Katy Perry macht Ernst
Der US-Superstar gab in Köln ein bemerkenswertes Konzert vor 14.000 Fans. Es bewies: Pop ist so politisch wie lange nicht.
KÖLN Die ersten Minuten machen direkt deutlich, dass hier etwas im Schwange ist. Die Bühne, die eben noch ein gewaltiges Auge schmückte, gibt den Blick frei auf den Weltraum. Man sieht zu, wie Planeten geboren werden und wie sich alles immerzu erneuert: Revolution in der Unendlichkeit. Bilder der alten Inkarnationen von Katy Perry flackern auf, bunte Ansichten der Sängerin aus den vergangenen zehn Jahren. „Das Leben ist ein Akt der Rebellion“, orakelt eine Stimme,
Pop war bei ihr bisher eine ekstatische Erfahrung. Sie hatte einfach gute Laune und wollte Fun
und: „Die einzige Möglichkeit, gut zu leben, ist, frei zu leben.“Dann gibt es einen Knall, und sie schwebt aus dichtem Nebel und in einem Gewitter aus mächtigen Beats und immensen Bässen auf ihrem eigenen Gestirn herab: Katy Perry trägt das Haar sehr kurz und sehr blau. Sie hat einen goldenen Anzug an, sie wirkt entschlossen, und sie macht klar: Ich bin jetzt eine andere.
Die 33 Jahre alte Amerikanerin tritt vor 14.000 Fans in der Kölner Lanxess-Arena auf. Sie ist der Mensch mit den meisten TwitterFollowern (109,6 Millionen), und sie gehört neben Taylor Swift, Rihanna, Adele und Beyoncé zu den fünf erfolgreichsten weiblichen Solo-Performerinnen. Das ist die härteste Disziplin im Pop, und Perry war hier bisher stets die lustige Freundin: bisschen albern, bisschen irre und mit einer Vorliebe für rosa Schaum, Tüll, Zuckerguss und Rüschen. Sie hing keiner Ideologie an, sie war nicht provokant, sie hatte einfach gute Laune und wollte Fun. Pop war bei ihr vor allem eine ekstatische Erfahrung, der totale Überschwang. Der Erfolg war enorm: Fünf Singles aus ihrem Album „Teenage Dream“erreichten Platz eins der US-Charts; das war zuvor nur Michael Jackson gelungen.
An diesem bemerkenswerten Abend in Köln fasst Perry ihre Mega-Hits schon früh in einem Block zusammen. Es scheint, als wolle sie die Stücke hinter sich bringen, damit sie nicht mehr im Weg stehen. Sie inszeniert „California Gurls“, „Hot And Cold“und „Last Friday Night“zwar mit enormem Aufwand, und überhaupt ist die Bühnenproduktion ChampionsLeague-würdig: jeder neue Hintergrund ein Instagram-Hit. Sie zieht sich fünf Mal um, lässt Flamingos tanzen und Donuts fliegen. Man hat irgendwann weiße Pünktchen auf der Netzhaut, weil alles so grell ist. Und zu „I Kissed A Girl“aus dem Jahr 2008 verschwindet sie schaukelnd in einem überdimensionalen Kussmund. Aber sie macht auch klar, dass das alles Vergangenheit ist. In sechs Akte ist der Auftritt unterteilt, dieser heißt „Retrospective“. Viel wichtiger, so wirkt es, sind ihr „Manifesto“, „Introspective“und „Emergence“. Die spielen heute, sind sozusagen ihre Status-Up- dates, und darin geht es um einiges düsterer zu.
2016 gab es einen Bruch in ihrer Karriere. Katy Perry hatte sich im Wahlkampf für Hillary Clinton engagiert, und als die überraschend gegen Donald Trump verlor, wurde alles anders. Perry schnitt sich die Haare ab, entdeckte frauenfeindliche Tendenzen in ihren alten Liedern, machte eine Therapie und konnte das alles nicht fassen. Sie wollte jedenfalls nicht länger den Soundtrack zu einem CocktailAbend in der Beach Bar liefern, sondern „purposeful Pop“, wie sie sagt: entschlossene, engagierte Musik. Das dritte Lied dieses Konzerts dokumentiert, was sie darunter versteht: das großartige „Chained To The Rhythm“beginnt mit der Zeile „Are we crazy?“. Perry gibt zu verstehen, dass wir alle in unseren je eigenen Blasen leben, eingeschlossen hinter imaginären weißen Gartenzäunen. Das ist gefährlich, mahnt sie und reimt „trouble“auf „bubble“. Dazu lässt sie Puppen tanzen, die an „The Wall“von Pink Floyd erinnern: Statt Köpfen tragen sie Fernseher zwischen den Schultern.
Die interessantesten Teile dieses rund zweistündigen Abends sind denn auch die, in denen sich die neue Katy Perry zeigt. Auf ihrer aktuellen Platte „Witness“treffen Piano und atmosphärische ElektronikFlächen auf HipHop-Beats und 90er-Jahre-House. Es ist ihre musikalisch ambitionierteste und zugleich kommerziell am wenigsten erfolgreiche Veröffentlichung. In Köln singt sie Stücke daraus vor fleischfressenden Pflanzen. Sie steht unter großen Rosen mit beeindruckenden Dornen, und sie blendet die Computer-Kürzel „Alt-R“und „Delete“ein und spielt damit auf die rechte Bewegung in den USA an: Löschen, bitte! Katy Perry war einst die Personifikation weißer Popmusik, die mit Rockgitarren akzentuiert war. Nun bedient sie sich im schwarzen Musikkanon: Sie zitiert in „Bon Appetit“das Lied „What Have You Done For Me Lately“von Janet Jackson und baut aus beiden Stücken gemeinsam mit ihren sieben Musikern und acht Tänzern ein mitreißendes Funk-Ungetüm. Vor „Roar“lässt sie das bereits von Jay-Z gesampelte „It’s A Hard Knock Life“aus dem Musical „Annie“einspielen.
Pop, und dafür ist diese Show ein weiterer Beleg, ist in den vergangenen zwei Jahren viel politischer geworden. Taylor Swift bringt plötzlich ein düsteres Album voller Anspielungen heraus. Der Rapper Kendrick Lamar erhält als erster Musiker, der nicht aus dem Jazz oder der Klassik kommt, den Pulitzer-Preis für sein Manifest „DNA“. Das meistdiskutierte Lied zurzeit ist „This Is America“von Childish Gambino, das die prekäre Lebenswirklichkeit der Afroamerikaner schildert. Und Beyoncé lieferte im April in Coachella einen Auftritt ab, der wahrscheinlich auf Jahre stilbildend sein wird. Man kann ihn sich im Internet anschauen: Beyoncé zitiert Malcolm X, die Feministin Chimamanda Ngozi Adichie und Nina Simone. Sie taucht tief in die Geschichte der schwarzen Freiheitsbewegung ein und erzählt ihr Leben als schwarze Frau im männerdominierten Showbusiness. Sie ist dringlich, kräftig und radikal. Sie hat sich gelöst von allen Zuschreibungen. Beyoncé liefert nicht das Erwartete, sondern das Neue. Sie ist als Künstlerin tatsächlich frei.
Soweit ist Katy Perry jedoch noch lange nicht. Man merkt, dass die Fans vor allem die alten Kracher hören wollen. Und so kontrastiert Perry ihre Reaktionen auf eine als verstörend empfundene Gegenwart mit sympathischer Jovialität. Das ist eben auch der Vorzug dieser Künstlerin: ihre Zugewandtheit. Sie bittet den „Left Shark“auf die Bühne, jene Cartoon-Figur, die man aus Perrys Auftritt beim Super Bowl 2015 kennt. Sie holt einen 17 Jahre alten Fan, der sich als „Nick aus Moers“vorstellt, zu sich und spielt mit ihm Basketball. Und als Zugabe bringt sie „Firework“: Flitterkanone, Sternenstaub, Swarovski-Seligkeit.
Die Kamera zoomt auf das Gesicht von Katy Perry. Zu sehen ist ein Superstar, der auf dem Weg zu sich selbst kurz Pause macht.