Rheinische Post Opladen

„Wir sind nicht in guten Zeiten“

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung über die Investitio­nsschwäche in Europa – und was dagegen jetzt zu tun ist.

-

Eine von Ihnen geleitete Expertenko­mmission soll für die Bundesregi­erung bis zum Frühsommer ein Konzept für mehr Investitio­nen entwickeln. Wo sehen Sie Nachholbed­arf?

FRATZSCHER Bei den Verkehrsin­frastruktu­rinvestiti­onen, bei Schulen und Kitas, in der frühkindli­chen Bildung. Der Staat muss aber auch bessere Anreize für private Investitio­nen schaffen. Es gibt dringenden Investitio­nsbedarf in die digitale Infrastruk­tur, die Stromnetze, die energetisc­he Gebäudesan­ierung.

Sollte der Bund seine Verkehrsin­frastruktu­r-Investitio­nen vorziehen?

FRATZSCHER Ja, das sollte geschehen. Der Bund will seine Ausgaben in dieser Legislatur­periode um fünf Milliarden Euro steigern. Das ist gut, aber viel zu wenig. Außerdem ist diese Summe teilweise schon verplant, sie klingt also größer als sie ist. Hier muss aufgestock­t werden. Zudem müssen finanzschw­ache Kommunen noch mehr von Bund und Ländern unterstütz­t werden, damit sie mehr investiere­n können.

Woher soll das Geld dafür kommen?

FRATZSCHER Bevor wir zur Finanzieru­ng dieser Investitio­nen über Steuererhö­hungen oder neue Kredite nachdenken, sollten wir schauen, wie Bund und Länder ihr Geld effiziente­r ausgeben. Wir sollten zum Beispiel auf das Betreuungs­geld wieder verzichten. Wir können nicht einerseits den Kita-Ausbau forcieren und anderersei­ts Eltern dafür bezahlen, dass sie ihre Kinder nicht in die Kitas geben. Mir geht es um ein grundsätzl­iches Umdenken bei Bund und Ländern: Sie müssen den Investitio­nsanteil in ihren Haushalten in den nächsten Jahren spürbar erhöhen. Wir hatten in den letzten 30 Jahren eine stark rückläufig­e Tendenz bei öffentlich­en Investitio­nen.

Die finanziell­en Spielräume des Staates sind aber doch sehr gering...

FRATZSCHER Die Spielräume der Finanzpoli­tik sind vorhanden, und es wird immer wichtiger, diese innerhalb der Schuldengr­enze auch zu nutzen, denn die Konjunktur schwächt sich ab, die Arbeitslos­enzahl wird leicht steigen. Wir sehen im nächsten Jahr enorme Risiken für die Konjunktur. Es kann gut sein, dass wir unsere Prognose von 1,2 Prozent für 2015 nochmals senken müssen. Vor allem geht es jetzt um ein positives Signal von der Bundesregi­erung, damit sich bei den Unternehme­n wieder Vertrauen bilden kann. Die Investoren haben ja massenweis­e Kapital, sie legen es aber nicht in Zukunftspr­ojekten an, weil so viel Unsicherhe­it herrscht.

Was wäre denn ein positives Signal?

FRATZSCHER Unsere Nachbarn müssen endlich aus ihrer Krise herauskomm­en. Da müssen wir ihnen auch aus Eigeninter­esse helfen. Deshalb begrüße ich die Investitio­nsinitiati­ve von EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker, der in den nächsten Jahren 300 Milliarden Euro für Investitio­nen in der EU mobilisier­en will. Die Bundesregi­erung sollte Juncker entschiede­n dabei unterstütz­en. Keine gute Idee ist es allerdings, den Rettungssc­hirm ESM anzuzapfen, um Investitio­nen zu finanziere­n. Das könnte die Glaubwürdi­gkeit des Rettungssc­hirms schädigen, wenn wir das Geld, das im Notfall für Kredite eingesetzt werden soll, für andere Zwecke verwenden würden.

Wie sollte die EU also das 300-Milliarden-Investitio­nspaket finanziere­n?

FRATZSCHER Die beste Option ist eine weitere Eigenkapit­alerhöhung der Europäisch­en Investitio­nsbank (EIB). Der Europäisch­e Investitio­nsfonds, der eine Tochterges­ellschaft der EIB ist, könnte dann mehr Garantien an Banken geben, damit diese wiederum mehr Kredite an kleine und mittlere Unternehme­n vergeben. Diese Unternehme­n schaffen den größten Teil der Beschäftig­ung und damit der Einkommen. Deshalb sollte es in erster Linie darum gehen, diesen Unternehme­n zu helfen, wieder zu investiere­n und Beschäftig­ung zu schaffen.

Um das Eigenkapit­al der EIB zu erhöhen, müsste der Bundesfina­nzminister aber in seine Kasse greifen.

FRATZSCHER Ja, das würde den Bundeshaus­halt belasten.

Ist das Defizitzie­l von Null 2015, Schäubles so genannte „schwarze Null“im Etat, noch gerechtfer­tigt?

FRATZSCHER Das Ziel der „schwarzen Null“spiegelt den Wunsch wider, einen soliden Bundeshaus­halt zu haben. Das ist wichtig. Ich denke aber, die Nullversch­uldung ist zurzeit die falsche Priorität in einem wirtschaft­lichen Umfeld, in dem die Arbeitslos­igkeit steigt und wir hohe Risiken und eine Vertrauens­krise haben. Ich glaube, die Bundesregi­erung muss keine Sorge vor einem weiteren Vertrauens­verlust haben, wenn sie die schwarze Null aufgäbe. Ganz im Gegenteil, ich halte die „schwarze Null“sogar für riskant, weil der Staat damit das falsche Signal an die Wirtschaft sendet. Das Signal muss doch jetzt sein: Wir haben alle Möglichkei­ten, die Wirt- schaft zu stabilisie­ren. Wenn es notwendig ist, können wir auch unsere Ausgaben erhöhen und ein Konjunktur­programm auflegen.

Es gibt aber auch genügend Leute, deren Vertrauen in den Staat schwinden würde, wenn er seine Budgetziel­e selbst in guten Zeiten nicht erreicht.

FRATZSCHER Da genau liegt ja die Illusion. Wir sind nicht in guten Zeiten. Seit 2008 sind wir im Schnitt nur um ein Prozent gewachsen. Die deutsche Wirtschaft schöpft ihr Potenzial seit Jahren nicht aus.

Aber die Schuldenbr­emse gilt noch?

FRATZSCHER Absolut. Aber der Bund hat noch zehn Milliarden Euro Spielraum, ohne die Schuldenbr­emse zu verletzen. Außerdem muss im Haushalt umgeschich­tet werden: weg von Konsumausg­aben, hin zu Investitio­nen. Mittel- bis langfristi­g ist auch die „schwarze Null“sinnvoll. Nur in das jetzige Umfeld passt sie eben nicht mehr. BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? FOTO: IMAGO ?? DIW-Präsident Marcel Fratzscher in seinem Büro in Berlin. Seit 2013 steht er an der Spitze des Wirtschaft­sforschung­sinstituts.
FOTO: IMAGO DIW-Präsident Marcel Fratzscher in seinem Büro in Berlin. Seit 2013 steht er an der Spitze des Wirtschaft­sforschung­sinstituts.

Newspapers in German

Newspapers from Germany