Rheinische Post Opladen

Tingeltang­el in dunkler Zeit

„Cabaret“gastiert beim Kölner Sommerfest­ival mit Tim Fischer als Conférenci­er in der Philharmon­ie. Der heimliche Star ist aber eine 80-Jährige: Angela Winkler.

- VON MARION MEYER

Willkommen, Bienvenue, Welcome, Fremde, Etrangers, Strangers: Die bunte Vielfalt ist im Kit Kat Club Programm. Doch am Ende des Abends wabert grauer Nebel über der Szenerie. „Deutschlan­d den Deutschen“ruft einer, eine Fenstersch­eibe geht zu Bruch. Die Hymne „Life is a Cabaret“wirkt da nur noch wie ein hohles Echo. „Cabaret“legt den Finger in die Wunde, immer noch. Der Musical-Klassiker aus dem Jahr 1968, der nun als Gastspiel des Hamburger St.-Pauli-Theaters in der Kölner Philharmon­ie zu sehen ist, versteht es, menschlich­e Konflikte vor politische­m Hintergrun­d zu erzählen, das Ganze garniert mit schmissige­n Revue-Einlagen. Gerade heute scheint die Warnung vor der Verführung­skraft der Populisten aktueller denn je.

Tim Fischer ist das Zentrum dieser Show. Als Conférenci­er stöckelt er mit Glitzerhaa­r und Zigaretten­spitze über die Bühne, die nur mithilfe eines Flittervor­hangs zum Club wird. In der intimen Atmosphäre des St.-Pauli-Theaters funktionie­rt das sicher besser als auf der offenen Bühne der Philharmon­ie. Vielleicht liegt es daran, dass im ersten Teil des Abends der Funke noch nicht wirklich überspring­t, die Darsteller sich auf dieser Bühne noch nicht richtig einfühlen konnten.

Fischer führt quirlig durch den Abend, klimpert mit den falschen Wimpern und rollt frivol die Augen, mal charmant, mal bissig, nur das Diabolisch­e fehlt ihm etwas. Er dominiert die Szenen im Club, unterstütz­t von einem diversen Ensemble aus sechs wandelbare­n Tänzerinne­n und Tänzern. Herrlich ironisch, wie Tim Fischer mit ihnen gemeinsam „Two Ladies“in Unterwäsch­e und

Glitzersan­dalen trällert. Die Bühne Bühnenrand aus das Geschehen vorantreib­t.

nd kommt ohne große Umbauten aus, nur ein paar Möbelstück­e markieren Der Chansonnie­r führt einen die Räume, etwa der Pension, in der sympathisc­hen Cast an mit Anneke Cliff und Sally, die sich schnell ineinander Schwabe als Sally Bowles und verlieben, leben. Sven Mattke als Cliff. „Cabaret“ist

Das hilft, das hohe Tempo der Szenen bekannt durch die Verfilmung von zu halten. Angetriebe­n werden Bob Fosse von 1972. Sie war ganz sie vom zackigen Sound der achtköpfig­en zugeschnit­ten auf den Star Liza Band (unter Leitung von Minelli, die als Sally Bowles alle zu Matthias Weibrich), die vom rechten Nebendarst­ellern degradiert­e.

Mit Anneke Schwabe haben die Regisseure Ulrich Waller und Dania Hohmann diese ikonische Rolle mit einer eher unbekannte­n Schauspiel­erin besetzt – was aber von Vorteil ist. Mit Songs wie „Mein Herr“setzt Schwabe im ersten Teil Glanzlicht­er, gewinnt aber im zweiten an Profil, wenn sie auch schauspiel­erisch mehr gefordert ist. Ihre Hymne „Cabaret“ist ein Glanzpunkt des

Abends. Die ungewollte Schwangers­chaft, die Weigerung, mit Cliff das Land zu verlassen – sie opfert viel, um ihre Karriere trotz aller drohenden gesellscha­ftlichen Umbrüche fortzusetz­en. Und so ist „Cabaret“eben auch ein Lehrstück in Zivilcoura­ge. „Wenn du nicht dagegen bist, bist du dafür“, sagt Cliff.

Im Gegensatz zur Verfilmung bekommt hier die Nebenhandl­ung von Pensionsle­iterin Fräulein Schneider und ihrer Liebe zum jüdischen Obsthändle­r Schultz großen Raum. Das mag an der famosen Besetzung mit Angela Winkler und Peter Franke liegen. Ihre Songs wie „Nichts ist mir so lieb“oder „Heirat“bringen einen Hauch Operette in die Revue. Mit ihrem Understate­ment, ihrer zarten Verschmitz­theit ist Angela Winkler trotz oder wegen ihrer 80 Lebensjahr­e der überrasche­nde Star des Abends.

Anrührend ist diese Liebesgesc­hichte, die mit einer geschenkte­n Ananas beginnt und damit endet, dass ihr der Mut fehlt, sich gegen die Nazis auf die Seite ihres Verlobten zu stellen. Am Ende geht er ab, wenn die Schlägerty­pen schon aufmarschi­ert sind und „Der morgige Tag ist mein“singen – mit Judenstern und Koffer.

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FOTO: K. SCHOMBURG/ATG ENTERTAINM­ENT

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