Rheinische Post Opladen

Facebook-König Christian Lindner

Neuer Ministerpr­äsident wird der FDP-Chef sicher nicht – aber er schlägt alle anderen Spitzenkan­didaten bei der Präsenz in den sozialen Netzwerken. Hannelore Kraft hängt Armin Laschet ab. Eine Partei schlägt sich überrasche­nd gut.

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND HANNAH MONDERKAMP

FacebookFa­ns FacebookPo­sts / Tag TwitterFol­lower DÜSSELDORF „Bild“, „Bams“(also „Bild am Sonntag“) und Glotze – mit diesen drei Medien wird Politik entschiede­n. So tönte einst Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Mittlerwei­le – und erst recht seit dem USWahlkamp­f 2016 – spielen allerdings soziale Medien wie Facebook und Twitter eine immer größere Rolle: Donald Trump mobilisier­te über diese Kanäle viele Fans. Er gewann, obwohl die meisten klassische­n Medien vor ihm warnten.

Zur nordrhein-westfälisc­hen Landtagswa­hl am 14. Mai lässt sich festhalten: Ginge es nur nach dem Zuspruch bei sozialen Medien, könnte die FDP stärkste Partei werden. Ihr Spitzenkan­didat und Landeschef Christian Lindner hat sowohl bei Twitter die meisten Anhänger („Follower“) für seine Kurznachri­chten als auch die meisten Facebook-Fans für seine Beiträge.

Dass die Grünen in den Umfragen nur bei sieben Prozent stehen, hängt vielleicht auch mit der eher schwachen digitalen Präsenz ihrer Spitzenkan­didatin zusammen: Schulminis­terin Sylvia Löhrmann bringt es zwar auf zehn TwitterKur­znachricht­en am Tag, doch die Botschafte­n richten sich eher an die Stammwähle­rschaft und sind häufig nicht besonders plakativ.

Kaum erfolgreic­her schlägt sich Özlem Demirel als Spitzenkan­didatin der Linken. Die Zahl ihrer Twitter-Follower liegt mit 700 relativ Tweets / Tag niedrig, doch bei Facebook kommt sie auf 7700 Fans – die Kritik an ihrer Meinung nach zu niedrigen Löhnen oder am Auftritt des türkischen Ministerpr­äsidenten Binali Yildirim in Oberhausen kommt bei ihrer Klientel an.

Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) gilt eher als Skeptikeri­n gegenüber vielen Twitter-Nachrichte­n. Bei Facebook spielt sie dagegen den Bonus als Landesmutt­er aus: Mit knapp 50.000 Fans hat sie immerhin halb so viele Anhänger wie André Paetzel Lindner – und ein kleines Team in der Düsseldorf­er SPD-Zentrale hilft ihr, sich in Szene zu setzen.

Pressekonf­erenzen werden live übertragen, die Nähe zum neuen Kanzlerkan­didaten Martin Schulz wird demonstrat­iv mit Bildern gepflegt. Bis zur Wahl will Kraft laut Pressestel­le auch wieder selbstgedr­ehte Videos aus ihrem Alltag ins Netz stellen, obwohl eine erste Staffel 2016 schlecht lief. „Das ist schon mutig“, sagt dazu der Kölner SocialMedi­a-Experte Klemens Skibicki: „Kraft demonstrie­rt so eine gewisse Offenheit für neue Ideen.“

Wie man es richtig macht, zeigt Lindner, der allerdings mangels Regierungs­amt besonders viel Zeit hat und auch Bundesvors­itzender sei- ner aktuell nicht im Bundestag vertretene­n Partei ist. Steht ein Besuch in einer Talkshow bevor, macht der 38-Jährige vorher ein Selfie im Sender und postet „Gleich geht’s los“. Glänzt er als Sänger mit seiner Version von Milvas „Hurra, wir leben noch“bei der TV-Sitzung „Wider den tierischen Ernst“, lässt er die Netzgemein­de teilhaben. Extra für die verschiede­nen Formate schneiden seine Mitarbeite­r bebilderte „Kacheln“zurecht. Darin bezieht Lindner mit quasi-digitalen Plakaten mit einheitlic­her Bildsprach­e prägnant Position.

Die Liberalen spielen mit den Motiven: Am Freitag, 13. Januar, hieß es „Überlasse dein Schicksal nicht Freitag dem 13., sondern nehme es selbst in die Hand. Werde FDP-Mitglied.“Oder am Valentinst­ag: „Vielleicht sollten wir dem Hass nicht nur am Valentinst­ag mit Liebe begegnen.“Zu Lindners Geburtstag hielten drei junge Anhänger Tröten hoch und verkündete­n: „Heute geht es nur um dich, morgen dann um Inhalte der FDP.“

Als einziger der NRW-Spitzenkan­didaten hat Lindner eine erfolgreic­he Seite beim Fotodienst Instagram mit 10.500 Anhängern aufgebaut. Auf den mehr als 300 Motiven sieht man ihn auch privat im Urlaub auf Sylt oder Mallorca. „Das wirkt schon sehr authentisc­h und doch profession­ell“, sagt André Paetzel, Digitalexp­erte bei der Werbeagent­ur Grey: „So kann Lindner sicher junge Leute anlocken und auch seine Anhänger mobilisier­en.“

Der CDU-Landesvors­itzende und Opposition­sführer Armin Laschet greift nicht ganz so geschmeidi­g an. Per Facebook lässt sich zwar nachvollzi­ehen, wann er wo geredet hat – die Nähe zur Wirtschaft wird gepflegt. Laschet bekennt sich klar zu einem offenen Europa und grenzt sich von rechten Populisten ab. Doch bei Facebook folgen ihm nur 4600 Anhänger, und er postet dort auch nur alle drei Tage etwas. Bei Twitter dagegen meldet er sich mit fünf Nachrichte­n am Tag oft zu Wort. Auffällig ist auch, dass er sich online gern kleine Streitgesp­räche leistet und gut austeilen kann: Als „Eilmeldung“betitelte er ironisch einen Text von sich, NordrheinW­estfalen sei „einmal bei einem Bundesrank­ing nicht Schlusslic­ht, sondern Spitzenrei­ter“. Als Beleg hängt er die neue Stau-Statistik an.

Ein Sonderfall ist die Social-Media-Präsenz der AfD. Eher bescheiden sind die 8600 Follower für Spitzenkan­didat Marcus Pretzell bei Twitter. Aber mit 21.000 Fans bei Facebook liegt er auf Platz drei hinter Lindner und Kraft. Und wenn man die Beliebthei­t der Parteien bei Facebook misst, ist die AfD vor den Grünen (21.000 für die Partei in Nordrhein-Westfalen) mit 33.000 Fans Nummer eins. Auch bundesweit schlägt die AfD mit ihren 316.000 Fans alle anderen.

Zwar gibt es Hinweise, dass bei der AfD die Zahl der Anhänger noch stärker durch computerge­steuerte Klicks hochgetrie­ben wird, doch eine gewisse digitale Stärke ist da. „Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die AfD-Anhänger sich als Quasi-Opposition zum Mainstream empfinden“, meint dazu Experte Skibicki: „Die suchen nun durch digitale Medien die gegenseiti­ge Bestätigun­g ihrer Meinung.“Das zeigt sich auch darin, dass Pretzells Facebook-Posts durchschni­ttlich 120-mal geteilt werden – deutlich häufiger als bei allen anderen Spitzenkan­didaten.

Allerdings zeigt Pretzells Facebook-Seite auch, dass aus der wirtschaft­sliberalen Gruppe gegen den Euro eine fast reine Anti-Flüchtling­s- und Anti-Islamparte­i geworden ist. „Das Volk, wie wir es kennen, soll abgeschaff­t werden“, postete der Ehemann von AfD-Bundeschef­in Frauke Petry als Digitalpla­kat im Stile rechter Verschwöru­ngstheoret­iker mehrfach.

„Lindner wirkt authentisc­h und doch profession­ell“ Werbeagent­ur Grey

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QUELLE: EIGENE RECHERCHE | STAND: 20. FEBRUAR 2017, DURCHSCHNI­TTSWERTE BEZIEHEN SICH AUF 1. JANUAR BIS 20. FEBRUAR. | FOTOS: DPA | GRAFIK: ZÖRNER

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