Im falschen Film
Das deutsche Vielseitigkeits-Team verliert im Herbst EM-Silber, weil bei Julia Krajewskis Pferd ein verbotener Wirkstoff nachgewiesen wird. Sie beteuert ihre Unschuld, muss aber seitdem damit leben, von vielen kritisch beäugt zu werden.
WARENDORF Julia Krajewski hat nicht viel geschlafen. Auf der Rückfahrt vom Turnier im bayerischen Kreuth ist ihr Pferdetransporter liegen geblieben. Kurz vor Mitternacht, und immerhin auf einem Autobahnparkplatz. Aber auch dort war das Umladen der Pferde auf einen Ersatzwagen stressig. Trotz allem sitzt die 29-Jährige nun an diesem Morgen im Besprechungsraum der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in Warendorf. Weil sie reden will. Darüber, wie es sich anfühlt, im falschen Film zu leben. „Jeder, der meinen Namen hört, denkt an diese Geschichte. Das ist für mich nicht besonders leicht. Ich stehe generell nicht gerne im Mittelpunkt, und schon gar nicht mit so etwas“, sagt sie.
Diese Geschichte beginnt im November mit der Bekanntgabe des Weltverbandes FEI, nach der Krajewskis Pferd Samourai du Thot bei der Vielseitigkeits-EM im August im polnischen Strzegom positiv auf den Wirkstoff Firocoxib getestet wurde. Der wirkt entzündungshemmend, ist keine Dopingsubstanz. Sein Einsatz ist auch im Training erlaubt, im Wettkampf indes nicht. „Das Gefühl, wenn man die Nachricht bekommt, dass man positiv getestet wurde, reißt einem den Boden unter den Füßen weg“, erzählt Krajewski. Die Folgen: Das deutsche Team verliert die EM-Silbermedail- le, Krajewski muss umgerechnet 2500 Euro Strafe bezahlen, und das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei schließt sie bis 30. Juni aus seinem Kader aus. „Ich persönlich empfinde die Strafe in meinem Fall natürlich als ungerecht. Aber dass unsere Regeln den Reiter als verantwortliche Person ausweisen, hat ja schon seine Richtigkeit. Wenn ich als Reiter alle Schuld von mir weisen könnte, wäre das keine gute Lösung, denn das käme den schwarzen Schafen ja entgegen.“
Krajewski darf weiter an Turnieren teilnehmen und als Bundestrainerin der Junioren arbeiten, aber während des Kaderausschlusses ruht die Förderung der Sporthilfe. „Jetzt habe ich letzte Woche von der Sporthilfe einen Brief bekommen, in dem sinngemäß stand, ich würde ja jetzt mit dem Leistungssport aufhören, sie würden mir deswegen gerne anbieten, in den Klub der Ehemaligen einzusteigen. Und ich dachte nur: Eigentlich wollte ich noch nicht aufhören, eigentlich wollte ich mich sogar bald wieder bei euch melden“, sagt Krajewski.
Die Unterbrechung der Förderung ist eine Sache, was Krajewski aber mehr zu schaffen macht, ist die Ohnmacht. Sie sagt, sie habe ihrem Pferd den Wirkstoff nicht verabreicht, auch niemand aus ihrem Umfeld. Wer es dann war, ist ungeklärt – und wird es auch wohl bleiben. „Wenn ich nicht erklären kann, wie der Stoff ins Pferd reingekommen ist, geht es im Reiten im Zweifel gegen den Angeklagten aus“, sagt die Pferdewirtschaftsmeisterin. „Wenn ich wüsste, dass und an welcher Stelle es meine Schuld war, könnte ich besser damit umgehen. So bin ich nicht schuld, aber ich trage die Verantwortung. Das ist nicht unbedingt befriedigend.“Einfach etwas so hinzunehmen, das liege ihr nicht, sagt sie. „In den Wochen danach bin ich nachts aufgewacht und habe das Championat noch mal Revue passieren lassen. Jetzt, wo die Turniere wieder losgehen, merke ich, wie angespannt ich bin. Ich bin bis heute nicht zu dem Schluss gekommen, es war jemand. Ich bin aber auch nicht der Meinung, dass es keiner war. Das ist einfach eine der Möglichkeiten, wie es passiert sein kann. Aber ich habe natürlich keine Beweise.“Krajewskis Fall – wie immer er sich auch zugetragen hat – lenkt den Fokus auf ein generelles Dilemma für Reiter: Wie behandle ich ein Pferd im Alltag so, dass ich nicht mit den Dopingregularien für Wettkämpfe kollidiere?
Krajewski selbst hat Konsequenzen gezogen. „Ich habe jetzt Kameras auf Turnieren dabei, die ich in der Box platziere. Bei mir im Stall werden auch welche installiert. Das hätte ich mir vor einem Jahr auch nicht träumen lassen, aber nun ist es so“, erzählt sie. Die Sicherheitsvorkehrungen in Strzegom hat sie jedenfalls als abenteuerlich in Erinnerung. „Bei der EM war es so, dass vor dem Stall ein Steward stand, der aufpasste, aber wenn man hinten rum ging, war der Zaun einfach offen. Das ist ja in Sachen Stallsicherheit verordnete Hilflosigkeit.“Das sieht die FN ähnlich, denn der Verband zieht aus dem Fall Krajewski generelle Lehren beim Thema Stallsicherheit. „Es gibt eine Arbeitsgruppe, in der genau dieses Thema intensiv bearbeitet wird. Es geht darum, uns Reiter zu sensibilisieren“, sagt sie. „Für jeden Reiter ist es das Schlimmste, wenn sich ein Pferd verletzt, aber für das große Ganze unseres Sports ist ein Fall wie meiner der Super-Gau. Ein Albtraum.“
Krajewskis persönlicher Albtraum beinhaltet auch, mehr als früher darauf zu achten, wie Leute sie wahrnehmen. „Ich fühle mich schon sehr beobachtet. Der Mann am Bankschalter weiß, wer ich bin. Wegen der Geschichte von der EM, nicht wegen etwas anderem“, sagt sie. „Das Gefährliche ist das Halbwissen. Da erzählt einer dem anderen etwas, was er gehört hat, keiner versteht es richtig, und sechs Leute später ist etwas im Umlauf, was totaler Käse ist. Da kann man sich natürlich nicht gegen wehren.“
Trotz allem: Krajewski will erst einmal diese Saison absolvieren und dann Bilanz ziehen. Und wann wäre es ein gutes Jahr gewesen? „Wenn ich sagen kann, ich bin wieder mit einem guten Gefühl zu Turnieren gefahren.“Dann wäre Julia Krajewski zurück im richtigen Film.
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