Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Bedingt vorbildlich
Der Profifußball hat in der Corona-Krise anderen Sportarten ein Beispiel gegeben. Wirtschaftlich leistet er Großes. Auf anderen Gebieten ist das nicht so. Da ist er ein Spiegel der Gesellschaft, die vor allem an sich selbst interessiert ist.
Seit 2005 ist Christian Seifert Chef der Deutschen Fußball-Liga, der führende Funktionär im Profifußball. 2022 endet sein Vertrag. Verlängern möchte er ihn nicht. Bevor der heute 51-Jährige in den Ruhestand geht oder sich einen anderen Geschäftszweig aussucht, wird er noch zahlreiche Huldigungen über sich ergehen lassen müssen. Für eine Ehrung sorgten soeben die Veranstalter des Deutschen Sportpresseballs. Sie zeichneten Seifert mit dem Pegasos-Preis in der Sonderkategorie für „Besondere Verdienste um den deutschen Sport“aus.
Gewürdigt wird Seiferts Umgang mit der Corona-Krise, genauer noch: seine Idee zur Fortführung des Wettbewerbs unter einer großen Käseglocke. Seit Mitte Mai spielen die Profiligen im deutschen Fußball wieder. Spieler, Trainer und Mannschaftsbegleiter werden ständig auf das Virus getestet, vor der Wiederaufnahme des Spielbetriebs gingen alle in Quarantäne. Seiferts DFL machte mit diesem Verfahren möglich, dass die Bundesliga mit zwar bemerkenswerten, aber vergleichsweise erträglichen wirtschaftlichen Einbußen durch die Krise kommt, weil die TV-Einnahmen nun weiter fließen.
Das fanden nicht nur die Bundesligisten im Fußball toll, die deutsche Erfindung aus Frankfurt am Main wurde zur Blaupause in anderen Sportarten und anderen Ländern. In dieser wirtschaftlichen Hinsicht ist Deutschlands Profifußball zweifellos ein Vorbild. Aber gilt das auch im Blick auf die gesellschaftliche Funktion? Es gibt mindestens vier Antworten auf diese Frage.
Die erste: Natürlich ist der Profifußball kein gesellschaftliches Vorbild. Er hat sich in einer Blase, das nennt er übrigens selbst so, von den Vorgängen der Gesellschaft abgekapselt. Während rundherum in einem zweiten Lockdown das Leben (auch im Amateursport) mit Gewalt heruntergefahren wird, betreibt der Profifußball sein eigenes Geschäft. Er findet diese Sonderrolle sogar legitim, weil er sich im Mittelpunkt gesellschaftlicher Begeisterung wähnt. Was ihm vor Corona als Zustimmung von den Rängen entgegenkam, drückt sich nun in den Abonnentenzahlen beim Privatfernsehen aus. Der Profifußball korrigiert zwar das Budget in erzwungener Bescheidenheit (was für ein Wort bei Milliarden-Umsätzen) ein wenig nach unten. Das System aber ändert er nicht, obwohl es zu Beginn der Krise so viele Sonntagsredner auf dem Prüfstand sahen.
Das System Profifußball beruht auf dem Grundsatz der Gewinnmaximierung und der Konkurrenz. Es geht darum, auf dem Markt möglichst der Größte zu sein. Das schließt ein vergleichsweise kollegiales Miteinander aus. Kollegen sind die großen Klubs im Profifußball nur, wenn sie gemeinsam gegen die internationalen oder nationalen Verbände ihre Interessen vertreten können, und wenn diese gemeinsame Interessenvertretung gemeinsamen Gewinn in Aussicht stellt. Wie wenig namentlich die ganz Großen von praktizierter Solidarität oder einem Nachdenken über das System halten, zeigte sich, als ein paar Kleine sich Gedanken über eine Neuverteilung der Gelder machten und diese Gedanken in die Öffentlichkeit gelangten. Bayern Münchens Boss Karl-Heinz Rummenigge strafte die vermeintlichen Rebellen mit Missachtung. Zu einem eigenen Strategietreffen mit 14 willfährigen Klubs lud er sie einfach nicht ein.
Dabei brauchen die Großen diese Kleinen. Um einen vernünftigen
Wettbewerb zu spielen, müssten die Großen das System ändern, das bislang vor allem sie bediente. Sie verhalten sich aber nicht nach diesem Grundsatz. Es geht den Großen im Fußball um Besitzstandswahrung. Da sind sie nicht anders als die Liga an sich, die sich ihre Blase in der Gesellschaft leistet. Der Profifußball
stellt seine eigenen Interessen vor alles andere. Deshalb ist er kein Vorbild.
Die zweite Antwort: Natürlich ist der Profifußball ein Vorbild. Die Klubs zeigen der Gesellschaft, dass Disziplin tatsächlich Wege durch die Krise ebnet. Sie beweisen, dass ein geordnetes Miteinander einen Berufszweig am Leben erhält. Und sie bieten trotz der seltsamen Begleitumstände in den leeren Stadien ein bisschen Unterhaltung, Ablenkung von einer trüben Wirklichkeit.
Die Nationalspieler Joshua Kimmich und Leon Goretzka haben mit ihrer Stiftung „We kick Corona“viel Geld für soziale Zwecke eingesammelt. Und sie haben damit deutlich gemacht, dass nicht jeder Profi in seiner eigenen Blase lebt und das Wort Verantwortung gar nicht kennt.
Die wenigen persönlichen Ausrutscher,
die sich ein paar Kindsköpfe und Träumer erlaubten, fallen dabei nicht entscheidend ins Gewicht. Der Berliner Profi Salomon Kalou postete gleich zu Beginn der ersten Quarantäne ein Filmchen, in dem er ohne Bedenken die Abstandsregeln verletzte. Der Schalker Berufsfußballer Amine Harit traf sich mit Kumpels in einer Essener Shisha-Bar. Und der Augsburger Trainer Heiko Herrlich verließ das Quarantäne-Hotel, um sich Handcreme und Zahnpasta zu kaufen. Fußballer und Funktionäre müssen ja nicht dringend klüger oder bedachter sein als ihre Zeitgenossen, die mit freiliegendem Rüssel über dem Mundschutz durch die Supermärkte rauschen.
Die dritte Antwort: Natürlich will der Profifußball gar kein Vorbild sein. Er fühlt sich überfrachtet mit diesem Anspruch, den die Gesellschaft, die ja gar nicht so viel besser ist, immer wieder an ihn heranträgt. Mal sollen die Spieler mit ihrem Verhalten auf dem Platz Vorbilder sein, mal mit ihrem Verhalten beim Verhandeln neuer Verträge. Das System aber gehorcht keinen moralischen Kriterien. Es kennt vornehmlich den Anspruch, sich selbst sehr auskömmlich am Leben zu erhalten. Da ist der Zirkus Profifußball nicht anders als andere Zweige der Unterhaltungsindustrie.
Vielleicht ist er nur populärer, weil er so häufig mit jenen fußballerischen Leibesübungen verwechselt wird, die Amateure, Kinder, Freizeitsportler betreiben.
Das führt zur vierten Antwort: Natürlich ist der Fußball an sich ein Vorbild für die Gesellschaft. Dort lernt ein jeder, dass niemand ohne die anderen auskommt. Er lernt Miteinander über soziale und ethnische Schranken hinweg. Er lernt das Leben in einer Gemeinschaft und soziale Verantwortung. Aber mit Profifußball hat das fast nichts zu tun.