FRAGE DES STILS
Fluchen und schimpfen
Gelegentlich kommt es vor, dass man auf der Autobahn ein anderes Fahrzeug mit geringerer Geschwindigkeit überholt, als es der hinter einem drängelnde Sportwagenfahrer wünscht. Wenn der einen dann seinerseits überholt, sieht man oft, wie er sich zur Seite dreht und einem sein wutverzerrtes Gesicht mit einem Mund in heftiger Aktion zeigt. Diese Lippen- und Kieferbewegungssequenz lässt auf ein Wort schließen, das den Ausgang unseres Verdauungstraktes bezeichnet. Beliebt ist auch die Benennung der Beförderungsmasse, die diesen Ausgang verlässt.
Ich bin solchen Leuten nie böse, ich fluche selbst – allerdings nie, wenn die Adressaten anwesend sind. Man möchte nicht vor dem Kadi landen. Gleichwohl ist es dem eigenen Wohlbefinden nicht unbedingt zuträglich, wenn man sich Flüche versagt, um vor sich selbst als perfekter Stoiker zu gelten. Gewiss gibt es Menschen mit unterschiedlich stark entwickeltem Alarm- potenzial, aber kaum jemanden, der gänzlich auf Flüche oder Beschimpfungen verzichtet. Man lässt das Rührei anbrennen, schüttet den Eimer mit Wasser um, bekommt vom Finanzamt eine unerwartet hohe Vorauszahlung der Umsatzsteuer aufgebrummt, der Fußballstürmer der Heimmannschaft wird brutal umgetreten – wer da selig lächelnd die Worte „Ist doch kein Problem“murmelt, der ist reif für die Insel oder ein Übermensch. Bekannt ist, dass gerade Sittenwächter besonders gern fluchen. Manche karnevalistische Büttenrede ist ebenfalls hart an der Grenze zur Beleidigung und jenseits derjenigen zur Schlüpfrigkeit.
Das Benutzen verbotener Wörter ist ein archaischer Vorgang, der von der Festplatte unseres Gehirns nur schwer zu löschen ist. Und auch nicht gelöscht werden sollte. Verbale Tabubrüche sind – sofern sie keinen beleidigen oder Ausdruck einer Krankheit sind – nicht problematisch, sondern gesund. In einer Studie zeigten Ärzte, dass es Schmerzpatienten besser ging, wenn sie ihre Schmerzen verfluchten statt still ertrugen. Ein nützlicher Fall von Triebabfuhr. Sie nehmen den Deckel hoch, unter dem etwas zu implodieren droht.
Sollte man vor den eigenen Kindern fluchen? Nein. Vor ihnen sollte man sich konditionieren. Über den Autofahrer sagt man: A . . . rmleuchter. Über das umgekippte Waschwasser: Sch . . . iiiit – wie das legal beschimpfte Nordseewetter, dessen hiesige Variante zweifelsfrei zur Fäkalsprache zählt.