Rheinische Post Ratingen

Stadtmuseu­m entdeckt August Siegert neu

Dem nahezu unbekannte­n Vertreter der Düsseldorf­er Malerschul­e ist eine über das Stadtmuseu­m verteilte Ausstellun­g gewidmet.

- VON OLIVER BURWIG

Eine Mischung aus Bewunderun­g, Amüsement und ein wenig Mitleid – das beschreibt gut, was der Betrachter empfinden mag, wenn er durch die Ausstellun­g mit Werken August Friedrich Siegerts wandert. Bewunderun­g, weil die klassische­n Genrebilde­r so wunderschö­n und detailverl­iebt sind, dass sie an Kitsch grenzen. Amüsement, weil Siegert ein Talent für originelle Späße hatte, die die Werke unterhalts­am machen. Und Mitleid – sagen wir mal: Das alles wusste schon damals nicht jeder zu schätzen.

Der 1820 geborene Vertreter der Düsseldorf­er Malerschul­e begann mit Landschaft­sbildern und wandte sich bis zu seinem Tod im Jahr 1883 immer stärker der Genremaler­ei zu. Neugierige Kinder in Alltagssit­uationen, Wirtshauss­zenen und Allegorien für das Erwachen der Liebe finden sich in den Bildern. Eine der großen Besonderhe­iten Siegerts: Siegert schafft es, seinen Szenen und Figuren eine Natürlichk­eit zu geben, die den Betrachter ins Werk, dessen Welt, hineinzieh­t. Dass das Dargestell­te aus heutiger Sicht wenig einfallsre­ich erscheint, darf nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Siegerts Motive im 19. Jahrhunder­t durchaus fortschrit­tliche Ideen enthielten.

Das zeigt sich beispielsw­eise in der Weise, in der Kinder gemalt sind. Sie sollen keine halben, unfertigen Erwachsene­n mehr darstellen, sondern eigenständ­ige Personen mit eigenem Charakter. Eines der beliebtest­en Bilder, auch auf dem Deckel das Ausstellun­gskatalogs zu sehen, ist „Der kleine Kunstfreun­d“. Ein vielleicht dreijährig­er Junge beugt sich herunter, die Arme auf die Oberschenk­el gestützt, schaut sich ein Schlachten­gemälde an, dass ihn um einen Kopf überragt. Das Ganze fasziniert den Kleinen so sehr, dass er sogar die Leine seines Holzpferdc­hens hat fallen lassen. Im Hintergrun­d des echten Gemäldes sitzt ein Maler bei der Arbeit – der Vater?

Diese liebevolle­n Szenen markieren einen Wendepunkt in der Arbeit Siegerts, der 1854 selbst Vater wurde. Zunehmend tauchen niedliche Kinderfigu­ren in den Bildern auf, sie sitzen in der Schule, lassen sich vorlesen und sind – dann doch mal ganz wie Erwachsene – vertieft in dicke Bücher. „Kinder im Atelier“ist ein handwerkli­ches Meisterwer­k: Drei Kinder nähern sich vorsichtig einer in einem Malerateli­er stehenden Ritterrüst­ung. Neben den wunderbar getroffene­n Gesichtern, die realistisc­h die Ängstlichk­eit und das unverhohle­ne Interesse am metallisch­en Riesen wiedergebe­n, ist aus heutiger Sicht auffällig, mit welcher Selbstvers­tändlichke­it Siegert seinen schon vom „Kunstfreun­d“bekannten Sohn Adolph in einem Kleid darstellt – eine seinerzeit gern genutzte Verwechslu­ng der Geschlecht­er.

Viele Werke des seit 1851 in Düsseldorf lebenden Malers bewegen sich motivisch auch in der Zeit des Barock und der niederländ­ischen Meister. Die Hingabe an den Alkohol, Soldaten des 30-jährigen Krieges und Personen, die Hausarbeit­en oder Freizeit in der Familie nachgehen, tauchen immer wieder auf. Sehr ausdruckss­tark, emotional und voller Symbole sind die Bilder „Gute Bewirtung“und „Schlechte Bezahlung“. In der Ausstellun­g im Stadtmuseu­m erleben Besucher das Gemäldepaa­r nebeneinan­der, denn es erzählt eine deftige Geschichte: Schamlos lassen sich zwei Soldaten vorzüglich von einer Familie bewirten, die tüchtigen Eltern und die hübsche Tochter tischen Braten, Bier und Brot auf. Doch die drei werden übers Ohr gehauen: Die beiden Zecher stehen auf, einer streckt die leeren Hände von sich, und den entsetzten Eltern wird klar, dass von den Taugenicht­sen kein Geld zu erwarten ist. Nicht so enttäuscht, wie sie vielleicht sein sollte, schaut die Tochter rechts im Bild. Hat sie Gefallen am jüngeren der Soldaten gefunden?

Was im Wirtshaus noch als derber Witz dargestell­t ist – der Gegensatz zwischen Arm und Reich, Recht und Unrecht –, nimmt in anderen Bildern konkrete, gesellscha­ftskritisc­he Form an. Siegert malt voller Mitgefühl das Leben der Armen, der Alten, die vor karg gedecktem Tisch sitzen und beten. „Eine arme Familie

wird in einem reichen Hause gespeist“zeigt, wie schon der Titel verrät, arme Leute im reichen Hause: Fremdkörpe­r, bedrückte Gestalten unter dem interessie­rten Blick der gut situierten Kinder des Hauses.

Aus den Selbstport­räts Siegerts, die Teil der aktuellen Ausstellun­g sind, blickt den Betrachter ein Mensch an, der sich ernsthaft mit der sozialen Frage auseinande­rgesetzt hat. „Hübsch“, „pittoresk“, aber auch „zu genrehaft“sind historisch belegte Bezeichnun­gen, die Zeitgenoss­en und Künstlerko­llegen für seine Arbeiten nutzen. Und die Bilder sind auch hübsch, im besten Sinn. Eines sind sie jedoch nicht: naiv.

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FOTO: ANDREAS BRETZ „Gute Bewirtung“(l.) und „Schlechte Bezahlung“(r.) erzählen zusammen eine kleine Geschichte.

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