Grundschulen kämpfen mit Neustart
Der volle Unterrichtsumfang wird häufig nicht erreicht. Einige Schulleiter und Eltern stellen den Nutzen des Normalbetriebs so kurz vor den Sommerferien infrage. Die Schulministerin zieht dagegen eine positive Bilanz.
DÜSSELDORF Der Neustart der Grundschulen in den Regelbetrieb ist in Nordrhein-Westfalen durchwachsen verlaufen. In vielen Einrichtungen konnte der volle Umfang der Unterrichtstunden nicht erreicht werden, wie Rückmeldungen aus Schulen der Region ergaben.
„Herausforderungen gibt es. Es ist schwierig, Fachunterricht stattfinden zu lassen, da dieser ja nicht von allen Lehrern erteilt werden darf“, sagte etwa Anna Janßen, Rektorin der St-Michael-Grundschule in Kleve-Reichswalde. Die Fachlehrer könne man aber kaum einsetzen, wenn der Unterricht versetzt stattfinden solle. „Bis zu den Sommerferien improvisieren wir, aber danach wird es schwierig. Nicht jeder ausgebildete Mathe-Lehrer kann auch Englisch unterrichten“, so Janßen.
Niko Baude, Vater einer Zweitklässlerin an der Albert-Schweitzer-Schule in Neuss, hat errechnet, dass seine Tochter Lena-Sophie bis zu den Sommerferien wegen des verkürzten Unterrichts netto nur drei halbe Tage mehr in der Schule verbringt: „Die zwei Wochen vor den Sommerferien hätte man wirklich noch abwarten und dann danach mit einem gut ausgereiften Konzept starten können.“
Auch Irbit Ludwig, Schulleiterin der Astrid-Lindgren-Schule in Monheim, stellt den pädagogischen Nutzen der Schulöffnung für alle Grundschulkinder zwei Wochen vor den Sommerferien infrage: „Eine Woche gewöhnen sie sich an die neuen Regeln. Die zweite Woche geht es darum, das Schuljahr abzuschließen und nicht mehr benötigte Dinge mit nach Hause zu nehmen.“Der Aufwand dafür sei hoch. Immerhin: Für die emotional-soziale Seite sei die Öffnung gut, meint die Schulleiterin.
NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte den Regelbetrieb ohne Einhaltung der Abstandsregeln in den Grundschulen kurzfristig angeordnet und sich dabei auf eine Stellungnahme von Ärzteverbänden gestützt. Am Montag berief sich die Ministerin zudem auf weltweite Studien, „die allesamt das kaum vorhandene Infektionsgeschehen
in dieser Altersgruppe bestätigen“. Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, war dagegen kürzlich zu der Einschätzung gelangt, dass es keine belastbaren Beleg dafür gebe, dass Kinder bis zum Alter von zehn Jahren weniger ansteckend seien. Die Schulministerin zog indes eine positive Bilanz des ersten Schultages: Nach ersten Rückmeldungen sei der Start der Grundschulen in NRW gut verlaufen.
„Unter welchen schwierigen Bedingungen die Schulen arbeiten, zeigen die vielen Rückmeldungen aus der Praxis, die uns erreichen“, hieß es hingegen beim Verband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW, der die Interessen der Lehrer vertritt. Durch Aussagen der Ministerin sei bezüglich des „normalen“Schulbetriebs in der Öffentlichkeit eine Erwartungshaltung geweckt worden, die so nicht erfüllbar sei, kritisierte der Landesvorsitzende Stefan Behlau.
In der Praxis entlud sich am Montag auch Kritik an den Vorgaben für die Nachmittagsbetreuung. Zunächst habe es geheißen, die Offene Ganztagsbetreuung (OGS) dürfe nur innerhalb der jeweiligen Klassenverbände stattfinden. Dann habe das Ministerium kurzfristig entschieden, dass Vormittags- und Nachmittagsbetreuung doch nicht in identischen Gruppen erfolgen müssten. „Wir haben es aber immerhin geschafft, mit vier OGS-Gruppen je eine pro Stufe anbieten zu können. Somit muss ich im Fall einer Infektion nicht alle 200 Kinder in Quarantäne schicken, sondern nur 50“, sagte Schulleiterin Birgit Nösser von der Katholischen Grundschule Fuldaer Straße in Düsseldorf.
„Hoffentlich läuft alles rund“, sagte Christiane Gierke, Schulleiterin und Sprecherin der Hildener Grundschulen, angesichts der gelockerten Vorschriften. Auch Eltern seien besorgt, vor allem wenn Angehörige erkrankt seien, bestätigte ihre Klever Kollegin Janßen: „Die Eltern sind sich dann sehr unsicher, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken sollen.“