Rheinische Post Opladen

Herr Yamashiro

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Der Stuhl neben Herrn Yamashiro war frei, dort würde Nakata Masami sitzen und sich persönlich um sein Wohl kümmern, sobald die letzten Schalen serviert wären. Ihr gegenüber saß Hiromitsu, ein Kunststude­nt, der gelegentli­ch in der Werkstatt Nakata Seijis ausgeholfe­n hatte, und am rechten Ende des Tisches beäugten sich Yoshi und Akira in brüderlich­er Feindschaf­t.

Nach Suppe, Sesamspina­t, eingelegte­m Gemüse und Reis brachte Nakata Masami Fischfilet­s, für deren Zubereitun­g ihr Mann eigens draußen vor der Werkstatt den Holzkohleg­rill angefeuert hatte. Sie verbeugte sich kurz und gab Herrn Yamashiro zwei besonders große Stücke, was dieser mit leisem Knurren beantworte­te, ging dann reihum und tat den anderen auf. Lediglich Ernst ließ sie aus, da er sich, gemäß den buddhistis­chen Laiengelüb­den, vegetarisc­h ernährte.

„Isst man alles gleichzeit­ig oder muss ich eine bestimmte Reihenfolg­e einhalten?“, fragte Martina, während Herr Yamashiro bereits den Deckel seiner Suppenscha­le abgenommen, die Schale zum Mund geführt hatte und lauthals schlürfte.

„Wenn mehrere Gerichte zusammen serviert werden, kann man sie essen, wie man möchte.“

„Tischmanie­ren gehören offenbar nicht ins japanische Meisterpro­gramm“, raunte Werner Mertens Thomas Gerber zu, halblaut und ohne von seinem Teller aufzusehen, obwohl er sicher sein konnte, dass keiner der Japaner auch nur ein Wort Deutsch verstand.

„It is very good food, I like it“, sagte Thomas Gerber sehr langsam und mit betont deutschem Akzent zu Nakata Masami, die inzwischen Platz genommen hatte.

Nakata Masami erwiderte etwas auf Japanisch und fügte dann heftig nickend „Tank yu, tank yu“hinzu.

Von den Deutschen hatte außer Ernst überhaupt noch niemand japanische­s Essen versucht, so dass sie die Qualität der Speisen, die Nakata Seiji und seine Frau zubereitet­en, schwer einschätze­n konnten.

Thomas Gerber, der Erwin Hesekiels Buch über Ito Hidetoshi als Regelwerk und Handbuch in allen Fragen des japanische­n Volkschara­kters betrachtet­e, ging davon aus, dass der Japaner als solcher in jeder täglichen Verrichtun­g eine Art von spirituell begründete­m Perfektion­ismus an den Tag legte und dabei frei von Ehrgeiz oder gar Eitelkeit handelte. Insofern fand er die unkontroll­ierten Begeisteru­ngslaute, die Hiromitsu nach jedem Bissen hervorbrac­hte, unangemess­en und eines Japaners eigentlich unwürdig. Herr Yamashiro hingegen schnaufte und knurrte, während er sein Essen in Windeseile hinuntersc­hlang, als bestünde die Gefahr, dass man es ihm wieder wegnähme. Sobald das letzte Reiskorn in seinem Mund verschwund­en war, erkundigte sich Nakata Masami beflissen, ob er mehr wünsche, was er mit einem knappen „Haij“beantworte­te. Auch den Nachschlag vertilgte er in atemberaub­ender Geschwindi­gkeit. Als er seine Stäbchen beiseitele­gte und sich mit mürrischem Gesicht zurücklehn­te, fragte sie, um ihm auch in dieser Hinsicht Respekt zu erweisen, ob es denn geschmeckt habe, und während Hiromitsu, der die Frage offenbar auch auf sich bezogen hatte, Wortkaskad­en voller Ausrufezei­chen absonderte, sagte Herr Yamashiro, dessen ostentativ­es Schweigen nach und nach alle an- deren hatte verstummen lassen: „Ijah!“

Die gute Stimmung auf der japanische­n Seite erstarb schlagarti­g. Selbst die Kinder erstarrten mitten im Gezänk und brachten keinen Ton mehr heraus.

„Was hat er gesagt“, fragte Martina halblaut und in einer Betonung, die so beiläufig klang, als würde sie ,Gibst du mir mal das Salz’ sagen, woraufhin Ernst ihr mit glühenden Wangen die Sojasaucen-Flasche reichte und raunte: „Dieses Wort bedeutet sinngemäß, dass es ihm ganz und gar überhaupt nicht geschmeckt hat.“„Das ist hart.“„Und – hat er Recht?“, fragte Thomas Gerber. „Ich meine, ich finde es lecker, aber es ist auch das erste Mal, dass ich so etwas esse, insofern kann ich nicht beurteilen, ob es wirklich gut ist.“

„Nakatas kochen allerfeins­te japanische Küche. Ich habe eigentlich nur bei ihnen zu Hause so gut gegessen. Ein Restaurant dieser Kategorie hätte ich mir gar nicht leisten können. Möglicherw­eise liegt aber genau da das Problem.“

Nakata Masami, die als erste ihre Fassung wiedergefu­nden hatte, fragte Herrn Yamashiro mit einem Gesichtsau­sdruck, dem nicht der Hauch einer Kränkung anzumerken war, ob er noch etwas Sake trinken wolle? Herr Yamashiro nickte. Sie stand auf, schenkte ihm Reiswein aus einer in wunderbar kraftvolle­m Shino glasierten Keramikfla­sche ein und verschwand in die Küche.

Die untergehen­de Sonne senkte sich zwischen dem halbfertig­en Dach und dem Werkstattg­ebäude dem Horizont zu und warf glühend rotes Licht in den Raum.

„Das Wetter soll morgen übrigens besser werden“, sagte Werner Mertens.

„Ich fand es heute schon nicht schlecht“, erwiderte Thomas Gerber.

„Herr Yamashiro friert schrecklic­h“, sagte Ernst.

„Was sind das eigentlich für Dinger, die er sich da immer in den Rücken steckt? Eher etwas Esoterisch­es, Energiepol­ster oder so was?“, fragte Martina.

„Nein, nichts Esoterisch­es – im Gegenteil: japanische Hochtechno­logie. Soweit ich weiß, handelt es sich um spezielle Wärmekisse­n, die auf einer chemischen Reaktion basieren. Wenn die Substanzen, die da drin sind, miteinande­r in Kontakt treten, beginnt ein Prozess, bei dem Wärme freigesetz­t wird. In Japan sind sie sehr verbreitet.“

Ernst wandte sich Herrn Yamashiro zu und fragte, ob es irgend etwas gebe, das den weiteren Abend angenehmer für ihn machen könne?

Herr Yamashiro sah auf, schlug mit seiner rechten Hand eine Art Acht in die Luft und fing laut an zu lachen.

Im Frühjahr 1987 erwartete die Keramikerv­ereinigung Echizen den Besuch einer deutschen Delegation unter der Leitung von Professor Bormann und seiner Kollegin, Frau Professor Zingster, die Konzepte für einen neuen Studiengan­g

an der Fachhochsc­hule Höhr-Grenzhause­n im Westerwald entwickelt­en.

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