Berliner Charité unterm Hakenkreuz
In der zweiten Staffel der Serie „Charité“geht es um die Rolle der Ärzte im Nationalsozialismus. Ein Set-Besuch.
PRAG (dpa) Er war erst ein Kloster und beherbergte dann die Hauptpostverwaltung. Nun wird in dem weiträumigen Backsteinbau im Prager Stadtteil Smichov die zweite Staffel der ARD-Serie „Charité“gedreht. Die Flure wirken kahl und strahlen Krankenhausatmosphäre aus. Am Eingang hängt ein großes Schild „Anmeldung“, ein Pförtner weist wie in einem richtigen Spital den Weg. Eine Treppe führt tief hinab in den Keller. Unter der Erde stehen im dämmrigen Licht Krankenbetten aus Metall. Wir befinden uns im Operationsbunker der Charité und schreiben die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Mehrere solcher Bunker wurden damals in Berlin gebaut, um auch während der Fliegerangriffe Patienten zumindest notdürftig behandeln zu können.
„Wir haben in Prag nach einem Ort gesucht, wo man möglichst kompakt viele Drehorte unterbringen kann“, erklärt Szenenbildner Thomas Freudenthal. Insgesamt gibt es in dem geplanten Sechsteiler 80 verschiedene Motive. Die Orientierung in den Gängen ist auch für die Schauspieler zu Beginn eine Herausforderung. „Ich habe mich auch schon fleißig verlaufen“, sagt Hauptdarstellerin Mala Emde.
In der ersten Staffel von „Charité“ging es um so hoch angesehene Persönlichkeiten aus dem 19. Jahrhundert wie den Arzt und Gesundheitspolitiker Rudolf Virchow. In der zweiten Staffel, deren Sendedatum noch nicht feststeht, tauchen die Macher in eines der dunkelsten Kapitel der Medizingeschichte ein. Sie zeigen die Charité im Nationalsozialismus.
An die Stelle der Krankenschwester Ida Lenze tritt die Medizinstudentin Anni Waldhausen als junge und starke Frauenfigur. Erst eine begeisterte NS-Anhängerin, stellt sie die Geburt ihres ersten Kindes mit einem Hydrocephalus, einem sogenannten „Wasserkopf“, vor schwere Entscheidungen. Soll sie ihr Baby einem Heim übergeben und damit dem Tod überlassen?
Anni-Darstellerin Mala Emde lobt die internationale Atmosphäre am Set in Prag – und dass Regisseur Anno Saul aufgeschlossen für ihre Vorschläge ist. „Wenn ich irgendwelche Ideen habe, die nicht im Drehbuch stehen, die ich mir überlegt habe, die der Rolle eine andere Facette geben, dann ist er dafür of- fen“, sagt die 21-Jährige. Versprochen wird eine Mischung aus Zeitund Medizingeschichte. Im Fokus der Fernsehserie steht nicht zuletzt der Chirurg Ferdinand Sauerbruch. Seine Haltung zum nationalsozialistischen Regime sei sehr zwiespältig gewesen, sagt Professor Karl Max Einhäupl, heutiger Vorstandsvorsitzender der Charité. „Manches ist bis heute nicht restlos aufgearbeitet.“
Sauerbruch habe als Gutachter des Reichsforschungsrats Projekte unterschrieben und damit ermöglicht, die „in hohem Maße unethisch“gewesen seien. Es sei aber bekannt, dass er jüdischen Mitarbeitern beim Verlassen Deutschlands geholfen habe. Mit der Entwicklung der Unterdruckkammer hatte Sauerbruch die Operation am offenen Brustkorb begründet. Er wurde zu seiner Zeit als „König der Chirurgie“gefeiert. Einerseits sehen manche Biografen in ihm einen „schwankenden Bejaher des Nationalsozialismus“, andererseits war er selbst nie Mitglied der NSDAP.
Von Hitlers Reichskanzlei mit dem Führerbunker war die Charité zwei Kilometer entfernt. Max de Crinis, Leiter der Psychiatrischen- und Nervenklinik, war an Planung und Organisation der Ermordung von Kranken und Behinderten durch die Nationalsozialisten beteiligt. „Die Charité hat in der NS-Zeit keine Ausnahme gemacht“, sagt ihr heutiger Chef Einhäupl. Die Serie werde eine Diskussion über Medizin in Verantwortung entfachen.