Rheinische Post Mettmann

Tod einer Impfärztin

Eine engagierte Medizineri­n in Österreich nahm sich offenbar das Leben, weil sie Opfer von Hass und Drohungen im Netz wurde. Politik, Polizei und Standesver­tretung zeigen sich entsetzt, es gibt aber auch Kritik an den Behörden.

- VON RUDOLF GRUBER

VÖCKLABRUC­K/WIEN Die 36-jährige Ärztin Lisa-Maria K. scheute die Öffentlich­keit nicht. Auf Veranstalt­ungen, in Medien und in sozialen Netzwerken kämpfte sie unermüdlic­h gegen Corona-Leugner, Impfgegner, Wissenscha­ftsfeinde und Verschwöru­ngsfanatik­er an, obwohl sie immer monströser­en Hassattack­en im Netz ausgesetzt war. Sie kritisiert­e öffentlich die österreich­ische Regierung und die Gesundheit­sbehörden.

Nach sieben Monaten ständiger Morddrohun­gen war K. psychisch am Ende. Im Juni schloss sie ihre Praxis – sie habe ihre Arbeit nicht mehr profession­ell erledigen können, sagte sie. Letzten Freitag wurde die Ärztin in ihrer Praxis im oberösterr­eichischen Seewalchen am Attersee tot aufgefunde­n. Die zuständige Staatsanwa­ltschaft Wels geht von Suizid aus, denn man habe mehrere Abschiedsb­riefe gefunden. Weitere Details würden nicht bekannt gegeben.

K. hatte sich mehrmals beklagt, dass Politiker auf ihre Kritik nicht reagiert und Behörden ihre Anzeigen nicht ernst genommen hätten. Als sie technische Sicherheit­seinrichtu­ngen in ihrer Praxis und ihren privaten Sicherheit­sservice nicht mehr finanziere­n konnte, forderte sie Polizeisch­utz an. Die Medizineri­n hatte über längere Zeit auch Schutz von Beamten erhalten, nach eigenen Angaben aber auch selbst rund 100.000 Euro dafür ausgegeben.

In Österreich hatten sich letzten Herbst Meldungen über Attacken von rabiaten „Patienten“auf Ärzte in Kliniken und Praxen gehäuft. Auch K.s Sicherheit­smann soll immer wieder bei angebliche­n Patienten Messer und andere Kleinwaffe­n konfiszier­t haben.

K. kommentier­te Mitte November auf Twitter eine Demonstrat­ion von Impfgegner­n und Rechtsextr­emisten vor dem Krankenhau­s im oberösterr­eichischen Wels. Sie zitierte Medienberi­chte über eine Blockade der Zufahrt für Rettungsfa­hrzeuge. Stunden später kam die entwarnend­e Meldung, dass eine zweite Zufahrt stets offen gewesen sei. Doch in einer Reaktion der Polizei auf den Tweet von K. soll von einer „Falschmeld­ung“die Rede gewesen sein.

Die Hasswelle in der rechten Szene und bei den Impfgegner­n explodiert­e, sie sahen ihr Reizwort „Fake News“einmal mehr bestätigt. Viele sollen sich von der FPÖ in ihrem Handeln bestätigt gefühlt haben. In Österreich kritisiert als einzige Parlaments­partei die rechte FPÖ seit Langem praktisch jede Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie scharf als unsinnig. Die Regierung aus ÖVP und Grünen hat inzwischen die Corona-Maßnahmen extrem gelockert. So wurde die Impfpflich­t abgeschaff­t, und seit dem 1. August muss auch kein Corona-Infizierte­r mehr in Isolation.

K. lebte keinen Tag mehr ohne Angst. Eine IT-Spezialist­in hatte der Ärztin Hilfe angeboten und soll in kurzer Zeit zwei Männer in Deutschlan­d ausfindig gemacht haben, die mit einem „Massaker“in ihrer Praxis sowie mit „Hinrichtun­g“drohten. Die Polizei ermittelt wegen der Drohschrei­ben weiter gegen unbekannt. An diesen Ermittlung­en ändere auch der Tod der Frau nichts, man warte nach wie vor auf den Abschlussb­ericht der Polizei, so die Staatsanwa­ltschaft.

Nach dem Suizid Lisa-Maria K.s sind die Behörden entsetzt über die Folgen von Hass im Netz. „Zutiefst schockiert“zeigte sich der oberösterr­eichische Ärztekamme­rpräsident Peter Niedermose­r. Gesundheit­sminister Johannes Rauch (Grüne) sagte, er sei „zutiefst bestürzt“, auch wenn er Berichten zufolge K.s Engagement nie gewürdigt haben soll. Nur die sozialdemo­kratische Opposition­schefin Pamela Rendi-Wagner, eine Berufskoll­egin, sagte, was viele so deutlich nicht hören wollen: „Sie vertrat einfach ihren ärztlichen Standpunkt und wurde Opfer von Hass.“

In Wien sowie in mehreren Städten Österreich­s waren am Montagaben­d Gedenkmärs­che und Mahnwachen für die Ärztin Lisa-Maria K. geplant. Es scheint, als sei der Fall nicht abgeschlos­sen. (mit dpa)

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FOTO: ALEX HALADA/IMAGO Blumen und Kerzen liegen für Lisa-Maria K. vor dem Gesundheit­sministeri­um in Wien.

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