Löws neuer Musterschüler
Beim 2:2 gegen Argentinien zeigt Serge Gnabry erneut eine starke Leistung im DFB-Dress. In der Startelf von Bundestrainer Joachim Löw hat der Offensivspieler von Bayern München längst einen festen Platz.
DORTMUND Es war mal wieder an der Zeit für die alte Geschichte von dem Fußballspiel, das zwei so verschiedene Hälften hatte. Bundestrainer Joachim Löw erzählte sie so: „Die erste Halbzeit war schon sehr, sehr stark. Wir waren sehr mutig, sehr beherzt. In der zweiten Halbzeit waren die Argentinier sehr stark.“Sein Kapitän Joshua Kimmich bemühte die leicht abgewandelte Version: „Die erste Halbzeit war sehr gut, in der zweiten Halbzeit haben wir zu früh die Bälle verloren. Dann kriegen wir die Gegentore.“Zusammengesetzt ergaben die beiden Hälften im mit gerade mal 45.000 Zuschauern eher unterdurchschnittlich besetzten Stadion in Dortmund ein stimmiges Ganzes: Deutschland trennte sich im Freundschaftsspiel von Argentinien mit 2:2. Leistungsgerecht, wie es immer so schön heißt.
Löw war trotzdem zufrieden. Er habe „sehr viele positive Erkenntnisse gewonnen“, erklärte er, „Kompliment an meine Mannschaft, die mit so viel Herz und Mut gespielt hat. Das war sehr vielversprechend.“Er meinte natürlich die erste Hälfte der Begegnung und vielleicht noch zehn Minuten nach der Pause, in der seine extrem ersatzgeschwächte Mannschaft eine in Anbetracht der personellen Möglichkeiten „verdammt gute Leistung“geboten hatte.
Namentlich seine Debütanten überzeugten. Zum Beispiel der Freiburger Verteidiger Robin Koch, der innerhalb von ein paar Tagen diesen Werdegang hatte: Am Wochenende war er noch allenfalls ein Perspektivspieler für irgendwann, am Montag infolge einer der erstaunlichsten Absagewellen der Länderspielgeschichte nachnominiert, und am Mittwoch stand er plötzlich in der Startelf, weil sich ein anderer möglicher Debütant, der Berliner Niklas Stark, mit Magen-Darm-Beschwerden abmelden musste. Koch erledigte den Job im Zentrum der Abwehr-Dreierkette ohne einen erkennbaren Hauch von Nervosität. „Sehr stabil, sehr selbstbewusst“, sagte Löw. Und ein bisschen hörte man das Staunen heraus.
Oder Kochs Mannschaftskollege Luca Waldschmidt. Der Freiburger Stürmer hetzte wie ein Hase hinter den Argentiniern her und leistete damit wichtige Beiträge für ein lange Zeit mutiges, schwungvolles Auftreten seiner Mannschaft. Beide haben bewiesen, dass sie brauchbare Alternativen zu den Stammspielern sind. Das findet Löw selbstverständlich gut. „Konkurrenzkampf ist immer wichtig“, erklärte er.
Schon am Sonntag im EM-Qualifikationsspiel in Estland wird Waldschmidt diesen Konkurrenzkampf aber vermutlich von der Ersatzbank bestreiten. In Marco Reus und Timo Werner stehen zwei der Spieler wohl wieder bereit, die dem Freiburger an Erfahrung und vermutlich auch an Klasse überlegen sind. Koch könnte zum zweiten Mal in Folge gebraucht werden, denn Stark wird ebenso weiter ausfallen wie der an einer fiebrigen Erkältung leidende Jonathan Tah. Die anderen möglichen Innenverteidiger Matthias Ginter, Antonio Rüdiger und Thilo Kehrer werden ohnehin keine Spontanheilung ihrer Verletzungen erleben.
In Estland wird das nicht so sehr ins Gewicht fallen. Auch der notgedrungen tüchtig verjüngten Mannschaft, die gegen das ebenfalls ohne die ganz großen Namen angetretene Argentinien ein 2:2 zu Wege brachte, dürfte ein Erfolg beim baltischen Fußballzwerg zugetraut werden. Und sie wird wahrscheinlich nicht nur durch Reus und Werner, sondern auch durch Ilkay Gündogan
verstärkt.
Einer wie er, der in kritischen Phasen ein Spiel beruhigen und mal auf die Bremse treten kann, wenn der Gegner stärker wird, fehlte den Deutschen gegen Argentinien. Sie leisteten sich nach der Pause viele Ballverluste, mussten oft hinterherlaufen und gerieten völlig folgerichtig bildschön ins Schwimmen. Da hatte der Nachwuchs zu wenig Halt, die eingewechselten Suat Serdar und Nadiem Amiri hätten eine starke Schulter gebraucht. Und sogar Spieler von internationaler Klasse wie Torwart Marc-André ter Stegen und Kapitän Kimmich machten unter Druck Fehler.
Gegen die Esten werden sie vermutlich nicht so sehr unter Druck stehen. Da kommt es eher darauf an, einen Abwehrriegel zu knacken. Wichtiger Hebel bei diesem Versuch: Serge Gnabry. Vor ein paar Monaten hat Löw ihm mal jenen Garantieschein ausgestellt, den Louis van Gaal einst dem Bayern-Stürmer Thomas Müller unterschrieb. Van Gaal sagte: „Müller spielt immer.“Löw sagte: „Bei mir spielt Gnabry immer.“Der Münchner Angreifer zeigte auch gegen die Argentinier, warum das so ist. Er hat die Dynamik, vor der sich Verteidiger fürchten, er kann sich auf engem Raum durchsetzen, er nimmt seine Nebenspieler wahr. Und: Er schießt Tore. In elf Länderspielen sind es schon zehn. Das ist eine traumhafte Quote. Die Schlussphase, in der das Spiel zugunsten der Argentinier kippte, erlebte Gnabry auf der Bank. Löw schonte ihn für die nächsten Aufgaben. „Wir brauchen ihn“, betonte der Trainer. Wer das immer noch nicht wusste, der hat es Dortmund wieder mal gesehen. Vor allem in der einen, der ersten Hälfte.