20.690 Straftaten an Schulen in einem Jahr
Im Jahr 2018 sind an NRW-Schulen 263 Lehrer Opfer von Körperverletzungen geworden. In rund 2350 Fällen wurden Schüler verletzt. Und zum Start ins neue Schuljahr hat es bereits in Xanten und Duisburg folgenschwere Taten gegeben.
DUISBURG/XANTEN Die Polizei weiß vermutlich jetzt genau, wie die Prügelei zwischen zwei 14-Jährigen vor der Gesamtschule Xanten-Sonsbeck abgelaufen ist, in deren Verlauf einer der Jugendlichen eine folgenschwere Kopfverletzung erlitt. „Wir haben ein Handy-Video sichergestellt und ausgewertet, das den Tathergang zeigt“, sagt ein Polizeisprecher. Die Aufnahme stammt vermutlich von einem Mitschüler. Der mutmaßliche Täter habe zudem eine Aussage gemacht. Auch Zeugen sollen noch vernommen werden. Da es sich dabei um Minderjährige handelt, müssen die Eltern einer Vernehmung zustimmen. Erst dann können sie vorgeladen werden. Über den Gesundheitszustand des Opfers machte die Polizei keine näheren Angaben.
Das spätere Opfer soll am vergangenen Freitag in Xanten im Streit versucht haben, seinen Mitschüler zu schlagen. Der andere Junge wich aus und schlug laut Polizei zurück. Der 14-Jährige wurde getroffen, fiel zu Boden und schlug so unglücklich mit dem Kopf auf, dass er das Bewusstsein verlor. Es sei ziemlich sicher, dass sich die Tat so ereignet habe, sagt der Polizeisprecher.
An Schulen (1. bis 13. Klasse) in Nordrhein-Westfalen hat es im vergangenen Jahr nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) 20.690 angezeigte Straftaten gegeben. Darunter fallen 3013 Körperverletzungsdelikte, 2353 mal wurden Schüler Opfer, in 263 Fällen waren Lehrer die Leidtragenden. Erst zu Schulbeginn in der vergangenen Woche war in Duisburg der Schulleiter der Hauptschule Gneisenaustraße von einem 14-Jährigen geschlagen und so schwer verletzt worden, dass er anschließend in ein Krankenhaus musste. „Wir werden den Beschuldigten noch vernehmen, weil wir unter anderem noch klären müssen, wie oft er zugeschlagen hat“, so ein Sprecher der Duisburger Polizei. Ein sogenannter Intensivtäter, der schon mehrere Straften begangen hat, sei der Beschuldigte nicht gewesen. Jedoch wurde er für zwei Wochen vom Unterricht suspendiert. Er soll nach Angaben der Stadt Duisburg von der Jugendgerichtshilfe betreut werden.
Mehr als die Hälfte der Schulleitungen in Nordrhein-Westfalen (55 Prozent) gab im vergangenen Jahr in einer Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) an, dass es an ihrer Schule in den zurückliegenden fünf Jahren Fälle von psychischer Gewalt gegeben habe, also Fälle, bei denen Lehrkräfte direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt worden seien. Die Schulen seien ein Spiegel unserer Gesellschaft, meint Stefan Behlau, VBE-Landesvorsitzender. „Bestmögliche Bildung und Erziehung sind letztlich das beste Mittel und der wirksamste Schutz gegen Gewalt“, so Behlau. Dazu benötige man aber ausreichend Personal und Zeit, um individueller auf die Schüler reagieren zu können. „Ein erster Schritt wäre, dass jede Schule mindestens eine Landesstelle für Schulsozialarbeit erhält“, fordert er.
Nach Angaben des NRW-Schulministeriums sind viele Gewaltphänomene zunächst nicht sichtbar. Erhebliche Dunkelziffern dürfte es bei Mobbing, beleidigenden und diskriminierenden Äußerungen geben, schätzt das Ministerium. Daher werden die Ursachen von Gewalt im schulischen Kontext in NRW wissenschaftlich erforscht. Im Frühjahr 2020 und 2022 soll es zudem eine Woche des Respekts an den Schulen geben.
Die Düsseldorfer Polizistin Petra Reichling kritisiert in ihrem Buch, „Tatort Schulhof – warum Schulen kein geschützter Raum mehr für unsere Kinder sind“, den Umgang von Schulen mit Gewalt und Mobbing. Den jungen Tätern würden zu wenig Grenzen gesetzt und kaum Konsequenzen gezeigt. Sie sieht die Pädagogen in der Pflicht und fordert das Fach Strafrecht für Lehrer während des Studiums. Behlau hält es für eine weit verbreitete Meinung, dass Lehrkräfte zu wenig Grenzen setzen würden. „Die Schulrealität zeigt jedoch, dass einige Kinder und Jugendliche erstmals in der Schule erleben, dass es klare Grenzen gibt“, sagt er. „Wir brauchen daher eine klare Haltung aller Bürger gegen Gewalt.“