Die Entdeckung des Ruhrgebiets
Eine großartige Ausstellung auf der Essener Zeche Zollverein zeigt Aufnahmen des Kölner Fotografen Chargesheimer.
ESSEN Wer die 50er Jahre noch aus eigenem Erleben kennt, fühlt sich in dieser Ausstellung unmittelbar in seine Kindheit zurückversetzt, selbst wenn er nicht im Ruhrgebiet aufgewachsen ist. Ja, genau so war diese Zeit, wie der Kölner Fotograf Chargesheimer (1924–1972) sie in Schwarzweiß eingefangen hat: kriegsbeschädigte Gebäude und Menschen, die schlicht gekleidet, aber hoffnungsfroh in die Zukunft blickten; Männer und Frauen, die körperlich schwere Arbeit verrichteten, und junge Paare, die am Wo-
Ganz offensichtlich mochte Chargesheimer die Leute, die er
fotografierte
chenende die Fahrt auf dem Kirmeskarussell genossen; Leute, die mit gleichem Ernst und gleicher Kleidung zur Kirche wie zur Galopprennbahn schritten, und andere, die in den Einkaufsstraßen die Auslagen beäugten, von denen sie zehn Jahre zuvor noch nicht einmal geträumt hatten.
Chargesheimer – eigentlich hieß er Carl-Heinz Hargesheimer – war als Fotograf auch ein exzellenter Regisseur. Er hat sie alle vor seine Kamera geholt und dabei weder eine Idylle noch ein Horrorszenario entworfen. Denn einerseits hat er vorgeführt, wie der Bergbau die Landschaft an der Ruhr brutal zerriss, andererseits aber auch abgebildet, wie sehr sich die Menschen dieser industrialisierten Welt verbunden fühlten. Ganz offensichtlich mochte er die Leute, die er fotografierte: ihre Kunst, sich mit einem Alltag zu arrangieren, in dem Konsum noch kein Lebenssinn war; ihren Willen, sich gegenüber Maschinen zu behaupten; ihr Talent, Vergnügen selbst an Dingen zu finden, die wir heute belächeln würden.
Da Chargesheimer seine Bilder zwar beschriftet hatte, sich aber später herausstellte, dass er es mit Städte- und Straßennamen nicht so genau genommen hatte und seine topographischen Notizen letztlich nichts wert sind, hat Kuratorin Stefanie Grebe die Fotografien locker nach Motivgruppen zusammengestellt und es jedem Betrachter überlassen, einen Platz, eine Straße wiederzuerkennen. So spannt sich ein Bogen von den Abraumhalden und dem Kohleabbau unter Tage bis zu den Jungen, die auf einem Brachgelände zwei Pfosten installiert haben und vor Schloten Fußball spielen, von Autos namens Opel Rekord, Borgward Isabella und Opel Blitz bis zu Mänteln und Jackenkleidern, die Männer und Frauen zehn Jahre älter erscheinen lassen, als sie waren.
Was heute wie die Bestandsaufnahme einer harten, aber doch auch guten alten Zeit wirkt, stieß da- mals bei den Würdenträgern des Reviers auf heftigen Widerstand. Denn der Band „Im Ruhrgebiet“, in dem Chargesheimer seine Eindrücke veröffentlichte und sein Freund Heinrich Böll den Kohlenpott beschrieb, ohne ihn schönzu- schreiben – dieser Band stand der Propaganda vom durch und durch fortschrittlichen Ruhrgebiet im Wege.
Deshalb brachte der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk einen ebenso aufwendig gestalteten Ge-