Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Wie der Umbau der Industrie gelingen soll
Klimaschutzdifferenzverträge bilden die Basis, um die Umstrukturierung besonders emissionsintensiver Zweige zu finanzieren.
Auf dem Weg hin zur Klimaneutralität ist der Umbau der Industrie eine der Großbaustellen. Besondere Herausforderungen warten in den emissionsintensiven Industriezweigen Stahl, Chemie und Zement, die wesentlich auf fossilen Energieträgern wie Kohle basieren. Der Staat will die Transformation nun finanziell unterstützen, mit Klimaschutzdifferenzverträgen (Carbon Contracts for Difference, kurz CCfD).
Was hat es damit auf sich?
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will mit großen Industrieunternehmen spezielle Verträge schließen, in denen der Fahrplan hin zur klimaneutralen Produktion festgelegt wird. Neben der staatlichen Finanzspritze verpflichten sich die Unternehmen auch zu eigenen Investitionen. „Differenzverträge“bedeutet, dass der Staat jeweils die Differenz zwischen den herkömmlichen Energiekosten und den Kosten der klimaneutralen Produktion ausgleichen wird. In der Stahlproduktion geht es um die Umstellung von der Kokskohle auf Wasserstoff. Dessen Bereitstellung ist eine riesige logistische Aufgabe. Habeck will die Unternehmen sowohl bei der Umstellung der Energieversorgung als auch bei den laufenden Betriebskosten mit Staatsmitteln unterstützen. Die Differenzverträge sollen Teil des Osterpakets werden, mit dem Habeck eine Reihe von Gesetzen zum Umbau von Industrie und Energieversorgung auf den Weg bringen will.
Inwiefern können die Verträge den Umbau beschleunigen?
Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht bei einer raschen Umsetzung der Verträge auch Chancen auf einen schnellen Umstieg auf eine klimaschonende Industrie
und Produktion: „Bis zum Ende des Jahrzehnts können ein Teil der Transformation schon gelungen und die Emissionen im Industriesektor um bis zu ein Drittel niedriger sein. Wichtig ist schnelles Handeln.“
Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, warnte dagegen vor „gravierenden Problemen“, wenn die Verträge flächendeckend eingesetzt würden. „Sinnvoll eingesetzt werden könnten sie bei neuen Technologien, die sich ohne Anschubfinanzierung kaum auf dem Markt etablieren würden. Dazu gehören grüner Stahl, synthetische Kraftstoffe oder grünes Methan“, sagte er unserer Redaktion. Aber durch einen flächendeckenden Einsatz der Verträge würden Unternehmen generell dem Wettbewerb entzogen – „das wäre ein großes Problem, weil dadurch der Umbau der Wirtschaft unnötig teuer wird“, erläuterte Edenhofer.
Was wird die Umstellung der Energieversorgung kosten?
Einer aktuellen Studie der Denkfabrik Agora Energiewende zufolge könnten die Klimaverträge den Staatshaushalt bis 2030 mit gut 40 Milliarden Euro belasten. Neben Aufbaukosten für klimafreundliche Anlagen von acht Milliarden Euro könnten demnach weitere 34 Milliarden Euro über zehn Jahre für die teurere Produktion dazu kommen. Allein die Stahlbranche, der größte CO2-Emittent in der Industrie, müsste mit bis zu 27 Milliarden Euro abgesichert werden. In der Chemiebranche mit der Ammoniak-Produktion wären die Kosten deutlich niedriger. Bei Zement könnten sie sich fast auf null belaufen, wenn das CO2 unterirdisch gespeichert würde.
Wie wird das Kosten-Nutzen-Verhältnis eingeschätzt?
Klima-Ökonom Edenhofer rät davon ab, die „gewaltige Summe“von 40 Milliarden Euro für die CCfD einzusetzen. „Ich plädiere für einen sehr maßvollen und zielgenauen Einsatz der Carbon Contracts.“Das Ziel müsse sein, den Emissionshandel zu stärken und den CO2-Preis als wirksames Instrument für den klimafreundlichen Umbau der Industrie zu verankern. Die Experten von Agora Energiewende rechnen die Kosten für die Verträge mit den drohenden weiteren Klimaschäden gegeneinander auf. Laut Philipp Hauser, Programmleiter Klimaneutrale Industrie von Agora Industrie, könnten innerhalb der gesamten Laufzeit der Verträge von je zehn Jahren Klimaschäden in Höhe von etwa 40 Milliarden Euro vermieden werden.
Woher soll der Wasserstoff kommen?
DIW-Energieökonomin Kemfert sieht den größten Knackpunkt in der Bereitstellung von emissionsfreiem Wasserstoff, also aus Ökostrom hergestelltem Wasserstoff. Ein Wasserstoff-Terminal solle schnell gebaut werden, um die Importe von grünem Wasserstoff zu ermöglichen, fordert er. In Habecks Ministerium laufen bereits die Planungen für den Bau solcher Terminals. Zudem werden an mehreren Standorten in Deutschland Wasserstoffproduktionen aufgebaut.