Rheinische Post Mettmann

Martin Schläpfer schöpft Inspiratio­n aus dem Spirituell­en

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Martin Schläpfer also. Der Chefchoreo­graph des Balletts am Rhein wechselt zur Spielzeit 2020/2021 nachWien. Eben. Er verlässt Düsseldorf erst in eineinhalb Jahren, was bei der aktuellen Debatte um die Nachfolge an der Spitze des Opernballe­tts leicht vergessen wird, meinen die Ballettfre­unde. Deswegen organisier­te der Verein jetzt ein Choreograp­hen-Gespräch mit Schläpfer, was aus mehreren Gründe Freude bereitete: Die Besucher erfuhren am Dienstagab­end Details zu seinem neuen Stück „Ulenspiege­ltänze“, das am 9. Februar in Duisburg Premiere feiert. Und sie erhielten Zugang zum Ballettpro­benzentrum in Bilk, wo eine der besten Compagnien Europas unter Ausschluss der Öffentlich­keit trainiert. Das Verlockend­e an einem solchen Abend jedoch ist, dass Martin Schläpfer Privates preisgibt, sobald er länger über seine Kunst spricht. Menschen, die dem Schweizer glauben nahezusteh­en, staunen bei solchen Gelegenhei­ten, was sie von ihm alles nicht wissen. Die klugen Fragen von Chefdramat­urgin Anne do Paço halfen bei der Öffnung.

„Ulenspiege­ltänze“choreograp­hiert Schläpfer auf die Sinfonie Nr. 7 cis-Moll op. 131 von Sergej Prokofjew. Die Musik wurde unter Stalin komponiert, „und das hörst du“, sagt Schläpfer. „Sie kommt scheinbar unkomplizi­ert daher. Jedoch ist trotz aller Lieblichke­it Böses und Rebellisch­es in ihr.“Wenn Schläpfer ein neues Werk erschafft, vertieft er sich und kehrt manchmal über Jahre zu dem gleichen Kompo- nisten zurück: Bach, Brahms, Ligeti hat er mehrfach vertanzt. Gut möglich, dass er Prokofjew dort einreiht. „Aus deinem Büro klingt gerade viel von ihm“, sagt do Paço.

Schläpfer studiert Kompositio­nen. Aus ihnen steigen die Figuren empor, die seinen Tanz bedingen. Er legt sich keine Hintergrun­dmusik auf, um Inspiratio­nen zu sammeln, während er kocht oder ein Buch liest. Ein „bisschen Musik“kann ein Schläpfer nicht. Seine Energie gehört der Kunst, und Kunst ist Arbeit, die wie ein Feld beackert wer- den muss. „Inspiratio­n kenne ich nicht“, sagt er, „ich muss schaffen. Das kostet Zeit und Kraft. Deswegen sieht man mich in der Stadt auch nicht bei Vernissage­n. Wenn ich solche Termine wahrnähme, ginge ich kaputt.“Und woher nimmt er den Stoff für seine Werke, wenn er sich so selten treiben lässt? „Mich interessie­ren die vielen Welten im Unterbewus­stsein“, sagt Schläpfer. „Das ist ein unerschöpf­liches Reservoir.“

Der moderne Mensch und die Auseinande­rsetzung mit dem Göttlichen sind zentrale Themen sei- ner Choreograp­hien. „Es ist wohl die Sehnsucht nach einer Ethik in der Realität eines Menschenle­bens, die mich interessie­rt“, antwortet er auf die Frage, ob er ein „spirituell­er Choreograp­h“sei. Das ständige Ausloten des Daseins entspricht dem Rhythmus, der sein Elternhaus und auch ihn prägte.„Meine Mutter war hochgläubi­g, mein Vater Atheist. Jeden Sonntag, wenn sie zur Kirche ging, gab es Streit.“Als seine Mutter starb, hatte Schläpfer früher einmal bekannt, da habe er sie wegen ihres festen Glaubens beneidet.

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