfen nichts Falsches aufschreiben oder gar mit Fake News Stimmung oder politische Strömungen
verbreiten. Aber die ganze Wahrheit, nichts als die Wahrheit bei Zeugenaussagen mag das zutreffen, Journalisten dürfen unter den vielen Wahrheiten auswählen. Sie dürfen sie in ein erkennbares Bild verwandeln, auch Störendes weglassen oder Beiwerk vernachlässigen. „Wir schreiben über die Wahrheit, nicht die Wahrheit“kann man in Anlehnung an den griechischen Philosophen Epiktet sagen, der nicht die Dinge als wichtig erachtete, sondern die Ansichten über die Dinge. Hier muss sich Journalismus bewähren in Umkehrung des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik, nach dem alle Dinge der Unordnung zustreben. Die Aufgabe der Medien ist es, hier Ordnung zu schaffen, das Chaos zu strukturieren, Perspektive zu geben. Dafür ist aber wie in der Physik viel Energie notwendig.