Sportlich aktiv bleiben auch im Homeoffice
Das Corona-Motto „Wir bleiben zu Hause“hat auch seine Nachteile. Bewegungsmangel nimmt zu und macht krank.
WIEN 10.000 – so viele gelaufene Schritte empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO jedem Menschen pro Tag. Doch in den europäischen Städten schafft man nicht einmal die Hälfte davon, und in der Corona-Krise wird derzeit wohl selbst diese Zahl noch einmal halbiert. „Wir bleiben zuhause“– mit dieser Formel haben viele Länder versucht, die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Die Strategie war vielfach erfolgreich, aber: Es drohen Bewegungsmangel, Übergewicht und andere Gesundheitsprobleme.
In Wien gibt es seit 2011 eine Smartphone-App, mit der die fußgängerischen Aktivitäten erfasst werden. Sie wurde mittlerweile über 34.000 Mal heruntergeladen, und fast 2500 Menschen nutzen sie zumindest monatlich und fast 400 sogar täglich. In der Woche vor dem Beginn der Corona-Ausgangsbeschränkungen Mitte März erfasste sie 50 Millionen Schritte, doch in den darauffolgenden Wochen wurden jeweils nur noch 25 Millionen gezählt. Die Wiener nehmen also die Restriktionen ernst – und verharren als Coach-Potatoes zuhause.
Ähnliches muss man für andere
Städte in Europa vermuten. Selbst wenn man dort mehr Jogger sieht als sonst. „Doch das kompensiert insgesamt wohl nicht den Bewegungsmangel“, betont Henner Hanssen vom Departement Sport, Bewegung und Gesundheit der Uni Basel.
Körperliche Inaktivität führt zu einem deutlichen Rückgang an Muskelmasse. „Wie schnell und massiv das eintreten kann, weiß ja jeder, bei dem schon mal ein Arm oder Bein eingegipst wurde“, betont Hanssen. Umgekehrt nehmen unter Bewegungsmangel – gerade wenn man bei der Kalorienzufuhr nicht aufpasst – die Fettanteile des Körpers zu. Was nicht nur Übergewicht, sondern auch Organverfettungen, etwa an der Leber, provoziert.
Zu den weiteren Effekten gehört eine schlechtere Durchlüftung der Lungen, und nach weiteren Wochen Inaktivität nimmt die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems ab – womit die Corona-bedingte Inaktivität endgültig zu einem eigenständigen und bedrohlichen Risikofaktor wird. Sportmediziner Rüdiger Reer von der Universität Hamburg warnt: „Das Homeoffice wird infolge reduzierter Bewegung ganz klar zu Todesfällen führen, wenn wir nicht gegensteuern.“Der Generalsekretär des Deutschen Sportärztebundes
hält es sogar für möglich, dass in der Corona-Krise viele Menschen weniger an dem Virus als an einem Herzinfarkt infolge des Bewegungsmangels sterben könnten.
Gründe genug also, in der aktuellen Situation auf ein sportliches Gegengewicht zu achten. Dies kann auch mit wenig Aufwand in den heimischen Wänden geschehen. „Kraftübungen etwa kann man mit dem eigenen Körpergewicht ausführen, und die funktionieren auch drinnen“, betont Hanssen.
Dazu zählen etwa die klassischen Kniebeugen für die Bein- und Gesäßmuskulatur, und der Arm- und Oberkörperbereich lässt sich mit Liegestützen trainieren, die man, wie der Baseler Sportmediziner betont, auch der individuellen Fitness anpassen kann: „Man kann sich zum Beispiel mit angewinkelten Knien statt mit den Füßen auf dem Boden abstützen, um die Belastung zu reduzieren.“Wie überhaupt die Belastung nicht in Erschöpfung münden muss. „Es sind auch schon Effekte zu erzielen, wenn man nur etwas ins Schwitzen kommt“, so Henner Hanssen.
Eine australische Studie belegt sogar, dass man prinzipiell nicht einmal sportlich aktiv werden muss: Wer immer wieder Sitzunterbrechungen in seinen Alltag einstreut, etwa beim Homeoffice nicht immer auf Bequemlichkeit achtet, sondern sein Telefon, den Drucker und die Akten an Orten deponiert, für deren Erreichen man aufstehen und sich zumindest strecken muss, tut auch schon etwas für die Gesundheit. „Seine Zucker- und Blutfettwerte und auch sein Taillenumfang können dann ähnlich gut sein wie bei jemandem, der regelmäßig Sport macht“, berichtetet Studienleiterin Genevieve Healey von der University of Queensland.
Andererseits betont Hanssen, dass in der Sportmedizin das Dosis-Wirkung-Prinzip regiert. „Der Effekt auf den Körper ist natürlich schon umso größer, je länger und intensiver der Trainingsreiz ist.“Und spätestens da kommen dann – sofern kein Fahrradergometer oder Laufband zuhause steht – das Joggen oder der flotte Spaziergang im Freien ins Spiel. Wohlgemerkt: immer mit gebührendem Abstand von anderen Joggern oder Spaziergängern.
Ein Nebeneffekt dieser Outdoor-Aktivitäten: Sie mobilisieren die körpereigene Vitamin-D-Produktion, so dass man sich entsprechende Nahrungsergänzungen sparen kann. Stattdessen empfehlen Ernährungswissenschaftler derzeit, die viele Zeit in den heimischen vier Wänden zu nutzen, um sich wieder im Zubereiten eigener Speisen zu üben.