Good Morning, Mister Hammal
2015 floh Mustafa Hammal aus Syrien nach Deutschland. Heute ist er Englischlehrer an einer Realschule in Mönchengladbach. An die Angewohnheiten deutscher Schüler musste sich der 36-Jährige erst einmal gewöhnen.
MÖNCHENGLADBACH In der Heimat von Englischlehrer Mustafa Hammal gehen Jungen und Mädchen getrennt zur Schule. Sie tragen Uniformen, die Röcke gehen in jedem Fall bis über die Knie. Der Lehrer redet, die Schüler schreiben mit. Frontalunterricht – jeden Tag. Für Prüfungen müssen Kinder nicht selten ganze Bücher auswendig lernen. „In Syrien ist es ein schmaler Grat zwischen Respekt und Angst vor Lehrern“, sagt Hammal. „Noten sind das Einzige, was zählt, Schüler fürchten, dass wir ihre Eltern anrufen.“
Im Klassenzimmer an der Realschule an der Niers in Mönchengladbach ist die Stimmung anders. Im Unterricht wird getuschelt, zwischendurch auch laut gequatscht. Schüler tragen, was sie wollen, und das ist manchmal nicht besonders viel. Eine Stunde still zu sitzen, fällt vielen schwer. Noch schwieriger ist es aber für die Lehrkraft, die Schüler zu motivieren.
Etwa jeder dritte Schüler in Deutschland hat Migrationshintergrund – bei den Lehrern sind es
acht Prozent
Lehrer sein ist ein anstrengender Job, für den sich in Deutschland momentan zu wenige interessieren. Deswegen steht Mustafa Hammal, 36 Jahre alt und aus Syrien, vor den Schülern der 9E und spricht über Australien. Auf Englisch. Er hat das Qualifizierungsprogramm „Lehrkräfte plus“absolviert und ist einer von 65 geflüchteten Lehrern, die heute an Schulen in Nordrhein-Westfalen unterrichten. Die Universitäten Bochum und Bielefeld kooperieren dafür mit dem Schulministerium NRW und der landesweiten Koordinierungsstelle für Kommunale Integrationszentren.
Der 36-Jährige gehört zum ersten Jahrgang der Ruhr-Universität Bochum, der 2018 in die einjährige Weiterbildung startete. Allein dort hatten sich knapp 470 Flüchtlinge aus ganz Deutschland beworben. Nach Bewerbungsgesprächen und Sprachtests wurden 25 ausgewählt – Frauen und Männer aus der Türkei, dem Irak, dem Iran und aus Syrien. Zwölf Monate lang fuhr Hammal fast täglich mit der Bahn von Mönchengladbach nach Bochum, lernte dort als eingeschriebener Student Deutsch in Vollzeit, besuchte pädagogische Schulungen und war Praktikant im Klassenzimmer.
Seine ersten Schulstunden in Deutschland seien sehr gut gewesen, sagt der zweifache Vater. „Die Schüler waren interessiert und haben mich viel gefragt: Wieso ich ausgerechnet nach Deutschland gekommen bin, und ob Syrien überhaupt modern ist.“Einiges hat ihn allerdings auch irritiert. „Es gibt Schüler, die versuchen, während der Gruppenarbeit gemütlich die Beine auf den Tisch zu legen. Darüber war ich schon sehr überrascht.“
Auch Silke Vegelahn erinnert sich an die Blicke ihres neuen Kollegen: „Schüler kommen zu spät, reagieren nicht, wenn man sie anspricht. Hier muss er mehr Motivationsarbeit leisten als in Syrien.“Die 50-Jährige ist nicht nur Deutsch- und Englischlehrerin, sondern auch Hammals Mentorin. Von Beginn an begleitet sie seinen Unterricht, sitzt während der Stunden im Raum, hilft mit der Benotung und nicht selten auch bei der Übersetzung von Englisch auf Deutsch. „Als er als Praktikant anfing, war ich skeptisch“, sagt Vegelahn. „Gerade jüngere Schüler wechseln im Englischunterricht ständig ins Deutsche.“
Natürlich habe auch er Bedenken gehabt, gibt Schulleiter Werner Müller zu. Und das nicht nur wegen der Sprache. „Ich war sehr gespannt, wer da kommt“, sagt er. „Ist es jemand, der vom Krieg und der Flucht traumatisiert ist? Oder jemand, der eigentlich gar nicht in Deutschland sein will?“
Mustafa Hammal spricht offen über seinen Weg aus Aleppo nach Deutschland. Im September 2015 greift Russland an der Seite des syrischen Machthabers Assad in den Krieg ein, die Lage in der Großstadt verschlechtert sich dramatisch. Der Englischlehrer soll zum Militär eingezogen werden. „Ich wollte unterrichten, nicht Menschen töten“, sagt Hammal. Zunächst flieht er alleine in die Türkei, als er sieben Monate später das nötige Geld für die Weiterfahrt zusammen hat, folgen ihm seine Frau und seine erste Tochter.
12.500 Euro zahlt er für die Bootsfahrt nach Italien. Von 25 Menschen an Bord war vorher die Rede, am Ende harren 80 Passagiere fünf Tage lang auf einem kleinen Schiff aus. Nach dem Asylantrag fährt ein Bus die Familie nach Mönchengladbach. Dort finden sie nach nur zwei Monaten mit Glück und Hilfe einer netten Friseurin eine kleine Wohnung in Rheydt.
Mustafa Hammal möchte wieder als Lehrer arbeiten, findet das Programm „Lehrkräfte plus“im Internet und bewirbt sich. „Als die Zusage per Post kam, haben meine Frau und ich geweint und gelacht“, erinnert er sich.
Auch die 14-jährige Farah geht in die 9E. Sie ist eins von drei syrischen Kindern in der Klasse, Englisch bei Herrn Hammal ist ihr Lieblingsfach. „Die Kinder mögen ihn alle“, sagt Mentorin Vegelahn. „Eine positive Wirkung hat er natürlich auf muslimische Kinder, besonders auf die Jungs.“Dabei achtet Hammal in der Schule penibel darauf, kein Arabisch zu sprechen. Das sei ihm wichtig, sagt er, er wolle alle Schüler gleich behandeln. „Ich habe letztens einen syrischen Schüler im Unterricht mit Handy erwischt und es ihm abgenommen, so wie ich es immer mache“, erzählt er. „Eine besondere Beziehung aufgrund unserer Herkunft zu haben, fände ich nicht gut.“
Trotzdem kann Hammal für Schüler wie Farah ein wichtiger Baustein zur Integration sein. Etwa jeder dritte Schüler in Deutschland hat einen Migrationshintergrund, unter den Lehrkräften sind es gerade einmal acht Prozent. „Wir haben 870 Kinder mit 27 verschiedenen Nationalitäten“, sagt Schulleiter Müller. „Da tut es unserem Kollegium mit 54 Köpfen nur gut, wenn ein bisschen kulturelle Vielfalt reinkommt.“Auch beim Kontakt mit arabischen Eltern soll Hammal in Zukunft helfen, als Übersetzer und Vermittler.
Der Englischlehrer ist glücklich, weil er seiner Passion nachgehen kann, sagt er. Ab 2020 übernimmt er dauerhaft die Stelle eines Kollegen, der in Rente geht. Das bedeutet, nicht nur zu unterrichten, sondern auch an Elternsprechtagen die eine oder andere Diskussion über Noten zu führen. Auf Deutsch. „Herr Hammal hat eine offene Körperhaltung und einen festen Händedruck“, sagt Müller, „und schon jetzt spricht er besser Deutsch, als wir es nach dieser Zeit erwarten können.“