Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Problemfall Frauenfußball
Immer weniger Mannschaften, weite Auswärtsreisen, kaum Nachwuchs - der Frauenfußball in der Region befindet sich in einer gefährlichen Lage.
FRAUENFUSSBALL 30 Kilometer ist das nächste Auswärtsspiel für die B-Juniorinnen der Sportfreunde Neuwerk entfernt. Es geht zur JSG Grimlinghausen-Norf im Rhein-Kreis Neuss. Weitere Spiele stehen in Meerbusch und Kaarst an. Und nach Uerdingen geht es auch noch. Dabei spielen die B-Juniorinnen in keiner hohen Liga, die weitere Distanzen mit sich bringt. Neuwerk spielt in der Kreisklasse, die niedrigste Stufe im Ligensystem. Fünf Mannschaften gehören der Liga an, inzwischen muss kreisübergreifend gespielt werden und man trifft dreimal auf jeden Gegner – damit überhaupt ein Spielbetrieb gegeben ist. Es ist ein Beispiel unter vielen, wie es derzeit um den Mädchen- und Frauenfußball in der Region steht.
Im Kreis Mönchengladbach-Viersen führt der Fußballverband Niederrhein aktuell 15 Frauen- und 17 Juniorinnen-Mannschaften. In der Spielzeit 2017/18 waren noch 28 Nachwuchs-Teams gemeldet. Zum Vergleich: Alleine die Herren-Kreisliga-A MG-Viersen umfasst 18 Mannschaften. Im Kreis Heinsberg sind es gegenwärtig acht Damen- und noch sechs Juniorinnen-Mannschaften.
Vor zehn Jahren sah das noch anders aus. Damals war die Frauen-Weltmeisterschaft zu Gast in Deutschland, ein Vorrundenspiel der deutschen Mannschaft fand sogar in Mönchengladbach statt – ein 4:2-Sieg über Frankreich. Die Vereine erlebten großen Zulauf. Zu jener Zeit gab es sogar eine eigene DamenKreisliga
für den Raum MG-Viersen. Doch davon ist Jahre später nicht viel geblieben.
Eine überregionale Adresse war einst der FSC Mönchengladbach. Der Verein von Wolfgang Wassenberg spielte Anfang der 2000er-Jahre zeitweise zweitklassig, DFB-Präsident Egidius Braun sprach damals gar von einer „großen Talentschmiede“im deutschen Frauenfußball. Heute hat Wassenberg gar keine Juniorinnen-Mannschaft mehr. Nur noch ein Frauen-Team in der Landesliga. Die spielhöchsten Teams sind nun Borussia in der Regionalliga und der FV Mönchengladbach in der Niederrheinliga.
Für Wassenberg hat das auch mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun. „Viele Kinder haben heutzutage andere Sachen im Kopf. Da fehlt es an der Disziplin, dreimal die Woche zum Training zu gehen plus am Wochenende zum Spiel“, sagt er. Darunter hätten aber alle Sportarten zu leiden, betont er, egal ob Jungs oder Mädchen. Nur im Frauenfußball, in dem es ohnehin wenige Spielerinnen gebe, falle das umso deutlicher auf.
Denn der Unterbau ist löchrig. Bis zur B-Jugend können Mädchen und Jungen zusammen Fußball spielen. Dann sind die Spielerinnen 15 bis 16 Jahre alt – und der weitere Anschluss bis zur Damen-Mannschaft fehlt dann häufig. Nur wenige Vereine haben eigene U-Mädchen-Teams in der Region und zumeist lediglich einzelne Jahrgänge, kein durchlaufendes System. „Für viele fehlt die Perspektive nach der D- oder C-Jugend“,
sagt Patrick Arand, Trainer der Sportfreunde Uevekoven aus der Mittelrheinliga. Sein Verein musste die U19 vor zwei Jahren mangels neuer Spielerinnen einstellen. Nun gibt es gar keinen Unterbau mehr. Man muss zwangsweise Spielerinnen anderer Mannschaften verpflichten.
„Das Problem ist, wenn man nicht alle Altersklassen besetzt: In einer U17 spielen dann Spielerinnen im Alter von zehn bis 17 Jahren, weil man dann genügend Leute hat. Dann wechseln aber ein paar zu den Frauen und dann bricht wieder alles zusammen, weil nichts nachkommt“, sagt Heike Scheibe von den Sportfreunden Neuwerk. Dort ist sie für die Organisation der Frauen-Abteilung zuständig und trainiert die U17. Ihr Verein führt derzeit als einer der wenigen in der Region eine U11 und eine U13. „Mir liegt am Herzen, dass wir permanent Werbung machen. Wir suchen den Kontakt zu Schulen, haben Schnuppertrainingstage, machen Aushänge“, sagt sie. Von den Verbänden vermisst sie die Unterstützung. Im Vorjahr kündigte der Westdeutsche Fußballverband an, bis 2022 jährlich 100.000 Euro für ausgewählte Projekte im Frauenfußball zur Verfügung zu stellen – wohlgemerkt 100.000 Euro für den gesamten westdeutschen Bereich mit drei großen Verbänden. „Da kommt an der Basis wirklich wenig an“, sagt Scheibe. „Geld ist nicht alles. Aber es geht um Wertschätzung. Dass vielleicht mal bekannte Spielerinnen zu uns in die Vereine kommen. Diese Nähe ist überhaupt nicht da.“Denn während Jungs früh Idole im Fußball finden und diesen nacheifern wollen, sei das im Mädchenbereich wenig ausgeprägt, ist von vielen zu hören. Auch, da die deutschen Nationalspielerinnen nur wenig bekannt seien – selbst im Mädchenbereich.
Ein anderer Punkt: Der damalige „Boom“um die Fußball-WM traf auf Strukturen, die darauf nicht vorbereitet waren. Das fing beim Trainerpersonal an und hörte bei den Platzkapazitäten auf. Das hat sich vielerorts bis heute nicht geändert. Für den Kreis MG-Viersen sagt Yvonne Cremer,
Kreisvorsitzende: „Das ist ein recht kleiner Kreis mit sehr vielen Vereinen auf geringer Fläche. Viele Anlagen sind ausgelastet, das schränkt die Möglichkeiten ein, ebenso fehlen leider qualifizierte Trainer und Trainerinnen, so dass oft keine passenden und perspektivisch attraktiven Angebote bei den Vereinen bestehen.“
Im Kreis Heinsberg ist das nicht anders. Denn viele Trainer, so die Erfahrung einiger Vereine, trainieren lieber im Männer- als im Frauenbereich. „Das macht dann oft der Vater einer Spielerin. Das hat aber auch monetäre Gründe“, sagt Uevekovens-Trainer Arand. In der Frauen-Mittelrheinliga gebe es 200 Euro, in der Kreisliga der Herren 300 bis 400 Euro.
In Heinsberg gehören der SV Schwanenberg und der SC Erkelenz zu den Mannschaften, die noch eigene U-Mädchen-Jahrgänge führen. Aber auch die seien über die Jahre weniger geworden, sagt Michael Brom, Teammanager in Erkelenz. Auch, da oft der Wettbewerb fehle. Denn immer wieder fallen kurzfristig Spiele aus, da es an Spielerinnen fehlt – oder Mannschaften sich ganz zurückziehen. „Wir wollen spielen, können es aber nicht. Da wird dann am Sonntag wieder trainiert anstatt zu spielen“, sagt er. Selbst in einigen U17Klassen wird daher inzwischen mit Siebener-Teams gespielt.
Es sind viele Probleme, denen der Frauenfußball begegnet. Keine Kontinuität im Spielbetrieb, der ausbleibende Nachwuchs, das schwindende Angebot. Und das Thema der weiterhin mangelnden Wertschätzung. Wirkliche Lösungsansätze hat keiner der Gesprächspartner. Es brauche schlicht neue Anreize, um Mädchen vom Fußball zu überzeugen, dazu gute Arbeit und Werbung, heißt es oft. Der Verband Niederrhein sagt dazu: „Nach der Pandemie rückt dieses Thema verstärkt in den Fokus.“Mit den Fußballkreisen soll es gezielt in die Vereine gehen, die keine Frauenund Mädchen-Mannschaften haben. Es seien auch Workshops geplant. Erste Termine soll es dazu Anfang November geben. Es dürften viele weitere folgen.