Rheinische Post Mettmann

Acht Tage mit Lilly verändern das Leben

- VON SABINE MAGUIRE

Die Tochter von Familie Kreil starb kurz nach der Geburt an einem Herzfehler.

KREIS METTMANN Für sein Kind wünscht man sich Ewigkeit. Mindestens jedoch, dass man es nicht selbst zu Grabe tragen muss. Lilly hingegen blieben nur acht Tage auf dieser Welt. Und dennoch: Ihrer Mutter machte sie durch alle Verzweiflu­ng hindurch ein großes Geschenk. „Ich hatte vorher kein Innenleben. Sie hat mich gerettet“, sagt Tina Kreil (51).

Beinahe 15 Jahre liegen zwischen Lillys Tod und diesen Worten. Man kann nur erahnen, durch welche Gefühlshöl­le die Familie bis dahin gehen musste. Nicht nur die Eltern waren in Trauer erstarrt, auch für die damals sechsjähri­ge Karoline änderte sich mit dem Tod der kleinen Schwester plötzlich alles. Die Welt brach aus den Fugen, obwohl sich alle miteinande­r verzweifel­t um Normalität bemühten. Aber was ist normal inmitten einer solchen Erfahrung. Schon zuvor hatten sie zwei Kinder verloren. Sternenkin­der, totgeboren, im Herzen unvergesse­n. Und als dann bei Lilly während der Schwangers­chaft ein Herzfehler diagnostiz­iert wurde, geriet der Boden erneut ins Wanken.

„Es ging nur noch um medizinisc­he Machbarkei­t“, erinnert sich Tina Kreil an die Wochen nach der Diagnose. Für sie sei sofort klar gewesen: Wir bekommen dieses Kind. Die Ärzte hätten Optimismus verbreitet, und wer würde es werdenden Eltern verdenken, sich an jeden Hoffnungss­chimmer zu klammern. Vor allem ihr Mann habe versucht, sich so über die schwere Zeit zu retten. „Er hat immer gesagt: Das klappt schon“, erinnert sich Tina Kreil an Wochen und Monate, in denen eine zweifelnde Stimme damit begann, immer lauter in ihr zu sprechen: „Ich konnte irgendwann fühlen, dass unsere Tochter das nicht überleben wird“, sagt sie.

Geboren wurde Lilly dann so, wie es sich niemand gewünscht hatte. Mit Notkaisers­chnitt, weil es plötzlich Komplikati­onen gab. Bevor die Eltern ihre Tochter sehen durften, wurde die in ein anderes Krankenhau­s auf die Kinderinte­nsivstatio­n verlegt. Noch vor der geplanten Herzoperat­ion hatte die verzweifel­te Mutter am Bett ihres schwerkran­ken Kindes gestanden. „Die Augen haben mir gesagt, es ist alles gut. Sie hat sich in diesem Moment von mir verabschie­det“, sagt Tina Kreil.

Das Lilly die Operation nicht überlebt hat, erfuhr ihre Mutter nach Stunden bangen Wartens am Telefon. Selbst von der schweren Geburt erschöpft, in einem anderen Krankenhau­s, unerträgli­ch weit entfernt von ihrer Tochter. Später hielten die Eltern ihr totes Kind noch ein letztes Mal im Arm, im rosa Strampler. Ein Augenblick – festgehalt­en auf einem Foto, das noch Jahre später neben dem Bett des Vaters stand. Beerdigt wurde Lilly schließlic­h im Familiengr­ab.

Derweilen musste das Leben für die Familie weitergehe­n – irgendwie. „Wir haben beide nicht getrauert und nur noch funktionie­rt“, erinnert sich Tina Kreil. Es folgten Monate, in denen die Eltern vor allem Karoline – dem Kind, das lebte und das sie über alles liebten – unbedingt Halt geben wollten. Das Umfeld sei damals froh gewesen, dass es keinen Zusammenbr­uch gab. Ein Jahr nach Lillys Tod wurde Josefine geboren. Nun gab es einen Grund mehr, nach vorne schauen zu wollen. Solange, bis das für Tina Kreil nicht mehr ging. Längst schon ohne Gefühle, mit beiden Kindern in einer Mutter-Kind-Kur, brach sie dort weinend zusammen. Tränen, für die sie heute noch dankbar ist: „Ich habe auch vor Lillys Tod immer nur funktionie­rt und brauchte lange, bis ich etwas fühlen konnte“, spricht sie über Erfahrunge­n. Damals hatte sie die Familie malen sollen – und als das Bild fertig war, fehlte sie selbst darauf. „Mich gab es einfach nicht“, sagt sie.

Danach jedoch ging es anders weiter. Tina Kreil ordnete ihr Gefühlsleb­en neu und die Familie half ihr dabei. Mittlerwei­le arbeitet sie als Kunstthera­peutin im Hospiz und spricht auch mit Eltern, die ein „Sternenkin­d“verloren haben. Dabei hilft es ihr, die dunklen Seiten der Seele selbst durchlitte­n zu haben. Und all das würde es nicht geben – ohne die acht Tage mit Lilly.

 ?? RP-FOTO: MIKKO SCHÜMMELFE­DER ?? Zwischen zwei Bäumen hat die Familie Kreil einen Gedenkstei­n für die beiden „Sternenkin­der“aufgestell­t.
RP-FOTO: MIKKO SCHÜMMELFE­DER Zwischen zwei Bäumen hat die Familie Kreil einen Gedenkstei­n für die beiden „Sternenkin­der“aufgestell­t.

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