Die Gewaltbereitschaft wächst
Der jüngste Angriff auf Politiker trifft Franziska Giffey in Berlin. Bund und Länder ziehen härtere Strafen in Erwägung.
BERLIN Die Angriffsserie auf Politikerinnen und Politiker reißt nicht ab. Nach einer Attacke auf Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) wurde ein Verdächtiger vorläufig in der Psychiatrie untergebracht, wie die Berliner Generalstaatsanwaltschaft am Mittwoch auf der Plattform X mitteilte. Er soll Giffey am Vortag bei einem Termin in einer Bibliothek ohne Vorwarnung auf den Kopf geschlagen haben. Giffey wurde leicht verletzt. Sie wurde nach eigenen Worten von hinten auf Kopf und Nacken geschlagen. „Ein Mann hatte mich mit einem Beutel, gefüllt mit hartem Inhalt, attackiert“, schrieb Giffey auf X.
Sie zeigte sich besorgt und erschüttert über die „sich verstärkende ,Freiwildkultur‘ mit den Menschen, die sich politisch in unserem Land einsetzen und engagieren“. Bei dem festgenommenen 74-Jährigen gebe es „Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung“, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Der Mann ist der Polizei bekannt. Es gebe Erkenntnisse aus dem Bereich der Hasskriminalität, hieß es weiter.
Ebenfalls am Dienstag war in Dresden die 47-jährige GrünenPolitikerin Yvonne Mosler angegriffen worden. Sie war mit einem Parteikollegen und zwei Medienteams unterwegs und hängte Wahlplakate auf, als sie von zwei Personen attackiert wurde. In Stuttgart wurden zwei AfD-Abgeordnete vor dem Landtag angegriffen. Am Freitag vergangener Woche war bereits in Dresden der SPD-Politiker Matthias
Ecke in besonders brutaler Weise attackiert und verletzt worden. Mindestens einer der vier Angreifer im Alter von 17 und 18 Jahren wird vom Landeskriminalamt dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet.
Eckes Fall löste bundesweit Bestürzung und eine Debatte über Konsequenzen aus. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rief dazu auf, als Antwort bei den anstehenden Wahlen die Stimme abzugeben. „Angriffe auf unsere Demokratie gehen uns alle an“, sagte Scholz in einer am Donnerstag veröffentlichten Videobotschaft. Man dürfe nicht tatenlos zusehen, wenn Politiker, Wahlkämpfer und Ehrenamtliche brutal attackiert würden. „Eine Antwort, die jede und jeder von uns geben kann, ist ganz einfach: Wählen gehen!“, sagte der Bundeskanzler.
Über das Thema hatten schon am Dienstag die Innenminister der Länder im Beisein von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei einer Sondersitzung beraten. Nach der Videoschalte sagte Faeser, man brauche „ein ganz deutliches StoppSignal“. Dafür sei neben Polizei und Sicherheitsbehörden auch die Justiz gefordert. „Gewalttäter, die politisch Aktive attackieren, müssen die volle Härte des Rechtsstaats spüren. Das bedeutet: schnelle konsequente Verfahren und Strafen“, so Faeser. Wenn man das Strafrecht weiter verschärfen müsse, werde sie mit Bundesjustizminister
Marco Buschmann (FDP) hierüber schnell beraten.
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), sagte, die Übergriffe stünden für eine Entwicklung, in der Menschen mit Gewalt, Hass und Hetze politische Ziele durchsetzen wollten. „Lüge, Gewalt und Bedrohung drohen immer stärker Teil des politischen Diskurses zu werden. Das gefährdet unsere Demokratie.“
Bevor die Innenminister ihren Beschluss der Öffentlichkeit vorstellten, gab es intern jedoch Querelen, die noch nachwirken. So waren die Innenminister der unionsgeführten Länder pikiert, dass die Bundesinnenministerin
Das sagen Richterbund und Polizeigewerkschaft
Richterbund Der Deutsche Richterbund nannte die jüngsten Attacken „alarmierend“. Mit Gesetzesverschärfungen wäre aber angesichts großer Personallücken im Gesetzesvollzug „nichts gewonnen“.
Polizeigewerkschaft Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) forderte nach den Angriffen, die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden zu erweitern. (dpa)
das Sondertreffen angeregt und mit Vorschlägen vorangegangen war, obwohl die Innenministerkonferenz vor allem ein Forum der Länder ist. Von einem unangemessenen Verhalten Faesers war da etwa die Rede.
Ihr Parteikollege Georg Maier, Innenminister von Thüringen, sprang ihr bei. „Ja, es ist ein Treffen der Länder, die Innenministerin ist da zu Gast“, sagte Maier unserer Redaktion. Nancy Faeser habe die Kritik auch angenommen. „Damit ist die Sache aber auch erledigt. Es gab zuletzt doch Grund genug dafür, ein Sondertreffen einzuberufen. Die Unionsländer sollen sich jetzt mal nicht so haben“, sagte Maier.
In der Sondersitzung berichteten nicht alle Länder gleichermaßen von einer generellen Gewaltzunahme, wie unsere Redaktion aus Teilnehmerkreisen erfuhr. Manche hätten darauf gepocht, die Lage differenziert zu betrachten, und damit deren Ernst relativiert. Dies habe jedoch den Darstellungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamtes widersprochen, die bei der Sitzung auch vertreten waren. Beide hätten die Lage als „dynamisiert und verschärft“eingeschätzt, von einer höheren Bedrohungslage und „schwerwiegender Gewalt“gesprochen.
Dem geben die Zahlen recht, auf die sich Faeser am Dienstag bezog: Demnach gab es 2023 fast 3800 Straftaten gegen Amtsträger – 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Im gleichen Jahr gab es auch 2710 Straftaten gegen Mandatsträger – 53 Prozent mehr als 2022. (mit dpa)