Ein später Star
Im August 2020 starb Chadwick Boseman. Für seine letzte Hauptrolle ist er posthum für den Oscar nominiert.
Das war seine letzte Rolle, er spielte den jungen Trompeter Levee, und der will eine Band gründen, er will Lieder schreiben, Musik machen und leben. Chadwick Boseman spielte diesen Stürmer und Dränger, der zuerst eine Nervensäge ist und ein Besserwisser, sich aber allmählich als tief verwundete Seele zu erkennen gibt und schließlich zum Mörder wird. Man ahnt, wie viel Kraft diese intensive Darstellung gekostet haben mag. Die Dreharbeiten zu „Ma Rainey’s Black Bottom“begannen im Sommer 2019; Boseman war bereits todkrank, litt an Darmkrebs, doch kaum jemand wusste es. Das Ensemble wunderte sich, warum er so mager war und sein Team ihn abschirmte. Die Kollegen ahnten nicht, dass Boseman Drehpausen für die Chemotherapie nutzte. Am 28. August 2020 starb der 43-Jährige.
Erst nach seinem Tod wurde „Ma Rainey’s Black Bottom“bei Netflix veröffentlicht, und nun ist Boseman für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert. Anthony Hopkins und Gary Oldman gehören zu seinen Konkurrenten, aber Boseman gilt als Favorit für die Verleihung am Sonntag. Bereits 2009 gewann ein Schauspieler posthum: Heath Ledger wurde für seine Darstellung des Joker in „The Dark Knight“als bester Nebendarsteller geehrt. Da war er bereits länger als ein Jahr tot.
Boseman reifte spät zum Hollywood-Star. Nach kleineren Auftritten in Serien wie „Cold Case“und „Law And Order“übernahm er seine erste große Kino-Rolle mit 35. In dem Film „42 – die wahre Geschichte einer Sportlegende“spielte er Jackie Robinson, der als erster Afroamerikaner in der amerikanischen Profi-Baseballliga antrat. In den folgenden Jahren war Boseman in mehreren Filmbiografien über schwarze Ikonen zu sehen: in „Get On Up“spielte er James Brown, in „Marshall“Thurgood Marshall, den ersten afroamerikanischen Richter am Obersten Gerichtshof der USA.
Die meisten dieser Filme waren Mittelmaß. Aber aus jedem ragte Boseman heraus, jeden überstrahlte er. Besonders deutlich wird das in „Get On Up“: Boseman machte nicht den Fehler, der vielen Schauspielern unterläuft, wenn sie Figuren der Zeitgeschichte spielen. Er imitierte nicht, und er feilte die Vorbilder auch nicht auf das Maß der eigenen Fähigkeiten zurecht. Boseman personifizierte James Brown.
Er machte ihn zu einem Menschen. Und er wirkte dabei so leicht und natürlich, dass der Zuschauer nie denkt, dass da jemand den Godfather of Funk spielt. Der Zuschauer denkt: Das ist James Brown, Mensch!
Boseman studierte zunächst Regie, belegte dann eine Schauspielklasse bei Phylicia Rashad, der
Mutter Huxtable in der „Bill Cosby Show“. Er wurde an der British American Drama Academy in London aufgenommen, hatte aber kein Geld für Reise und Aufenthalt. Rashad vermittelte bei ihrem Bekannten, dem Schauspieler Denzel Washington, der zum Förderer Bosemans wurde und auch „Ma Rainey’s Black Bottom“mitproduzierte.
2016 bekam Boseman die Diagnose Darmkrebs, Stadium III. Wie überhaupt sein Privatleben hielt er auch sie geheim. Er begann die Dreharbeiten zu dem Film, der ihn zum Superstar machte: die Adaption des Marvel-Comics „Black Panther“. Boseman mochte diesen Helden, seit er während seines Studiums in einer Buchhandlung gejobbt hatte und auf die Bände gestoßen war. Er spielte den König T’Challa mit viel Würde, mit altmodischer Gravitas. Das ist ein Superheld, der sich seiner Verantwortung jederzeit bewusst ist. Eine Actionfigur, die in jeder Handlung ihre Größe neu beweisen möchte. Der Film war eine Revolution: der erste Superhelden-Film mit afrikanischem Protagonisten und größtenteils schwarzem Cast. Er spielte 1,3 Milliarden Dollar ein und gehört zu den erfolgreichsten Filmen überhaupt.
Boseman brachte sich am Set von „Black Panther“stark ein. Er schlug vor, die Figuren mit authentischem Akzent reden zu lassen, er machte sich Gedanken über die afrikanischen Symbole, die verwendet wurden. Er verhielt sich tatsächlich wie der König des fiktiven Staates Wakanda, um den es im Film geht. Und sein Motto lieh er sich bei dem Schriftsteller James Baldwin: „Geschichte ist nicht die Vergangenheit,
sie ist die Gegenwart. Wir tragen unsere Geschichte mit uns. Wir sind unsere Geschichte.“
Boseman gab danach einen Detective in dem Polizei-Thriller „21 Bridges“und den Truppführer Stormin’ Norman in Spike Lees Kriegsdrama „Da 5 Bloods“. Man hätte gerne gesehen, wie er weitere „normale“Typen gespielt hätte. Das wäre interessant gewesen: Wie er sich an deren Ängsten und Fehlern orientiert, wie er die Rollen von den Momenten der Schwäche aus entwickelt hätte und die jeweiligen Überzeugungen seiner Außenseiterfiguren begründet. Wie er die Bescheidenheit und das Erhabene noch näher an Figuren austariert, die eben nicht „larger than life“sind.
„Ma Rainey’s Black Bottom“ist also sein Vermächtnis. Das ist ein Kammerspiel, das fast ausschließlich im Aufnahmestudio spielt. Viola Davis spielt die Blues-Musikerin Ma Rainey, die es wirklich gab. Es ist das Jahr 1927, sie will in Chicago eine Platte aufnehmen. Das Drehbuch basiert auf einem Theaterstück, und die Dialoge offenbaren, wie stark das Handeln und die Persönlichkeit der Figuren von rassistischen Verheerungen bestimmt sind. Man sieht das ohnehin mit einem Kloß im Hals. Und dann muss man noch immerzu daran denken, was sich Boseman da abverlangt hat. Viola Davis ist toll, trotzdem gehört der Film Chadwick Boseman.
Er wäre ein würdiger Preisträger.
Wie sein gesamtes Privatleben hielt Boseman auch die Krebsdiagnose geheim