Die Diamanten von Nizza
Es geht um unser Haus. Dank Francis haben sich die Familienmitglieder endlich entschlossen, es zu verkaufen.“Sam freute sich wie ein kleines Kind, hob Elena in die Höhe, wirbelte sie herum und küsste sie, bevor er sie wieder auf dem Boden absetzte. „Das ist ja wunderbar! Wie hat er das denn geschafft?“„Ich glaube, er hat den Notar mit Alkohol abgefüllt und ihm weisgemacht, dass wir uns auch anderswo umschauen. Die Eigentümerin wird in den nächsten Tagen aus Paris anreisen, um sämtliche Papiere zu unterzeichnen. Ist das nicht fantastisch?“„Das kann man wohl sagen. Weißt du was? Damit wirst du eine châtelaine.“„Schlossherrin? Glaubst du, dass mir dieser Berufsstand gefallen wird?“„Mit Sicherheit. Das Repräsentative liegt dir im Blut. Und die Arbeit einer Schlossherrin hat ja auch einen starken Anteil . . . sagen wir . . . eher privater Tätigkeit. In jedem Fall bedeutet es, dass du Gebieterin über das gesamte Anwesen bist. Ich lass uns ein paar T-Shirts bedrucken.“
Reboul stand auf der Terrasse, wo er mit Korkenzieher und Eiskübel beschäftigt war. Er blickte auf und lächelte, als er die beiden strahlenden Gesichter erspähte. „Wie ich sehe, haben Sie Sam die gute Nachricht bereits überbracht.“Er trat zu ihnen und begrüßte Sam mit einem Kuss auf beide Wangen. „Bald werden wir also Nachbarn sein. Herzlichen Glückwunsch – ich denke, dieses Haus wird für euch beide ein Paradies auf Erden sein.“
Elena und Sam prosteten Reboul zu, und alle drei ließen das Haus, das Leben in der Provence und die Wonnen der Freundschaft hochleben, bevor Reboul einen finalen Toast auf den letzten Spargel der Saison ausbrachte, der das Hauptereignis des leichten Nachtmahls darstellte. „Und zum Spargel gibt es eine von Alphonses besonderen Köstlichkeiten“, klärte Reboul sie auf. „Eine sauce mousseline, die schaumgekrönte, unangefochtene Herrscherin der Mayonnaise-Familie. Wenn Sie ihn mit den richtigen Worten bitten, erklärt er sich vielleicht sogar bereit, Ihnen das Geheimnis der Zubereitung zu verraten.“
Alphonse war seit vielen Jahren Küchenchef im Le Pharo und war laut Reboul nie ohne seine Schürze gesichtet worden. Der beleibte Mann mit dem heiteren Gemüt war ein leidenschaftlicher Verfechter der saisonalen Küche. Es überrascht wohl nicht, dass er außerdem mit großer Begeisterung eine Bewegung in Frankreich unterstützte, die sich wachsenden Zulaufs erfreute und eines Tages vielleicht einem Gesetz auf den Weg verhelfen würde, das alle Restaurants verpflichtete, tiefgefrorene und wieder aufgewärmte Gerichte auf der Speisekarte als solche zu kennzeichnen. „Damit würde man die Spreu vom Weizen trennen, so dass man die Küchenprofis auf den ersten Blick von den Amateurbrutzlern unterscheiden könnte“, wurde er nicht müde zu betonen. Alphonse beugte sich über sie – falls man bei einer so ausladenden Gestalt von Beugen sprechen konnte –, als sie am Tisch Platz nahmen.
„Alphonse, was soll das?“, fragte Reboul. „Du hast gesagt, dass es nur Spargel gibt, aber die Tafel ist für ein Festbankett gedeckt.“
„Ach, Monsieur Francis, der Mensch lebt nicht vom Spargel allein.“Alphonse strahlte und tätschelte seinen Bauch. „Deshalb gibt es hinterher ein wenig Fisch zum Sattwerden – daurade, heute Mor- gen erst gefangen, mit jungen Erbsen und den Babykartoffeln serviert, die Ihnen so gut schmecken – und natürlich Käse. Und als krönenden Abschluss panna cotta“– hier erfolgte eine kurze Pause, in der Alphonse seine Fingerspitzen küsste – „mit einer flüssigen Karamellschicht obenauf, leicht gesalzen, bien sûr.“
Alphonse klatschte in die Hände, und sein junger Gehilfe Maurice näherte sich mit dem Spargel und einer weißen Schüssel, in der sich die sauce mousseline befand. Sie war so sämig, dass der silberne Servierlöffel, den Alphonse hineingesteckt hatte, aufrecht darin stehenblieb.
„Sehen Sie?“, sagte er. „Das ist die ultimative Nagelprobe für eine echte provenzalische mousseline.“Mit der Sorgfalt eines Chirurgen, der eine vertrackte Operation ausführt, richtete er den Spargel und die Sauce auf ihren Tellern an, wünschte den Gästen bon appétit und eilte in die Küche zurück.
Nach einer kurzen Periode der Hingabe an den himmlischen Genuss der Sauce mit der cremigen Konsistenz brach Reboul das ehrfürchtige Schweigen. „So, und jetzt möchte ich wissen, wie es euch beiden in der Zwischenzeit ergangen ist. Sam, wie war es in Jamaika? Ich war noch nie dort.“
„Alles bestens. Ich habe Ihnen auch Zigarren der edelsten Sorte mitgebracht. Belicosos Finos.“Sams Reisebeschreibung, unterbrochen von einer zweiten Portion Spargel, begleitete sie durch den nächsten Gang, und dann war Elena an der Reihe.
„Nun, ich möchte den wundervollen Abend nicht verderben, deshalb erspare ich euch die Einzelheiten meines letztlich überflüssigen Besuchs bei den Opfern des Raub- überfalls in Nizza. Sagen wir einfach, es war kein Zuckerschlecken. Die Ehefrau war in Tränen aufgelöst, der Ehemann ein Ausbund an schlechten Manieren. Ich habe den ganzen Nachmittag damit verbracht, seine Schimpftiraden auf mich einprasseln zu lassen, ohne auch nur ansatzweise etwas zu finden, was uns weiterhelfen könnte.“Sie zuckte mit den Achseln. „Ich schätze also, dass Knox wohl oder übel zur Kasse gebeten wird.“
Reboul runzelte die Stirn. „Keinerlei Hinweise auf den oder die Täter? Keine Schäden? Keine Einbruchspuren?“
Elena schüttelte den Kopf. „Nichts dergleichen. Ein bisschen sonderbar war nur, dass die Castellacis mir zu verbergen versuchten, dass sie einen Doorman und Kellermeister haben, der einen riesigen Weinkellner mit den teuersten Marken verwaltet. Sie haben mir eine Kopie des Polizeiberichts mitgegeben, aber den Text zu entziffern, übersteigt meine Französischkenntnisse bei Weitem.“Bei diesem Stichwort wurde Francis Reboul hellhörig. Er erinnerte seine Freunde daran, dass es doch der Fall eines ausgeraubten Weinkellers war, der sie überhaupt miteinander bekannt gemacht hatte. Damals sei doch ein Kellermeister im Spiel gewesen, der den Räubern sozusagen die Türe geöffnet habe. Francis Reboul schien ganz zu vergessen, dass er selbst es gewesen war, der damals diesen Raub veranlasst hatte, weil er es nicht ertragen konnte, dass ein amerikanischer Geschäftsmann französischen Wein im großen Stil zu reinen Prestigezwecken sammelte. Diese Doormen seien oft bestechlich, fügte er wissend hinzu.
(Fortsetzung folgt)