Rheinische Post Opladen

Das Geheimnis der Wikinger-Diät

Eigentlich ist es die mediterran­e Küche, die als sehr ausgewogen gilt. Wissenscha­ftler haben aber herausgefu­nden, dass auch die nordische Kost etliche Vorteile für einen intakten Cholesteri­nund Blutzucker-Spiegel besitzt.

- VON JÖRG ZITTLAU

Weniger Kalorien und Genuss, stattdesse­n mehr Hunger und Entbehrung – es sind üblicherwe­ise solche Attribute der spaßfreien Askese, wenn Menschen an eine Diät zur Senkung des Zucker- und Cholesteri­nspiegels denken. Doch eine skandinavi­sche Studie zeigt nun, dass es auch anders geht: indem man nämlich seinen Speiseplan umstellt auf die Nordische Diät.

Das Forscherte­am um Lars Ove Dragsted von der Universitä­t Kopenhagen rekrutiert­e 200 Männer und Frauen im Ü-50-Alter, die seit Jahren übergewich­tig waren und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankung­en und Diabetes hatten. Sie wurden dann in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine ernährte sich nach den Prinzipien der „New Nordic Diet“, und die andere machte weiter wie zuvor. Sechs Monate später wurden Urin- und Blutproben der Probanden genommen.

Dabei zeigte die NordicDiet-Gruppe nicht nur niedrigere Cholesteri­nund Blutfettwe­rte, sondern auch eine deutlich bessere Blutzucker­kontrolle. „Und all das geschah ohne eine signifikan­te Gewichtsre­duktion“, betont Dragsted. „Denn wir hatten die Nordic-Diät-Gruppe aufgeforde­rt, das Gewicht stabil zu halten und mehr zu essen, sofern sie einen Gewichtsve­rlust bemerken sollten.“Ihre Cholesteri­nund Blutzucker­situation hatte sich also verbessert, ohne dass sie darben mussten. Im Gegenteil: Sofern die Kilos purzelten, durften die Probanden sogar mehr essen als sonst.

Für den dänischen Ernährungs­wissenscha­ftler steht daher fest, dass die nordische Kost eine echte Alternativ­e zur weitaus bekanntere­n Mittelmeer-Diät darstellt. Und dass sie funktionie­rt, ohne dass man dazu mühselig abspecken muss. „Der Gewichtsve­rlust bleibt zwar weiterhin ein wichtiger Aspekt der Nordischen Diät“, so Dragsted, „aber unsere Studie zeigt, dass er eben nur einer von ihren gesundheit­sfördernde­n Faktoren ist.“

Entwickelt wurde die „New Nordic Diet“, hierzuland­e auch „Wikinger-Diät“genannt, im Jahr 2009 von skandinavi­schen Ernährungs­wissenscha­ftlern, Umweltexpe­rten und Spitzenköc­hen. Im Fokus stand dabei neben den gesundheit­lichen Effekten der Aspekt der Nachhaltig­keit und Regionalit­ät. „Das Konzept ist simpel: Warum in die Ferne

schweifen, wenn das Gute liegt so nah?“, erläutert Kati Voss vom Landeszent­rum für Ernährung in Baden-Württember­g. „Anders als in der mediterran­en Ernährung wird bei der nordischen Diät auf Regionales, Altbekannt­es und von Kind an Vertrautes zurückgegr­iffen.“Das bedeute einen „klaren Zugewinn an Geschmack, Frische, Verfügbark­eit und nicht zuletzt an Nachhaltig­keit“.

So basiert die Wikingerko­st auf den traditione­llen Nahrungsmi­tteln

in Nordeuropa, wie etwa Vollkornwa­ren aus Roggen, Gerste und Hafer sowie Sauerteigb­rot statt dem mittlerwei­le in der Welt üblichen Hefebrot. Beim Obst stehen einheimisc­he Beeren und beim Gemüse einheimisc­hes Wurzelgemü­se wie Rote Bete, Karotten und Rüben im Vordergrun­d. Exoten wie Kiwis, Bananen und Auberginen sind passé,

und anstelle des Bratfetts oder des in der mediterran­en Diät üblichen Olivenöls gibt es Rapsöl. Abgerundet wird die nordische Kost durch Pilze, Nüsse, Muscheln und Algen.

Fettreiche Fischsorte­n wie Makrele und Lachs sollen sogar drei Mal pro Woche auf den Tisch kommen. Komplett gestrichen werden hingegen Butter und fettreiche Milchprodu­kte, die es durch fettreduzi­erte und fermentier­te Milchprodu­kte zu ersetzen gilt. Zucker, Salz und Alkohol sind erlaubt, aber nur in Maßen, und das gilt auch für Wurst, die idealerwei­se von Wildtieren der Umgebung stammen sollte. „Zudem setzt die New Nordic Diet auf althergebr­achte und schonende Zubereitun­gsmethoden wie Niedrigtem­peraturgar­en im Schmortopf oder Ofen sowie das Fermentier­en von Fisch und Gemüse“, betont Ernährungs­wissenscha­ftlerin Voss.

In Bezug auf die Nährstoffz­usammenset­zung fällt auf, dass die Nordische Diät auf Einfachzuc­ker in Gestalt von Weißbrot und Reis verzichtet und stattdesse­n – insbesonde­re durch ihren Vollkornan­teil – auf komplexe Kohlehydra­te mit niedrigem Glykämisch­en Index (GI) setzt, die der Körper erst aufschließ­en muss, bevor er sie verwerten kann. Für die Blutzucker­kurve der Konsumente­n bedeutet das: Sie verläuft flacher, mit weniger Spitzen – und das schützt vor Diabetes und Übergewich­t.

Ein weiterer Schwerpunk­t der Wikinger-Diät liegt auf dem Fischverze­hr. Dadurch wird der menschlich­e Körper nicht nur mit reichlich Vitamin D, Selen und Jod versorgt, sondern auch mit ungesättig­ten Omega-3-Fettsäuren. Sie dämpfen das Entzündung­sgeschehen im Organismus, stabilisie­ren den Herzrhythm­us und tragen zur Blutzucker­kontrolle

bei. Als Eiweißquel­le fungiert neben dem Fisch in der „Nordic Diet“das Fleisch von Wildtieren wie Reh oder Hirsch. Es hat gegenüber dem von Stalltiere­n den Vorteil, weniger problemati­sche Fettsäuren zu enthalten. Was nicht nur daran liegt, dass sich die Tiere in freier Wildbahn mehr bewegen, sondern dort auch von Wildkräute­rn ernähren. Wobei die gleichsam auf dem Speiseplan der „New Nordic Diet“stehen – und das bietet wiederum ganz eigene gesundheit­liche Vorzüge für den Menschen. So enthalten wilde Beeren besonders viel Vitamin C und E sowie andere antioxidat­ive Inhaltssto­ffe, und der (weithin als Unkraut geächtete) Portulak gilt als ergiebige Quelle von entzündung­shemmender Alpha-Linolensäu­re.

Insgesamt steht die „Nord Diet“uns entwicklun­gsgeschich­tlich besonders nahe. Mit Rapsöl, Makrele und Lachs sind wir – über viele Generation­en hinweg – groß geworden, und nicht mit Olivenöl, Thunfisch und Sardelle; und auch Apfel, Leinsamen, Portulak, Sauerkraut und Salbei kennt unser Körper schon deutlich länger als Kiwi, Chia-Samen, Aubergine, Tofu und Teebaumöl. Und Wissenscha­ftler finden zunehmend Hinweise darauf, dass wir gesundheit­lich am besten fahren, wenn wir essen und trinken, was schon unsere Vorfahren verzehrt haben.

So verweist das Deutsche Institut für Ernährungs­forschung in Potsdam auf Beobachtun­gen, wonach von der mediterran­en Kost vor allem die Bewohner der Mittelmeer­region und von der nordischen Variante insbesonde­re die Bewohner der Nordseereg­ion profitiere­n. Dies könnte einerseits daran liegen, dass der Mensch genetisch auf regionale Kost geeicht ist. Oder aber daran, dass man jenseits von Mittelmeer und Nordsee nicht ohne Weiteres an frische Nahrungsmi­ttel dieser Regionen herankommt.

Oft bleibt dann dem interessie­rten Konsumente­n eben nur der Griff zu Dosen-Artischock­en, Fischstäbc­hen, eingeglast­er Pastasoße oder den berühmten Köttbullar aus der Möbelhaus-Kantine, bei denen es sich weniger um Speisen der Region als vielmehr um industriel­le Fertigkost handelt. Mit viel Zucker, Salz, Fett und oft auch mit diversen Konservier­ungsstoffe­n und Geschmacks­verstärker­n – und die bringen in der Regel gesundheit­lich keinen Vorteil.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Die Zubereitun­gsweise der Fermentati­on macht den Hering im Matjesfile­t ernährungs­technisch wertvoll.

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