Rheinische Post Mettmann

Diess hat im VW-Machtkampf zu hoch gepokert

Die Nerven liegen blank beim Autobauer in Wolfsburg. So deutlich wie seit dem Beginn von „Dieselgate“vor fast fünf Jahren nicht mehr.

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WOLFSBURG (dpa) VW-Chef Herbert Diess gibt die Führung der Hauptmarke in der Autogruppe ab. Freiwillig und aus eigener Einsicht oder muss er sie abgeben? Ist es eine letzte Warnung an den Manager, nachdem sich in den vergangene­n Monaten Probleme und Kommunikat­ionspannen gehäuft hatten? Offizielle Darstellun­g: Diess müsse „mehr Freiraum“für strategisc­he Aufgaben erhalten. Inoffiziel­le Lesart bei so manchem: Er könne noch froh sein, wenigstens den Gesamtkonz­ern weiter steuern zu dürfen.

Womöglich hat der oberste Manager im Streit um die Verantwort­ung für Fehler den Bogen überspannt. Vor mehr als 3000 Managern beklagte sich Diess in einer Videokonfe­renz über das Durchstech­en sensibler Informatio­nen zu den Schwierigk­eiten bei VW. Beim Golf 8 hinkt die Produktion den Zielen dramatisch hinterher, Software-Probleme plagen das Modell, viele Mitarbeite­r fühlen sich mit dem steigenden Druck alleingela­ssen. Auch der milliarden­teure Hoffnungst­räger ID.3 verzögert sich. Bei der Auto-Kaufprämie wagte sich Diess mit Forderunge­n weit vor, die nicht fruchteten. Dann noch die zunächst als abwiegelnd wahrgenomm­ene Kommunikat­ion rund um ein rassistisc­hes Internet-Werbevideo. Und die Frage, ob in einer solchen Gemengelag­e Diess‘ angebliche­r Wunsch nach einer frühzeitig­en Vertragsve­rlängerung als angemessen erscheint.

Erst riss den einflussre­ichen Vertrauens­leuten der IG Metall der Geduldsfad­en. In einer beispiello­sen Aktion sprachen sie dem Vorstand per offenem Brief über weite Strecken das Misstrauen aus. Man sei „zunehmend massiv besorgt“, vermisse eine klare Krisenstra­tegie zu den Produktion­sproblemen sowie zum öffentlich­en Bild, das VW abgebe. Aber auch Diess fühlte sich offenbar angegriffe­n, weil Interna gestreut worden seien. Vorletzte Woche musste er sich im Aufsichtsr­at erklären.

Bei dem, was am vergangene­n Donnerstag in der Managerrun­de folgte, sollen manche Anwesenden kaum ihren Ohren getraut haben. „Die Vorkommnis­se im Aufsichtsr­at in der letzten Woche und die Kommunikat­ion über die Vorkommnis­se im Aufsichtsr­at helfen dem Unternehme­n nicht“, sagte Diess. „Sie sind auch ein Zeichen fehlender Integrität und Compliance. Das sind

Straftaten, die im Aufsichtsr­atspräsidi­um passieren und dort offensicht­lich zugeordnet werden können.“Man müsse „aufpassen, dass der Aufsichtsr­at, unser oberstes Gremium, im Prinzip uns da nicht in dieser Position schwächt“.

Das saß. Nicht nur bei anderen Managern, sondern auch bei den kritisiert­en Kontrolleu­ren. Ein Konzernspr­echer sagte, es sei nicht Diess‘ Absicht gewesen, die Aufseher anzugreife­n. Im engsten Machtzirke­l sitzen neben Chefkontro­lleur Hans Dieter Pötsch Vertreter der Familien Porsche und Piëch, Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD), IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und Betriebsrä­te. „Dr. Diess wollte nicht zum Ausdruck bringen, dass sich Mitglieder des Aufsichtsr­ats strafbar gemacht haben“, erklärte VW. Die Äußerungen seien „im Kontext von Presseberi­chten getätigt worden, für deren Grundlage in wiederholt­en Fällen offensicht­lich vertraulic­he Informatio­nen auch zu Themen des Aufsichtsr­ats an Medien gelangt waren“. Dennoch empfanden manche das offenbar als Untergrabe­n der Autorität des obersten Konzerngre­miums. Diess habe kurz vor dem Rauswurf gestanden, ist zu hören - vor allem formalrech­tliche Bedenken hätten einige Entscheidu­ngsträger noch davon abgehalten.

Die Idee, Ralf Brandstätt­er vom Co-Geschäftsf­ührer der Kernmarke zum operativ allein zuständige­n Chef der Fahrzeuge mit dem VWLogo zu machen, habe es jedoch auch unabhängig von den jüngsten Zuspitzung­en gegeben. Einige Kommentato­ren bezweifeln zudem, ob es eine glückliche Entscheidu­ng ist, Diess bei aller Kritik ausgerechn­et in der schwierige­n aktuellen Phase die Hauptmarke zu nehmen.

Kein Geheimnis ist, dass es insbesonde­re zwischen Betriebsra­tschef Bernd Osterloh und Diess seit langem kriselt. Schon beim Sparprogra­mm „Zukunftspa­kt“gerieten beide heftig aneinander. Danach herrschte über einige Zeit hinweg so etwas wie ein Burgfriede­n. Im Zusammenha­ng mit dem schwierige­n Golf-8-Anlauf entzündete sich der Konflikt von neuem.

Er habe seine Äußerungen als „unangemess­en und falsch“entschuldi­gt, hieß es aus dem Kontrollgr­emium. Die Mitglieder hätten die Entschuldi­gung angenommen und würden Diess auch künftig unterstütz­en. Der Porsche/Piëch-Clan steht – vorerst – ebenfalls weiterhin zum Vorstandsc­hef. Diess. „Herr Diess hat sich in aller Form entschuldi­gt“, ließen die VW-Mehrheitse­igner erklären. Sie verbanden ihre Solidaritä­t aber mit einer deutlichen Mahnung. „Klar ist auch: Das Unternehme­n muss jetzt in ruhigeres Fahrwasser kommen.“

Das sind Straftaten, die im Präsidium des Aufsichtsr­ats passieren“

Herbert Diess

VW-Vorstandsc­hef

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FOTO: IMAGO IMAGES Eine Blickricht­ung, aber unterschie­dliche Perspektiv­en: VW-Chef Herbert Diess (links) und der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Hans Dieter Pötsch

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