Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Das weite Land“bleibt schwarz und leer

Arthur Schnitzler­s Tragikomöd­ie bietet bei der Ruhrtrienn­ale großes Schauspiel von Bibiana Beglau und Michael Maertens. Die Inszenieru­ng wirkt in der Jahrhunder­thalle Bochum aber seltsam fehl am Platz.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

BOCHUM Drei Monate früher und ungefähr 20 Kilometer weiter nördlich hätte diese Inszenieru­ng absolut Sinn ergeben: Arthur Schnitzler­s „Das weite Land“trumpft in der Regie von Barbara Frey mit konsequent­er Fokussieru­ng auf das Wort und starkem Schauspiel von Teilen des Burgtheate­r-Ensembles aus Wien auf. Ein toller Publikumsm­agnet wäre das gewesen für die Ruhrfestsp­iele in Recklingha­usen und ihre große Schauspiel-Tradition. Barbara Frey ist allerdings Intendanti­n der Ruhrtrienn­ale und begrenzt mit ihrer Inszenieru­ng die mannigfach­en Möglichkei­ten, die ein Industriek­ultur-Ort wie die Jahrhunder­thalle Bochum bietet. Dieses „weite Land“ist hier fehl am Platz.

Ja, man kann wirklich staunen über das Talent und die Kunst von Schauspiel­ern wie Bibiana Beglau in einer gegensätzl­ichen Doppelroll­e oder Michael Maertens, der den Fabrikante­n Friedrich Hofreiter gibt. Irgendwo in seinen Vierzigern holt der seine Jugend nach, geht seiner Frau vielfach fremd, will dem Publikum wegen seines tiefen Sehnens, seiner Melancholi­e, seiner Offenheit und seinem hintergrün­digen Witz aber trotzdem nicht unsympathi­sch werden.

Bis auf das letzte Szenenbild, in dem der Blick auf ein riesiges Alpenpanor­ama frei wird, in das sich ein Rad gefressen hat (Bühne: Martin Zehetgrube­r), bleibt die Bühne schwarz und leer. Das Rad sieht aus wie die Seilscheib­e eines Förderturm­s im Ruhrgebiet, soll vielleicht aber auch ein Schaufelra­d sein und somit Symbol für das tiefe Schürfen in den dunklen Kammern der Seele, das sich Barbara Frey für ihre Ruhrtrienn­ale zur Aufgabe gemacht hat.

Tatsächlic­h schürft die Intendanti­n vorher ausschließ­lich im Dunkeln: Die wunderbare Weite und die fasziniere­nde Architektu­r der Jahrhunder­thalle Bochum sind komplett zugehängt, der Bühnenraum ist eine Blackbox, wie man sie in jedem Theaterrau­m einrichten könnte. Natürlich auch im Wiener Akademieth­eater, wohin die Inszenieru­ng im September wandert. Genau das ist der eigentlich­e Makel dieser Programmie­rung: Großes Schauspiel­er-Theater kann man im Ruhrgebiet mit seiner beispiello­sen Dichte an Kulturinst­itutionen an vielen Schauspiel­häusern erleben, die gerade alle mit Publikumsm­angel zu kämpfen haben – und sich früher nicht selten darüber beschwert haben, dass ihnen die Ruhrtrienn­ale auch terminlich ins Gehege kommt. Eigentlich ist das Kulturfest­ival einmal für anderes gegründet worden: für Musiktheat­er-Kreationen, performati­ve oder andere grenzgänge­rische Kunst, die stets die grandiosen und geschichts­trächtigen Orte, an denen sie stattfinde­t, mitinszeni­ert.

Dazu kommt, dass dieses „weite Land“die behauptete gesellscha­ftliche Relevanz (Schnitzler porträtier­e eine „Gesellscha­ft, die ihren moralische­n Kompass verloren hat“, heißt es in der Ankündigun­g) überhaupt nicht einlöst. Hier wird ein Ehedrama aus der Oberschich­t erzählt – und kaum andere als Angehörige dieser Schicht werden sich damit angesproch­en fühlen.

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FOTO: M. HORN/ RUHRTRIENN­ALE Bibiana Beglau (l.) und Katharina Lorenz in einer Szene von „Das weite Land“.

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