Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Ein unwürdiger Wettkampf
Die olympische Premiere des Mixed-Wettbewerbs im Skispringen wird zu einer Farce, weil der Weltverband offenbar strengere Regeln als sonst anlegt und fünf Top-Athletinnen disqualifiziert.
DÜSSELDORF/PEKING Wer hätte gedacht, dass Kanada im Skispringen eine olympische Medaille holt? Oder das Team des russischen Olympischen Komitees? Und das auch noch bei der Premiere des MixedWettbewerbs, bei dem Frauen und Männer gemeinsam antreten. Wohl niemand. Doch dann griff am Montag der Weltverband Fis in den sportlichen Kampf um die Medaillen ein. Mit einer unverständlichen und bisher im Skispringen beispiellosen Wettkampfführung, die den Olympischen Spielen unwürdig ist.
Gleich fünf Athletinnen wurden disqualifiziert, weil ihre Anzüge nicht regelkonform waren: Die Japanerin Sara Takanashi, die Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz und Katharina Althaus aus dem deutschen Team traf es im ersten Durchgang. Alle drei waren untröstlich, weil die Goldchancen für ihre Teams damit dahin waren – und schockiert, konnten sie sich doch nicht erklären, warum die Anzüge nicht passten. Zwei Norwegerinnen wurden dann noch im zweiten Durchgang disqualifiziert. Dass alle wegen desselben Regelverstoßes aus dem Wettbewerb genommen wurden – einem zu großen Anzug – , lässt aufhorchen.
Regeln sind Regeln und müssen eingehalten werden. Vor allem bei Olympischen Spielen, wo es um so viel mehr als einen Sieg geht. Völlig
klar. Die Rennleitung statuierte in diesem Fall aber ein Exempel an den Top-Nationen, das allen vor einem Millionenpublikum zeigen sollte, dass es keinen Toleranzbereich gibt. Auch nicht bei den Frauen. Das Problem: Die Kontrolleure der Fis legten bei der Materialkontrolle Maßstäbe an, die sie im Weltcup der Frauen bisher ganz offensichtlich nicht angewendet hatten. Keine gute Werbung für die Sportart überhaupt und ein schwerer Rückschlag für den Stellenwert des Frauen-Skispringens im Speziellen. Wenn die Regeln unterschiedlich ausgelegt werden, ist das nicht im Sinne der Fairness.
„Wir haben uns so darüber gefreut, dass wir einen zweiten Wettkampf hier bei Olympia haben. Die Fis hat das mit dieser Aktion zerstört. Ich finde, die haben das Damen-Skispringen zerstört“, sagte Althaus, die wie Iraschko-Stolz seit Jahren für mehr Gleichberechtigung des Frauen-Skispringens kämpft und auch mal den Weltverband kritisiert.
Heutzutage ist nahezu alles reglementiert im Skispringen. Die Länge der Ski im Verhältnis zum Körpergewicht, die Schuhe, die Skibindungen, das Material der Anzüge, wie weit diese an welcher Stelle sein dürfen. Dass diese Werte eingehalten werden, überprüfen die Kontrolleure bei jedem Weltcup. Kommt ein Anzug also ohne Beanstandung durch jede Kontrolle, muss er den Regeln entsprechen und damit auch für die Olympischen Spiele zugelassen sein. Darauf müssen sich die Sportlerinnen und Sportler verlassen können. In diesem Fall kommt noch hinzu, dass Althaus und Co. bereits am Samstag im Einzelwettbewerb mit den gleichen Anzügen sprangen – da waren sie noch regelkonform.
Am Montag nahm auch der Kontrolleur, der sonst für die Männer zuständig ist, die Ausrüstung der Frauen mit ab. Frauen wie Männer berichteten später, dass die Überprüfung deutlich ausführlicher als sonst gewesen sei, und alles mehrfach nachgemessen wurde. Disqualifikationen gab es aber nur bei den Frauen. „Da ist was komisch“, sagte Karl Geiger.
Nicht nur ZDF-Experte Toni Innauer vermutete daher, dass man im Frauen-Weltcup bisher nicht ganz so genau gemessen habe, was wiederum nicht der Fehler der Springerinnen wäre, die Jahre auf diese so wichtige Premiere für ihre Sportart hingearbeitet haben – aber ein Skandal.
Hinzu kommt, dass es bei den Männern in dieser Saison immer wieder Kritik am neuen Mann bei der Materialabnahme gab. In einigen Fällen sei er zu nachsichtig gewesen. Möglich, dass dieser nun bei Olympia besonders hart durchgreifen wollte. Und die Frauen boten durch die bisher wohl anderen Maßstäbe Gelegenheit dazu. Lediglich die Sloweninnen traf es aus dem Favoritenkreis nicht. Und so feierte das Team den Olympiasieg vor Russland und Kanada. Und natürlich dürfen sie sich als verdiente Sieger fühlen, denn zumindest sind ihre Anzüge nicht als regelwidrig aufgefallen.
Dass der Weltverband aber ausgerechnet die Bühne Olympia nutzt, um den Skispringerinnen zu zeigen, dass man bei ihnen hier und da mal bisher eine Auge zugedrückt hat, das im Wettkampf mit den Männern aber nicht durchgeht, ist perfide. Und schadet auch dem Verband selbst. Denn mit diesem Vorgehen erweckt er den Eindruck, dass die Frauen eben nur dann attraktives Skispringen bieten können, wenn für sie andere Regeln gelten. Nicht gerade ein Pluspunkt im Kampf um ein olympisches Einzelspringen der Frauen von der Großschanzen ab 2024.