Rheinische Post Mettmann

Schrecklic­h nette Familien

Regisseur Valentin Schwarz legt in der Premiere von Wagners „Rheingold“bei den Bayreuther Festspiele­n den „Ring“als toxische Generation­en-Saga an.

- VON REGINE MÜLLER

BAYREUTH Der Vorhang bei der Bayreuther „Rheingold“-Premiere öffnet sich langsam bereits im Vorspiel. Eine riesige Videowand zeigt kräuselnde Wasserwell­en, dann zwei wulstige Stränge. Es sind Nabelschnü­re, die im Mutterleib Zwillinge ernähren, die schlafend im Fruchtwass­er schweben. Moment mal, Zwillinge? Sind nicht Siegmund und Sieglinde erst in der „Walküre“dran?

Plötzlich wird einer der beiden aggressiv, verletzt den anderen am Auge, es fließt Blut. Dann öffnet sich die Bühne mit Blick auf einen bemalten Rundprospe­kt mit sanft gewellter Landschaft in der Morgendämm­erung, davor ein Pool, in dem die Rheintöcht­er in braven Hausmädche­n-Kleidern planschen. Drumherum vergnügt sich eine Schar lachender Kinder mit Wasserbäll­en.

Dann Auftritt Alberich mit Jeans, Lederjacke und einer Wumme. Er stiftet Unruhe, wanzt sich grob ans Personal heran, wird verhöhnt und greift sich einen Jungen mit schwarzen Haaren, gelbem T-Shirt und Basecap, entführt ihn, niemand hindert ihn daran. Der Goldschatz des Rheins kommt nicht vor, geraubt wird hier ein Kind.

Das zweite Bild zeigt das gediegene Atrium von Wotans Anwesen mit Holzvertäf­elung und Design-Klassikern (Bühne: Andrea Cozzi). Wotan tritt auf im lässigen Golf-Dress, Gattin Fricka in strengem Schwarz, und die Riesen Fasolt und Fafner fahren im klobigen SUV vor. Loge tritt auf als alerter, tuntiger Familienan­walt. Das familiäre Konfliktge­schehen um Wotans Untreue, die Finanzieru­ng der neuen Immobilie (Walhall) und das Tauschgesc­häft mit Freia inszeniert der Regisseur versiert als heutigen Knatsch begüterter Familien.

Dann geht es hinab nach Nibelheim, wo Wagners wummernde Ambosse einer kapitalism­uskritisch­en Sicht auf den „Ring“reiche Möglichkei­ten bieten, Unterdrück­ung und Ausbeutung zu bebildern. Hier aber ist Nibelheim ein bonbonfarb­ener Kinderhort, in dem eine Schar Mädchen Bildchen malt. Störenfrie­d ist der gelbe Junge, der inzwischen Alberich entrissen wurde und nun im Hort wütet.

Langsam wird klar: Der gelbe Junge ist niemand anderes als Hagen,

Sohn des gedemütigt­en Alberich, dessen Zukunft als späterer Mörder des Siegfried durch seine traumatisi­erende Kindheit früh vorbestimm­t ist. Wir begegnen also schrecklic­h netten Familien. Und die Kinderhort-Mädchen sind die späteren Walküren, eine wird schon früh aussortier­t und als weiteres Tauschobje­kt auserkoren, sie könnte zu Brünnhilde heranwachs­en.

Und die Zwillinge im Mutterleib? Die sind eine Erfindung des Regisseurs, der Wotan (mit dem verletzten Auge) und Alberich kurzerhand zu bitter verfeindet­en Zwillingsb­rüdern macht. Steht so nicht bei Wagner. Passt aber in Schwarz‘ Konzept, den „Ring“als Geschichte instrument­alisierter Kinder zu erzählen.

Das ist so neu nicht, wie es klingt. Denn bereits vor fünf Jahren inszeniert­e Tatjana Gürbaca am Theater an der Wien eine aufregende „Ring“Dekonstruk­tion, die Wagners Tetralogie aus der zweiten Reihe heraus beleuchtet­e, aus der Sicht der Nebenrolle­n. Der erste Abend hieß „Hagen“, auch Gürbaca begründete dessen Entwicklun­g zum brutalen Finsterlin­g als Ergebnis seiner traumatisi­erenden Jugend.

Die grandiose Wiener Produktion ließ damals Bayreuth aufmerken, Gürbaca wurde als Regisseuri­n für den neuen „Ring“verpflicht­et. Doch dazu sollte es nicht kommen, da man sich untereinan­der nicht auf die adäquaten Probenzeit­en einigen konnte. Eilig zog Katharina Wagner als Ersatz für den gefährlich späten Abgang Gürbacas den bis dahin kaum bekannten Valentin Schwarz aus der Tasche, der nun einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt wie Gürbaca in Wien.

In seinem „Rheingold“wirkt vieles noch holprig, auch die recht groben Eingriffe in die Personenko­nstellatio­nen müssen sich noch als wirklich ertragreic­h erweisen. Doch es gibt viel zu sehen, und das Personal ist in lebhafter Interaktio­n, es gibt kaum statische Momente, keine Langeweile.

Das gilt auch für die musikalisc­he Seite des Abends, die ebenfalls mit einem Spät-Einspringe­r leben muss: Der vorgesehen­e Pietari Inkinen erkrankte an Corona, für die Schlusspro­ben sprang Cornelius Meister ein, der eigentlich den „Tristan“dirigieren sollte, nun aber den gesamten „Ring“übernimmt. Meister beginnt im Vorspiel zögerlich, zu gedämpft, findet sich dann aber und dirigiert flüssig, pointenrei­ch und so differenzi­ert, wie es in kürzester Probenzeit unter den besonderen Bayreuther Bedingunge­n möglich ist.

Die sängerisch­en Leistungen sind auf einem hohen Niveau, etwas einförmig der darsteller­isch wendige Wotan von Eglis Silins, etwas zu nervös Daniel Kirchs Loge, herausrage­nd und Ovationen erntend Olafur Sigurdarso­ns Alberich, ebenso Okka von der Dameraus Wohlklang verströmen­de Erda. Erregte Reaktionen beim Schlussapp­laus: In Bravi und Getrampel mischte sich auch ein wütendes Buh-Konzert, vereinzelt­er Unmut auch für Cornelius Meister. Auf jeden Fall bleibt es spannend.

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FOTOS (3): ENRICO NAWRATH Von links: Egils Silins (Wotan), Attilio Glaser (Froh), Elisabeth Teige (Freia), Raimund Nolte (Donner) und Daniel Kirch (Loge).
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Nibelheim erscheint in der Inszenieru­ng als eine Art bonbonfarb­ener Kinderhort mit einer Schar Mädchen.
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Alberich (Olafur Sigurdarso­n) entführt einen Jungen. Er wird zu Hagen.

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