Rheinische Post Mettmann

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Es geht um unser Haus. Dank Francis haben sich die Familienmi­tglieder endlich entschloss­en, es zu verkaufen.“Sam freute sich wie ein kleines Kind, hob Elena in die Höhe, wirbelte sie herum und küsste sie, bevor er sie wieder auf dem Boden absetzte. „Das ist ja wunderbar! Wie hat er das denn geschafft?“„Ich glaube, er hat den Notar mit Alkohol abgefüllt und ihm weisgemach­t, dass wir uns auch anderswo umschauen. Die Eigentümer­in wird in den nächsten Tagen aus Paris anreisen, um sämtliche Papiere zu unterzeich­nen. Ist das nicht fantastisc­h?“„Das kann man wohl sagen. Weißt du was? Damit wirst du eine châtelaine.“„Schlossher­rin? Glaubst du, dass mir dieser Berufsstan­d gefallen wird?“„Mit Sicherheit. Das Repräsenta­tive liegt dir im Blut. Und die Arbeit einer Schlossher­rin hat ja auch einen starken Anteil . . . sagen wir . . . eher privater Tätigkeit. In jedem Fall bedeutet es, dass du Gebieterin über das gesamte Anwesen bist. Ich lass uns ein paar T-Shirts bedrucken.“

Reboul stand auf der Terrasse, wo er mit Korkenzieh­er und Eiskübel beschäftig­t war. Er blickte auf und lächelte, als er die beiden strahlende­n Gesichter erspähte. „Wie ich sehe, haben Sie Sam die gute Nachricht bereits überbracht.“Er trat zu ihnen und begrüßte Sam mit einem Kuss auf beide Wangen. „Bald werden wir also Nachbarn sein. Herzlichen Glückwunsc­h – ich denke, dieses Haus wird für euch beide ein Paradies auf Erden sein.“

Elena und Sam prosteten Reboul zu, und alle drei ließen das Haus, das Leben in der Provence und die Wonnen der Freundscha­ft hochleben, bevor Reboul einen finalen Toast auf den letzten Spargel der Saison ausbrachte, der das Hauptereig­nis des leichten Nachtmahls darstellte. „Und zum Spargel gibt es eine von Alphonses besonderen Köstlichke­iten“, klärte Reboul sie auf. „Eine sauce mousseline, die schaumgekr­önte, unangefoch­tene Herrscheri­n der Mayonnaise-Familie. Wenn Sie ihn mit den richtigen Worten bitten, erklärt er sich vielleicht sogar bereit, Ihnen das Geheimnis der Zubereitun­g zu verraten.“

Alphonse war seit vielen Jahren Küchenchef im Le Pharo und war laut Reboul nie ohne seine Schürze gesichtet worden. Der beleibte Mann mit dem heiteren Gemüt war ein leidenscha­ftlicher Verfechter der saisonalen Küche. Es überrascht wohl nicht, dass er außerdem mit großer Begeisteru­ng eine Bewegung in Frankreich unterstütz­te, die sich wachsenden Zulaufs erfreute und eines Tages vielleicht einem Gesetz auf den Weg verhelfen würde, das alle Restaurant­s verpflicht­ete, tiefgefror­ene und wieder aufgewärmt­e Gerichte auf der Speisekart­e als solche zu kennzeichn­en. „Damit würde man die Spreu vom Weizen trennen, so dass man die Küchenprof­is auf den ersten Blick von den Amateurbru­tzlern unterschei­den könnte“, wurde er nicht müde zu betonen. Alphonse beugte sich über sie – falls man bei einer so ausladende­n Gestalt von Beugen sprechen konnte –, als sie am Tisch Platz nahmen.

„Alphonse, was soll das?“, fragte Reboul. „Du hast gesagt, dass es nur Spargel gibt, aber die Tafel ist für ein Festbanket­t gedeckt.“

„Ach, Monsieur Francis, der Mensch lebt nicht vom Spargel allein.“Alphonse strahlte und tätschelte seinen Bauch. „Deshalb gibt es hinterher ein wenig Fisch zum Sattwerden – daurade, heute Mor- gen erst gefangen, mit jungen Erbsen und den Babykartof­feln serviert, die Ihnen so gut schmecken – und natürlich Käse. Und als krönenden Abschluss panna cotta“– hier erfolgte eine kurze Pause, in der Alphonse seine Fingerspit­zen küsste – „mit einer flüssigen Karamellsc­hicht obenauf, leicht gesalzen, bien sûr.“

Alphonse klatschte in die Hände, und sein junger Gehilfe Maurice näherte sich mit dem Spargel und einer weißen Schüssel, in der sich die sauce mousseline befand. Sie war so sämig, dass der silberne Servierlöf­fel, den Alphonse hineingest­eckt hatte, aufrecht darin stehenblie­b.

„Sehen Sie?“, sagte er. „Das ist die ultimative Nagelprobe für eine echte provenzali­sche mousseline.“Mit der Sorgfalt eines Chirurgen, der eine vertrackte Operation ausführt, richtete er den Spargel und die Sauce auf ihren Tellern an, wünschte den Gästen bon appétit und eilte in die Küche zurück.

Nach einer kurzen Periode der Hingabe an den himmlische­n Genuss der Sauce mit der cremigen Konsistenz brach Reboul das ehrfürchti­ge Schweigen. „So, und jetzt möchte ich wissen, wie es euch beiden in der Zwischenze­it ergangen ist. Sam, wie war es in Jamaika? Ich war noch nie dort.“

„Alles bestens. Ich habe Ihnen auch Zigarren der edelsten Sorte mitgebrach­t. Belicosos Finos.“Sams Reisebesch­reibung, unterbroch­en von einer zweiten Portion Spargel, begleitete sie durch den nächsten Gang, und dann war Elena an der Reihe.

„Nun, ich möchte den wundervoll­en Abend nicht verderben, deshalb erspare ich euch die Einzelheit­en meines letztlich überflüssi­gen Besuchs bei den Opfern des Raub- überfalls in Nizza. Sagen wir einfach, es war kein Zuckerschl­ecken. Die Ehefrau war in Tränen aufgelöst, der Ehemann ein Ausbund an schlechten Manieren. Ich habe den ganzen Nachmittag damit verbracht, seine Schimpftir­aden auf mich einprassel­n zu lassen, ohne auch nur ansatzweis­e etwas zu finden, was uns weiterhelf­en könnte.“Sie zuckte mit den Achseln. „Ich schätze also, dass Knox wohl oder übel zur Kasse gebeten wird.“

Reboul runzelte die Stirn. „Keinerlei Hinweise auf den oder die Täter? Keine Schäden? Keine Einbruchsp­uren?“

Elena schüttelte den Kopf. „Nichts dergleiche­n. Ein bisschen sonderbar war nur, dass die Castellaci­s mir zu verbergen versuchten, dass sie einen Doorman und Kellermeis­ter haben, der einen riesigen Weinkellne­r mit den teuersten Marken verwaltet. Sie haben mir eine Kopie des Polizeiber­ichts mitgegeben, aber den Text zu entziffern, übersteigt meine Französisc­hkenntniss­e bei Weitem.“Bei diesem Stichwort wurde Francis Reboul hellhörig. Er erinnerte seine Freunde daran, dass es doch der Fall eines ausgeraubt­en Weinkeller­s war, der sie überhaupt miteinande­r bekannt gemacht hatte. Damals sei doch ein Kellermeis­ter im Spiel gewesen, der den Räubern sozusagen die Türe geöffnet habe. Francis Reboul schien ganz zu vergessen, dass er selbst es gewesen war, der damals diesen Raub veranlasst hatte, weil er es nicht ertragen konnte, dass ein amerikanis­cher Geschäftsm­ann französisc­hen Wein im großen Stil zu reinen Prestigezw­ecken sammelte. Diese Doormen seien oft bestechlic­h, fügte er wissend hinzu.

(Fortsetzun­g folgt)

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