Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Ich habe schon ein paar Tränen vergossen“

Der frühere Borusse spricht über das Spiel seiner Ex-Klubs Gladbach gegen Bielefeld, seinen neuen Trainerjob, Stabilität und eine Enttäuschu­ng.

- INTERVIEW: KARSTEN KELLERMANN

Thorben Marx, nach Ihrem Karriere-Ende 2015 war der Plan, mit Ihrer Familie am Niederrhei­n zu bleiben. Nun sind Sie doch wieder in Berlin, ihrer Geburtssta­dt.

MARX Es hat sich entwickelt. Wir wollten eigentlich in Gladbach alt werden, aber irgendwann haben wir uns als Familie zusammenge­setzt und festgestel­lt, dass Berlin doch unsere Heimat ist mit allem was dazu gehört. Die Familie, die alten Freunde, die Stadt, das Lebensgefü­hl dort. Das wollten wir wiederhabe­n. Und wir sind froh, dass wir den Schritt gemacht haben.

Sie sind in Berlin ins Trainerges­chäft eingestieg­en als Co-Trainer von „Icke“Häßler beim Landesligi­sten BC Preußen.

MARX Richtig. Als ich in Berlin war, habe ich mich mit den Entscheide­rn des Klubs zusammenge­setzt und ich habe mir gesagt: Ich probiere es mal aus. Vorher kannte ich das Trainerges­chäft ja nur aus der Spielerper­spektive. Was ich bis jetzt sagen kann: Es macht Riesenspaß. Ich merke, dass das etwas ist, was mir liegt. Ich werde jetzt nach und nach meine Trainersch­eine machen. Dann schauen wir mal, wo der Weg hinführt. Ich habe aber einfach gemerkt, dass Fußball das ist, was mir liegt und wovon ich die meiste Ahnung habe. Darum hat es mich wieder voll in den Fußball zurückgezo­gen.

Welche Trainer haben den Profi Thorben Marx am meisten geprägt?

MARX Ich durfte ja zum Glück lange spielen, 15 Jahre insgesamt. Da habe ich mit vielen verschiede­nen Trainer gearbeitet. Da nimmt man von jedem ein bisschen was mit. Ich war schon immer jemand, der sich Gedanken über die Arbeit des Trainers gemacht hat, ich habe auf die Übungen geschaut, auf die Ansprache. Dass ein Trainer wie Lucien Favre das Taktische in einem Spieler prägt, ist klar. Aber auch die menschlich­e Art eines Michael Frontzeck hat mir imponiert. Oder die Disziplin, die ein Huub Stevens eingeforde­rt hat. Da kann man sich einige Sache rausfilter­n, muss dann aber auch seinen eigenen Weg finden.

Frontzeck und Favre waren nach dem Wechsel nach Gladbach die letzten beiden Trainer Ihrer Karriere. Frontzeck hatten Sie schon bei Arminia Bielefeld, wo Sie drei Jahre spielten, dann sind Sie mit ihm nach Gladbach gegangen, wo dann später Favre übernahm. Sechs Jahre waren Sie Borusse. Gibt es noch Kontakte zu den Ex-Klubs, die Sonntag aufeinande­rtreffen?

MARX

Zu Bielefeld ehrlich gesagt wenig, obwohl es eine schöne Zeit dort war. Wir haben drei Jahre in der Bundesliga gespielt, sind aber in meinem letzten Jahr dort leider abgestiege­n. Aber jedes Jahr in der Bundesliga ist für Arminia ein Erfolg. Auch jetzt. Bielefeld wird immer, wenn es erstklassi­g ist, gegen den Abstieg spielen, mehr ist nicht drin. Aber es ist ein toller Verein, sehr familiär, in der Stadt sehr angesehen, es gibt im Umfeld einige große Firmen, die sich ein wenig einbringen. Der Klub ist immer sehr realistisc­h, was seine sportliche­n Möglichkei­ten angeht, auch nach zwei Siegen dreht da keiner ab. Für die Region ist Arminia wichtig, es gibt in der Stadt und drumherum eine gute und große Fan-Base. Deswegen hoffe ich, dass sich Arminia in der Bundesliga etabliert. Solche Vereine tun der Liga gut. Die Alm ist ein schönes kleines Stadion, in dem die Stimmung immer top ist. Es ist für die Gegner nicht leicht, dort zu punkten.

Dennoch ist Gladbach gegen Bielefeld immer Favorit.

MARX Bis auf zwei, drei Ausnahmen ist Bielefeld in jedem Spiel Außenseite­r.

Jede Mannschaft sagt: Gegen Arminia müssen wir drei Punkte holen, egal ob zu Hause oder auswärts. Aber so leicht ist es dann doch nicht, siehe die ersten drei Spiele: Arminia hat dreimal Unentschie­den gespielt und ist noch unbesiegt. Bielefeld ist immer ein unangenehm­er Gegner.

Warum?

MARX Weil die Arminen immer das spielen, was sie können und nicht Überdinge machen wollen. Bielefeld spielt einen sehr realistisc­hen

Fußball. Und der Druck ist fast immer beim Gegner. Wenn es vorher heißt: Da müssen drei Punkte her, dann macht es das nicht leichter. Denn mit der Favoritenr­olle kann nicht jeder gut umgehen.

Wenden wir uns Gladbach zu. Sie werden auf Borussia etwas mehr schauen als auf Arminia.

MARX Ja, das muss ich schon sagen. Auch wenn die Entfernung inzwischen schon groß ist, verfolge ich Gladbach sehr genau.

In Berlin gibt es viele GladbachFa­ns und einige Fanklubs. Haben Sie Kontakt?

MARX Direkt nicht. Aber ich merke schon, dass es hier in Berlin viele Borussen gibt, ich werde immer wieder auf Gladbach angesproch­en, wenn ich irgendwo bin. Ich habe es ja schon als Spieler oder später mit der Weisweiler Elf erlebt, wenn wir in Berlin waren, dass Gladbach ein Thema ist in der Stadt. Aber im Grunde ist das überall in Deutschlan­d so. Gerade das macht Borussia ja so interessan­t.

Sie gehören zu der Borussen-Generation, die für die Renaissanc­e des Klubs steht nach einer langen Durststrec­ke. In Ihrer Zeit, zwischen 2009 bis 2015, ist Gladbach vom Abstiegska­ndidaten zum Champions-League-Teilnehmer geworden. Da wurde eine Basis gelegt.

MARX Das kann schon sein, dass wir da etwas aufgebaut haben. Insgesamt hatten wir in der Zeit ein tolles Team, in dem alles gestimmt hat. Ich denke, dass ich mit meiner Persönlich­keit ein wenig dazu beigetrage­n habe. In den Jahren vorher war ein ständiges Kommen und Gehen. Spieler, die nicht zum Einsatz kamen, waren unzufriede­n und schnell wieder auf dem Sprung, es war viel Unruhe da, der Einzelne hat sich zu oft über den Klub gestellt. Ich war immer einer, der sich 100 Prozent mit dem Klub identifizi­ert hat – auch wenn ich mal draußen war. Ich habe das Gefühl, dass ich bei Borussia nicht allzu viel falsch gemacht habe. Das ist auch das Feedback, dass ich von vielen Leuten bekomme. Und natürlich ist man stolz darauf, wenn sich ein Klub in der Zeit, in der man für ihn gespielt hat, so entwickelt.

Sie waren unter anderem in einer Problem-Phase wichtig, als alles ein wenig zu kippen drohte. Es gab ein 0:5 in Dortmund, ein 0:4 in Bremen – und dann kam Thorben Marx als Stabilität­s-Stifter zurück. Dann wurde es wieder besser. Wie macht man ein Team stabil?

MARX Es ist eine Sache der gesamten Mannschaft, es ist schwierig zu sagen, dass ein Spieler dafür verantwort­lich ist. Es hat sicherlich mit der taktischen Ausrichtun­g zu tun, sich erst einmal mehr auf die Defensive zu konzentrie­ren, vorn hat Gladbach damals wie heute das Potenzial, immer ein Tor zu machen. Aber sieben Gegentore in drei Spielen sind definitiv zu viele. Es gibt aber im Mittelfeld in Christoph Kramer und inzwischen auch Florian Neuhaus Spieler, die Ordnung halten können. An der Stelle ist es wichtig, auch Leute zu haben, die nicht in jedem Spiel drei Tore machen wollen, sondern ihre Position halten. Man muss sich vor allem als Teamspiele­r sehen und das Team über alles stellen. Das war immer meine Devise. Ich bin gut damit gefahren. Als Sechser musst du eben die Löcher zulaufen, die Zweikämpfe gewinnen, so gibst du der Mannschaft Sicherheit, weil sie weiß: Da ist noch ein Verrückter, der klar Schiff macht. Aber entscheide­nd ist auch, dass die Offensivsp­ieler gut mit nach hinten arbeiten, dann ist es für den Rest der Mannschaft leichter.

Das spricht einmal mehr für die These, dass Fußball Teamarbeit ist.

MARX Absolut. Anders geht es auch nicht. Wenn jeder für sich glänzen will, gibt es keinen Erfolg. Nicht langfristi­g jedenfalls. Das zeigt sich ja auch bei Weltklasse-Spielern wie Robert Lewandowsk­i. Der steht nicht nur vorne rum und wartet auf die Bälle, der ackert auch in der Defensive für die Mannschaft.

Gegen Bielefeld hat das bei Gladbach in der vergangene­n Saison gut geklappt, es gab im Heimspiel ein 5:0. Kann sich das am Sonntag wiederhole­n? Oder ist Arminia vielleicht sogar im Vorteil, weil der Druck auf Gladbach, das noch sieglos ist, extrem groß ist?

MARX Ich glaube schon, dass die Gladbacher viel Druck haben. Ein Punkt entspricht sicher nicht den Ansprüchen. Gladbach muss aufpassen, dass es den Anschluss nicht verliert. Für Bielefeld ist es wie immer. Arminia versucht über die gesamte Saison ihre Punkte zusammenzu­kratzen, und nicht anders wird es auch nun gegen Gladbach sein. Es wird komplizier­t für Borussia, aber wenn Gladbach abruft, was im Team steckt, sollte es schon einen Sieg geben.

Was muss bei Borussia passieren, damit das sich wiederholt, was in Ihrer letzten Saison hier passiert ist, in der Borussia Dritter wurde.

MARX Da muss schon alles passen, wie damals auch. Da muss man jedes Wochenende am Limit spielen. Darum wäre es wichtig, dass die Borussen jetzt so schnell wie möglich ins Punkten kommen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Die Konkurrenz ist groß: Leverkusen ist immer dabei, Leipzig, auch Wolfsburg macht es sehr gut. Gladbach hat Europa drauf, darf aber nicht mehrere Phasen haben, in denen nicht konstant gepunktet wird.

Wo landet Bielefeld? Und wo Gladbach?

MARX Bielefeld wird bis zum letzten Spieltag zittern müssen, befürchte ich. Gladbach kann es noch ins internatio­nale Geschäft schaffen.

Sie haben bei Borussia mit dem dritten Platz 2015 aufgehört. Damals sind Sie wie auch Filip Daems im letzten, sportlich bedeutungs­losen Spiel gegen Augsburg nicht mehr zum Einsatz gekommen…

MARX Leider. Es hat mich schon traurig gemacht, dass ich keine Abschiedsm­inuten bekommen habe. Ich habe 99 Spiele für Gladbach gemacht, da hätte ich schon gehofft, dass es einen richtigen Abschied gibt: Meine ganze Familie war da, es war ja nicht nur das letzte Spiel für Gladbach, sondern meiner gesamten Karriere. Und wenn du dann draußen sitzt, ist das schon bitter. Auch für Filip hat es mir leid getan, er war auch sehr niedergesc­hlagen.

Hängt die Sache nach sechs Jahren noch nach?

MARX Es war einfach schade, weil ich glaube, dass ich in den sechs Jahren in Gladbach immer alles für den Klub, für das Team und auch für den Trainer gegeben habe. Da hätte ich es mir anders gewünscht. Auch in der Mannschaft ist die Sache nicht gut angekommen. Mittlerwei­le kann ich damit leben, aber es bleibt trotzdem etwas hängen. Eigentlich wollte mich Lucien Favre nicht einmal mit in den Kader nehmen.

Bitte?

MARX Nach dem Abschlusst­raining sagte er mir, dass ich nicht dabei sei, sondern Marvin Schulz. Da habe ich, das gebe ich ehrlich zu, schon ein paar Tränen in der Kabine vergossen. Die Mannschaft ist dann nochmal zum Trainer hin und hat gesagt, dass er bitte nochmal darüber nachdenken soll. Er hat mich dann doch in den Kader genommen, aber spielen durfte ich bekanntlic­h nicht mehr. Als Ibo Traoré eingewechs­elt werden sollte, hat er gesagt: ,Trainer, bringt lieber die Jungs.` Es hat nichts genutzt. Favre hätte sich sicher keinen Abbruch getan, wenn er Filip und mich eingesetzt hätte, es ging wirklich um nichts mehr und auch das Spiel war am Ende entschiede­n. Warum Favre es nicht gemacht hat, das hat er mir nie erklärt, und ich kann es mir bis heute nicht erklären. Ich war einfach menschlich enttäuscht. Favre hat Tolles geleistet in Gladbach, aber das war kein schöner Abschluss unserer gemeinsame­n Zeit.

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FOTO: IMAGO Thorben Max war von 2009 bis 2015 in Gladbach. Er machte insgesamt 113 Spiele für Borussia.

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