Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Was aus dem „Problemhaus“wurde
Vor zehn Jahren erlangte ein Gebäude in Duisburg traurige Berühmtheit. Die Stadt steht immer noch vor Herausforderungen.
DUISBURG Es ist irgendwann zwischen Spätsommer und Frühherbst 2012, als plötzlich ein Hochhaus in Duisburg-Rheinhausen bundesweit in die Schlagzeilen gerät. Es dauert nicht lange, dann stehen auch Reporter aus Russland, Polen, Großbritannien und Fernost vor dem Gebäude, um über die Menschen, die dort wohnen, zu berichten. Genauer gesagt: über die Zustände, die in dem Haus herrschen.
Auf engstem Raum leben dort damals in überbelegten Wohnungen Armutsflüchtlinge aus Südosteuropa, vor allem aus Rumänien, die meisten gehören dem Volk der Roma an. Es kommt zu Konfrontationen mit der Nachbarschaft, die Polizei ist fast täglich vor Ort, Demonstrationen vor dem Haus finden statt, es kommt zu Übergriffen, Bewohner werden bedroht („Fackelt die Hütte ab“), es gibt Mahnwachen. „Das Problemhaus hat europaweit traurige Berühmtheit erlangt“, sagt Marijo Terzic, Leiter des Kommunalen Integrationszentrums in Duisburg.
Viktoria D. weiß von alldem nichts, als sie sich im vergangenen Jahr nach einer Wohnung in Rheinhausen umschaut. Die Juristin aus Bochum möchte wegen einer neuen Arbeitsstelle in den linksrheinischen Duisburger Stadtteil ziehen. Eine frisch renovierte 53-Quadratmeter-Wohnung mit zwei Balkonen, Laminatboden und Aufzug im Haus sagt ihr zu. „Die hat mir sofort gefallen“, sagt sie. Sie gibt die Anschrift des Gebäudes bei Google ein, „In den Peschen“. Was sie zu sehen bekommt, kann sie zunächst nicht glauben: Berichte und Bilder über das „Problemhaus“. „Das war schon ein kleiner Schock. Aber ich habe mich dann weiter informiert“, sagt Viktoria D. Und sie nimmt die Wohnung.
Aus dem „Problemhaus“von einst, das als mahnendes Beispiel für verfehlte Zuwanderungspolitik galt, ist zehn Jahre später nach einer Kernsanierung wieder ein normales Wohnhaus geworden, in dem alle Wohnungen belegt sind und in dem sich die Mieter wohlfühlen. Das Gebäude befindet sich nach einer Reihe von Eigentümerwechseln im Besitz der Accentro AG, die es im Jahr 2021 gekauft hat. Heute hat das Haus 115 Einheiten und ausreichend Stellplätze. „Neben der hervorragenden Verkehrsanbindung sind wir überzeugt von dem Standort Duisburg“, sagt Celine-Chantal Wittig von Accentro.
Marijo Terzic erinnert sich noch gut an 2012 zurück. „Das Ungewöhnliche war, dass mit dem Gebäude ein Hotspot mit vielen Problemlagen entstand in einem eigentlich völlig unaufgeregten, gut bürgerlichen Stadtviertel. Normalerweise entstehen solche Problemhäuser in problematischen Quartieren, nicht aber dort“, sagt er. Damals seien innerhalb kürzester Zeit sehr viele Zuwanderer aus einer ganz bestimmten Region in Rumänien dort hingekommen. „In der Spitze waren mehr als 1000 Menschen dort gemeldet, vermutlich waren es aber noch deutlich mehr, die dort lebten, die nicht angemeldet waren. Hinzu kamen große kinderreiche Familien, die kamen und gingen und nur zeitweise dort wohnten“, erinnert sich Terzic.
Im Sommer 2014 ist das Hochhaus für unbewohnbar erklärt worden, weil die meist überbelegten Wohnungen nicht mehr den Mindeststandards entsprachen. Die Lage rund um das „Problemhaus“entspannt sich durch den Auszug der Bewohner schnell; dafür aber werden die Probleme, die die Stadt Duisburg mit Zuwanderungen aus Südosteuropa hat, in anderen Stadtteilen größer. Die Menschen seien damals in andere Viertel der Stadt wie Marxloh gezogen, manche aber auch in andere Städte, sagt Terzic. Seit 2012 ziehen jährlich immer mehr Armutsflüchtlinge aus Bulgarien und Rumänien nach Duisburg; rund 25.000 sind es nach Angaben der Stadt derzeit. „Das wären nicht viel, wenn sie sich auf die ganze Stadt verteilen würden. Das tun sie aber nicht. Sie lassen sich in den Stadtteilen nieder, die ohnehin schon belastet sind, den klassischen Einwanderstadtteilen, auch Ankommensstadtteile genannt“, berichtet Terzic.
Ein Ende des Zuzugs scheint nicht in Sicht zu sein; die Organisierte Kriminalität spiele dabei eine gewichtige Rolle, meint Terzic. „Da gibt es Strukturen in den Herkunftsländern, die alles organisieren. Die Menschen werden zum Teil mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt. Das Problem bekommt man aber bislang nicht in den Griff – trotz Warnungen und Beratungen. Viele Menschen sind einfach auch sehr leichtgläubig.“
Zwar gehört das „Problemhaus“in Rheinhausen der Vergangenheit an, dafür sind aber viele ähnliche Häuser in Duisburg und anderswo im Ruhrgebiet entstanden. Man habe auf jeden Fall Fortschritte in der Integration der Zuwanderer gemacht, sagt Terzic. Problematisch sei es aber dann, wenn sich Zuwanderer in bestimmten Häusern und Straßenzügen zu sehr ballten. „Zur Integration gehören auch immer beide Seiten, das ist ein Geben und Nehmen. Auch für die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien gelten die Gesetze und Regelungen, an die wir uns alle halten müssen“, sagt er. „Da gibt es leider noch etwas Nachholbedarf.“
Viktoria D. ist froh, die Wohnung im ehemaligen „Problemhaus“genommen zu haben. „Die Entscheidung habe ich nicht bereut“, sagt sie. Sie zahlt für ihre 53 Quadratmeter in der ersten Etage 450 Euro Kaltmiete. „Da kann man nicht meckern. Und ich habe zwei Balkone. Wer hat die schon?“