Die Angst vor dem Abschied nehmen
Inspiriert durch ihre eigene Trauung, baute sich Sabine Emmerich ein zweites Standbein als Sprecherin bei Hochzeiten auf. Durch Zufall entdeckte sie dann ihr Talent als Trauerrednerin.
WÜLFRATH Wer Sabine Emmerich kennenlernt, erlebt eine lebenslustige und heitere Persönlichkeit. Mit Hummeln im Hintern, würde man vielleicht sagen. Ein Mensch, der mit seinem Charisma wild und positiv ansteckend wirkt. Doch wie bei vielen anderen Zeitgenossen auch, hat Emmerich ebenso eine tiefgründige Seite. Eine, die sie bereit ist, zu teilen, wenn das Leben einen sprichwörtlich aus den Socken haut. Die 55-jährige Wülfratherin ist Trauerrednerin aus Leidenschaft. Nicht, weil sie andere Menschen gerne leiden sieht, sondern weil sie weiß, dass sie Angehörigen im Abschied helfen kann. Erkannt hat sie diese Gabe allerdings eher zufällig, wie sie erzählt.
Inspiriert durch die freie Traurednerin auf ihrer eigenen Hochzeit, fasst sie den Entschluss, sich mit ihrer Wortgewandtheit und ihrem Organisationstalent ein zweites Standbein als frei Traurednerin bei Hochzeiten aufzubauen. „Ich organisiere sehr gerne, schreibe auch seit frühster Jugend gerne und weiß sehr genau, wie Hochzeiten ablaufen“, erklärt sie. Als kurz vor einer geplanten Trauung plötzlich jedoch die Mutter der Braut verstarb, wurde Emmerich gefragt, ob sie denn nicht auch die
Trauerrede für die Verstorbene halten könne. Emmerich schluckte zunächst, sagte aber zu und erlebte eine persönliche Überraschung. Sie empfand eine tiefe Befriedigung in dem, was sie tat, noch viel mehr als bei den Hochzeiten.
Als Ehrenamtlerin im Hospiz und ausgebildete Sterbe- und Trauerbegleiterin seit 2013 ist ihr dieser Teil des Lebens nicht fremd – und dennoch erlebte sie sich selbst als Trauerrednerin auf einer anderen Ebene. Sie fühlte, dass sie trauernden Angehörigen ein Anker sein konnte. „Ich spüre eine große Selbstsicherheit, wenn ich vor einer Trauergemeinde stehe. Ich weiß ganz genau, was ich tue. Sie ein Stück weit auf dem Weg zu begleiten, ihnen die Angst vor diesem Abschied zu nehmen, ist für mich eine große Befriedigung.“
Ihre Arbeit als Trauerrednerin hat sie selbst ebenfalls anders auf das Ende des Lebens blicken lassen. Sie weiß, dass viele Menschen vor diesem Moment Angst haben, weil wir als Gesellschaft den Tod aus dem Leben verbannt hätten.
Doch: „Die Trauerkultur in Deutschland verändert sich.“Viele seien aus der Kirche ausgetreten, suchen andere Wege der Beisetzung. Sie selbst teilt, mit Einverständnis der Angehörigen, viele Impressionen aus Trauerfeiern über ihre sozialen Netzwerke. Viele Kunden seien darüber auf sie aufmerksam geworden. Emmerich ist es wichtig, deutlich zu machen, dass auch der Tod zum Leben gehört und dass er nicht versteckt werden darf.
Die Angst vor dem Tod sei bei allen ähnlich, weil wir als Gesellschaft jedwede Berührung mit ihm vermeiden, sagt Emmerich.
„Früher wurden Verstorbene im Haus aufgebahrt. Familienangehörige kümmerten sich um die Leichenwäsche, nahmen sich Zeit, um
Würdevoll auf dem letzten Weg begleiten
Angebot Sabine Emmerich wird kommenden Samstag, 25. Mai, beim Tag des offenen Friedhofs auf dem Wülfrather Kommunalfriedhof anwesend sein und einen Vortrag über das Thema „Freie Beerdigungen – Abschied neu gedacht“halten. Hier wird sie über die Entwicklungen der Trauerkultur berichten und neue Möglichkeiten aufzeigen, wie heute Trauerfeiern stattfinden können.
sich zu verabschieden. Heute muss ja alles schnell, schnell gehen“, hat Emmerich beobachtet. Kaum ist das Leben aus dem menschlichen Körper entflohen, wird auch schon das Bestattungsunternehmen kontaktiert, das den Leichnam schnellstmöglich aus dem Haus bringt. Die Leichenwäsche und die Aufbahrung wird ausgelagert. „Wir nehmen uns kaum Zeit, um Abschied zu nehmen.“
Bei ihren freien Trauerreden hält sie deswegen inne. Im Vorfeld nimmt sie sich Zeit, um mit den Angehörigen über ihre Verstorbenen zu reden, zu erfahren, was diese Menschen ausgemacht hat, um eine persönliche Abschiedsrede zu schreiben. „Jede Rede ist individuell. Sie muss gut sein.“An einer Abschiedsrede feilt Emmerich gut und gerne fünf bis sechs Stunden. Das ist keine Fließbandarbeit. Das unterscheide eine freie Trauerrede auch von der klassischen Abschiedsliturgie innerhalb der Kirche, sagt sie. „Das Zeitfenster ist für alle gleich, 30 Minuten für die Trauerfeier in Wülfrath.“Doch die freie Trauerrede sei persönlicher.
Emmerich ist es wichtig, dass bei einer Trauerfeier nicht nur geweint, sondern auch gelacht werden darf. Das Lieblingslied des Verstorbenen nehme eine besondere Stellung in ihren Trauerfeiern, ebenso wie Rituale. Das helfe bei der Trauerbewältigung. Auch nach der Trauerfeier begleitet Emmerich die Trauergemeinde zum Grab und spricht dort noch einige Worte, ehe sich die Familienangehörige und Freunde bei der Beisetzung einen kurzen Moment zum Abschied nehmen.
Als freie Trauerrednerin ist Sabine Emmerich bislang die einzige, mit einer Genehmigung auch in Velbert bestatten zu können. Darauf ist sie stolz, denn bislang haben sich die Gemeinden dagegen gewehrt, freie Trauerredner zuzulassen. Sie hat sich allerdings eine Lücke geschaffen, um Menschen mit ihrer Gabe den Abschied einfacher zu machen.