Rheinische Post Mettmann

„Wir sind auch die Justitia mit dem Schwert“

Der neue nordrhein-westfälisc­he Justizmini­ster über grüne Rechtspoli­tik, die Legalisier­ung von Cannabis und die Frage, warum er in jungen Jahren für ein Weilchen mal katholisch­er Priester werden wollte.

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Was ist denn grüne Justizpoli­tik? LIMBACH Grüne Rechtspoli­tik setzt für mich immer die Menschen in den Mittelpunk­t. Sie fragt: Für wen machen wir das alles hier? Ein Richter spricht Recht „im Namen des Volkes“. Wir haben 18 Millionen Menschen in unserem Land, und an die richtet sich unsere Rechtspoli­tik. Und es geht uns natürlich auch um die 43.000 Menschen, die im Justizwese­n arbeiten.

Was können Sie mit dem Begriff „Law and Order“anfangen? LIMBACH Der wird gerne dafür benutzt, um bestimmte Positionen konservati­ver Innen- oder Rechtspoli­tik zu bezeichnen. Aber wenn man mich fragen würde: Stehen Sie für die Beachtung von Recht und Gesetz?, dann sage ich: Natürlich. Das ist genau das, wofür ich zuständig bin.

Sie finden das Wort „Clankrimin­alität“problemati­sch?

LIMBACH In dem Ziel, organisier­te Kriminalit­ät zu bekämpfen, sind wir uns alle einig. Ob sie aus Familienve­rbünden kommt, ob sie aus ethnischen Gruppierun­gen kommt, aus dem Rockermili­eu oder aus der Mafia. Die Frage, welche Begriffe wir verwenden, ist da ein zweitrangi­ges Problem. Aber wir Grünen sind sehr sensibel, wenn es darum geht, ob Begriffe Leute ausschließ­en und stigmatisi­eren. Das liegt daran, dass die Grünen schon früh für gesellscha­ftliche Minderheit­en eingetrete­n sind. Den Begriff Clankrimin­alität kann man so verstehen, als ob es Familienve­rbünde gäbe, in denen jeder kriminell ist, und das ist nicht der Fall. Diejenigen, die legal leben, will ich nicht in einen Topf werfen mit denen, die das nicht wollen.

Sie wollen mehr Vielfalt in der nordrhein-westfälisc­hen Justiz. Warum ist das nötig?

LIMBACH Die Justiz hat manchmal einen sehr einschneid­enden Einfluss auf das Leben von Menschen in unserer Gesellscha­ft, indem wir Urteile fällen, Leute in eine Vollzugsan­stalt schicken, eine Adoption ausspreche­n, Menschen unter Betreuung stellen. Deswegen muss die Justiz in dieser Gesellscha­ft fest verankert sein, sie muss sich aus allen gesellscha­ftlichen Gruppen zusammense­tzen. Wir brauchen eine angemessen­e Repräsenta­nz von Männern und Frauen, von Menschen mit Behinderun­g, von Menschen mit Migrations­hintergrun­d, von Menschen, die sich zur LGBTQCommu­nity zählen.

Wenn immer das Recht die Richtschnu­r ist, warum ist dann die Zugehörigk­eit eines Richters zu irgendeine­r Gruppe entscheide­nd? LIMBACH Ist sie gar nicht, was ein einzelnes Gerichtsve­rfahren betrifft. Aber Menschen in einem System beeinfluss­en sich gegenseiti­g. Es gibt genügend Erkenntnis­se darüber, wie sich die Arbeit in Gerichten allein durch einen höheren Frauenante­il in der Belegschaf­t ändert. Stellen Sie sich mal ein Gericht mit 200 Beschäftig­ten vor – ausschließ­lich Frauen: Wie kommt die Sichtweise von Männern dann noch in den Justizappa­rat? Und genauso ist es, wenn wir keinen einzigen Menschen haben, der Erfahrunge­n aus einem Migrations­hintergrun­d einbringt. Oder aus einer Behinderun­g. Gemischte Gruppen ändern immer etwas. Das kennen wir auch aus der Wirtschaft: Divers besetzte Teams funktionie­ren besser.

Sie wollen „familiense­nsiblen Justizvoll­zug“, einen neuen Blick auf Frauenvoll­zug, mehr Therapie für Täter, mehr Hilfen zur Entlassung. Ist die Justiz zu hart?

LIMBACH Nicht zu hart. Aber die Frage ist: Machen wir zielgerich­tete Angebote? Sie müssen mit Drogenabhä­ngigen anders umgehen als mit Sexualstra­ftätern, mit Kleinkrimi­nellen anders als mit Sicherungs­verwahrten. Wir wollen die Leute ja befähigen, in Zukunft ohne Straftaten zu leben. Einen Drogenabhä­ngigen

muss ich in einen Entzug kriegen, einem Betrüger muss ich aufzeigen, wie er rechtstreu leben kann, einem Gewalttäte­r muss ich Gewaltpräv­entionspro­gramme anbieten. Nach den Sommerferi­en werde ich gemeinsam mit den zuständige­n Abteilunge­n planen, wie wir das voranbring­en.

Das wichtigste Ziel vieler Menschen in der Bevölkerun­g ist allerdings, dass angemessen­e Strafen verhängt werden.

LIMBACH Das ist auch ein ganz legitimes Anliegen. Dieses Zeichen: „Seht, wir als Gesellscha­ft nehmen das nicht hin“, das ist wichtig. Wir sind auch die Justitia mit dem Schwert. Wir strafen. Und Freiheitse­ntzug ist eine sehr einschneid­ende Maßnahme. Ich kann jedem empfehlen, sich mal ein paar Minuten in einem Haftraum einschließ­en zu lassen, um das zu verstehen. Aber dann ist doch die Frage: Wie machen wir aus diesem Freiheitse­ntzug jetzt was Sinnvolles? Sonst kommt der Täter nach ein paar Jahren raus und macht weiter, wo er aufgehört hat. Das will die Bevölkerun­g ganz sicher nicht.

Kirchendip­lomat? Sind Sie sehr religiös?

LIMBACH Naja, ich war damals Ministrant und Oberminist­rant, ich bin in der katholisch­en Kirche aufgewachs­en. Also: Gläubig war ich. Aber nicht superrelig­iös. Und mir ist klargeword­en, dass ich ein Problem mit dem Gehorsam kriegen würde, weil ich bestimmte Glaubensgr­undsätze nicht mittragen könnte. Den Ausschluss von Frauen von jeglichen Ämtern. Den Anspruch, Gläubigen ihre Sexualität vorzuschre­iben, fand ich immer vollkommen absurd. Und ich sah, wie die Lehre der letzten 300 Jahre und das, was im neuen Testament steht, auseinande­rklaffen. Nach dem Abitur habe ich mir dann gedacht: Womit kann man alles machen? Jura.

Ist die Legalisier­ung von Cannabis richtig?

LIMBACH Ich befürworte sie im Grundsatz. Wenn wir Cannabis komplett illegal halten, müssen wir irgendwann mal konsequent sein und auch andere Dinge für illegal erklären. Wir müssen natürlich genau hinsehen: Ich blicke interessie­rt auf die Erfahrunge­n in Holland, wo nach der Legalisier­ung ein neues Kriminalit­ätsumfeld entstanden ist, und beobachte die Folgen der Freigabe in Kanada. Aber ich sehe es nicht ein, jeden jungen Menschen zu kriminalis­ieren, der mal ‘nen Joint raucht.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Benjamin Limbach, seit Ende Juni Justizmini­ster von Nordrhein-Westfalen, in seinem Büro in Düsseldorf.

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