Appelkamps Fingerzeig
Nach wechselhaften Wochen ließ der 21-Jährige gegen Bielefeld aufhorchen – auch wegen einer Geste.
In seiner Zeit bei Fortuna hat Shinta Appelkamp nicht zum ersten Mal seinen Finger auf den Mund gelegt, als er nach einem Tor zum Jubel angesetzt hat. In der vergangenen Saison beim 3:0 gegen Hansa Rostock verwendete er diese Geste nach seinem Treffer zum 2:0. So wie auch am vergangenen Wochenende. Da lieferte er gegen Arminia Bielefeld eine Galavorstellung ab, erzielte zwei Tore und gab eine Vorlage – Endstand: 4:1. Ein Ausrufezeichen von Appelkamp, sein Jubel ein Ventil nach Wochen, in denen er geschwiegen hatte und sich offenbar viel Frust aufgestaut hat.
Im Profigeschäft Fußball drehen sich Räder besonders schnell. Man kann noch so oft wiederholen, dass es um einen 21-Jährigen geht. In der Endabrechnung hat auch der zu funktionieren. So ehrlich muss man sein. Vielleicht bekommt er etwas mehr Zeit für seine Entwicklung eingeräumt. Doch der Druck von allen Seiten verbietet den Handlungsbeteiligten allzu viel Nachsicht.
Cheftrainer Daniel Thioune ist im Fall Appelkamp in einem besonderen Dilemma. Der Deutsch-Japaner ist das Juwel von Fortuna. Die Hoffnungen in die Entwicklung des Mittelfeldspielers sind riesengroß. Es ist also Erwartung auch an Thioune, das Talent auf diesem Weg zu begleiten und besser zu machen. Das gilt als Spieler in all seiner Komplexheit. Thioune hat in den vergangenen Wochen viel Geduld bewiesen.
Und wahrscheinlich musste er auch ein wenig über seinen Schatten
springen, was seine Prinzipien angeht. Thioune orientiert sein Spiel mittlerweile etwas weniger an seinen Ideen als an den Qualitäten seiner zentralen Spieler. Gute Trainer verfügen genau über diese Fähigkeit. Absolut kein Eingeständnis von Schwäche, im Gegenteil.
Natürlich basiert das alles auf der Annahme, mit Appelkamp auch wirklich besser zu sein. Nüchtern betrachtet konnte er das Versprechen einfach nicht immer einlösen, was kein großes Drama ist. Würde er jeden Spieltag so agieren wie gegen Arminia, hätte schon eine Reihe von Klubs aus der Bundesliga so laut angeklopft, dass man es bei Fortuna nicht hätte überhören können. Doch der Körper von Appelkamp spielte nicht immer mit, spielerisch braucht es in der Entwicklung auf seiner Position einfach etwas.
„So wünscht man sich natürlich einen Offensivspieler. Was er gegen Arminia gezeigt hat, war schon beeindruckend. Ich habe noch ein paar kleinere Kritikpunkte, aber die sage ich ihm persönlich. Es soll nicht schmälern, was er geleistet hat“, sagt Sportvorstand Klaus Allofs. „Natürlich habe ich Verständnis für seine Reaktion beim Jubel. Dennoch glaube ich nicht, dass wir dazu beigetragen haben, ihn über Gebühr unter Druck zu setzen. Es ist aber sicherlich richtig, dass man bei einem Spieler wie ihm, der sich über alles intensiv Gedanken macht, genau abwägen sollte, wie man sich in seiner Kritik ausdrückt.“
Allofs kann aus eigener Anschauung wohl ganz gut beurteilen, wie es ist, mit übergroßen Erwartungen bei einem Verein konfrontiert zu sein. „Bei mir war das damals nicht anders“, erinnert sich der 65-Jährige. „Es gehört auch zur Entwicklung dazu, sich damit auseinanderzusetzen. Wir verlangen sicher nichts Unmögliches von ihm. Er steht unter enormer Beobachtung von vielen Seiten. Das hat er sich ja auch verdient.“
In der Bielefeld-Form könnte Appelkamp auf den letzten Drücker sogar noch ein Thema für die WM sein. „Nüchtern betrachtet sind seine Chancen mit Japan sicherlich deutlich größer. Um es klar zu sagen: Ich hätte natürlich lieber einen deutschen Nationalspieler in unseren Reihen. Aber bei der Geschichte von Shinta würden wir ihn natürlich auch bei diesem Weg unterstützen.“
Es sind einige Themen auf dem Tisch. Für Fortuna kann sich das alles natürlich im schlimmsten Fall zu einem Pulverfass entwickeln, auch wenn man natürlich tapfer die Hoffnung haben sollte, vor allem positive Energie aus allem zu ziehen. Gleichwohl bleibt ein Spannungsfeld vorhanden. Es in einem erträglichen Rahmen zu halten, ist zuvorderst die Aufgabe von Thioune, der die Befindlichkeiten moderieren muss.
Der Trainer hatte eingestanden, es verpasst zu haben, Appelkamp in den vergangenen Wochen abgeholt zu haben. Manches ist möglicherweise auf Strecke verloren gegangen. Glücklicherweise nichts, was nicht behoben werden könnte. Alle Beteiligten machen den Anschein, dass es ihnen ausschließlich um die Sache geht. Allerdings: Es geht nicht um einen Zwist zwischen den beiden. Es geht mehr um die allgemeine Wetterlage, die Frage, ob sich Appelkamp ausreichend geschützt gefühlt hat.
„Die Zeit reicht nicht immer aus, um mit allen zu sprechen“, sagt Thioune. „Ich musste auch erst einmal verstehen, dass ihn das alles belastet hat. Er hat mir gesagt, was ihn beschäftigt. Entscheidend ist, was wir ihm mitgeben. Es gab vielleicht auch ein paar Dinge, die ich gesagt habe, die er nicht so einsortieren konnte. Ich werde weiter auch öffentlich eine offene und ehrliche Antwort geben. Das Verhältnis zwischen den Spielern und mir ist so gut, dass niemand daraus ziehen könnte, dass mir die Kritik gegolten hätte. Es gehört sich aber nicht, den Zeigefinger auf den Mund zu legen. Ich finde so eine Geste unpassend. Inhaltlich kann man gerne über alles reden.“